Pisa-Politik
Warum die Idee der Bundesregierung bedenklich ist, 600 Tonnen staatlichen Golds für die Bildung verhökern zu wollen
Der deutsche Goldschatz liegt tief in den Felsen der Halbinsel Manhattan, 24 Meter unter den Straßen New Yorks. Dort verwahrt die Federal Reserve Bank den größten Teil des Goldschatzes der Bundesbank und sechzig weiterer Zentralbanken sowie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in einem gigantischen Tresor: Der Mantel des Stahlzylinders ist drei Meter dick und wiegt 82 Tonnen.
Während des Zweiten Weltkrieges wanderten fast neunzig Prozent der Weltvorräte des gelben Edelmetalls in die USA, im Ausgleich gegen Rüstungslieferungen. Seit den fünfziger Jahren erwirtschaftete die Bundesrepublik einen Überschuss im Außenhandel mit den USA, und im Gegenzug war ein Teil des Goldschatzes wieder in deutschen Besitz übergegangen. Doch anstatt die Barren umständlich über den Atlantik zurückzutransportieren, verblieb das deutsche Gold an Ort und Stelle, wenn auch in einem separaten Käfig, an dem der Bundesadler prangt.
An der Sicherheit des Depots besteht kein Zweifel: Würde über New York eine Atombombe zünden, so sagt man, könnte man an diesem Platz fast sicher überleben. Schon im Normalfall bewachen Hunderte von Polizisten den Zutritt, und für ein "Sesam Öffne Dich" müssen drei Beamte jeweils separat eine Geheimkombination eingeben.
Doch kein Schatz ist sicher, wenn die vermeintlichen Gralshüter selbst zum Plündern ausrücken. Zur Zeit favorisiert Bundesbankpräsident Ernst Welteke einen Zugriff auf den Schatz, angeblich hat die Bundesregierung bereits zugestimmt. Konkret geht es um den Verkauf von 600 Tonnen Gold bis zum Jahr 2009, etwa eines Sechstels des Bundesbankbesitzes. Beim aktuellen Marktpreis des Edelmetalls würde der Gesamterlös 4,8 Milliarden Euro betragen. Das Geld soll in einen Fonds fließen, dessen Verzinsung - Welteke rechnet optimistisch mit fünf Prozent, das wären 250 Millionen Euro jährlich - soll der Bundesregierung für Forschungs- und Bildungsaufgaben zur Verfügung stehen. Die Idee, mit solch erfinderischen Mitteln Geld zu schöpfen, stammt vom Ahnherr wohlfahrtsstaatlicher Wirtschaftspolitik, dem Briten John Maynard Keynes.
Kaufkaftprobleme: John Keynes und Rosa Luxemberg
Keynes war der erste Ökonom, der in der Golddeckung der Währungen ein "barbarisches Überbleibsel" sah. Auf drei Sätze gebracht lautet seine tragende Idee: In marktwirtschaftlichen Systemen gibt es aus strukturellen Gründen eine Nachfragelücke, die für die Arbeitslosigkeit verantwortlich ist. Diese Nachfragelücke muss geschlossen werden, indem die Regierung über Fiskal- und Zinspolitik Industrie und Privathaushalten billiges Geld zur Verfügung stellt, notfalls mittels Staatskonsum die Konjunktur stimuliert. Erhöhung der Geldzirkulation und Staatsverschuldung ("Deficit spending") sind hierfür obligatorisch, die Fixierung der Geldmenge an die Menge physischen Goldes hingegen lästig.
Aus seiner Krisenanalyse zog Keynes ähnliche Schlussfolgerungen wie Rosa Luxemburg, auch wenn er von ganz anderen Prämissen ausging. Die KPD-Gründerin hatte in ihrem Hauptwerk Die Akkumulation des Kapitals herausgefunden, dass der Kapitalismus, je mehr er die ganze Welt durchdringt, an eine Systemgrenze stoße. In einer globalen Gesellschaft, die nur noch aus Kapitalisten und Proletariern bestünde, müsste der Teil der produzierten Wertmasse, der die Lohnsumme der Arbeiterschaft übertreffe, immer unverkäuflich bleiben - je größer also der produzierte Mehrwert werde, umso schlechter lasse er sich realisieren.
Dieses "Realisierungsproblem" könne nur gelöst werden, wenn Kaufkraft von außen zugeführt werde. Bei Luxemburg besteht dieses Außen aus den vorkapitalistischen Landstrichen und Milieus der einfachen Warenproduktion oder des Feudalismus, bei Keynes aus zusätzlicher Geldschöpfung. Für Luxemburg waren die kapitalistischen Staaten bei Strafe des Untergangs gezwungen, immer neue Territorien als Absatzgebiete zu erobern. Keynes und seine Jünger gingen listig davon aus, dass die innere Kolonisierung - die Entdeckung neuer gesellschaftlicher Aufgaben und ihre Verwandlung in zahlungskräftige Nachfrage - die äußere überflüssige machen würde.
Die Realitätstüchtigkeit von Keynes' Vorschlägen zeigte sich in der Depression der dreißiger Jahre: Die führenden Ökonomen empfahlen den Regierungen, abzuwarten und ihre öffentlichen Ausgaben zu beschneiden. Das hieß: Der Staat solle sparen wie ein Tante-Emma-Laden, der in Zeiten guter Geschäfte Investitionen tätigt und in schlechten Zeiten darauf verzichtet. Nur so ließen sich die Defizite in den öffentlichen Haushalten begrenzen - andernfalls drohe der Staatsbankrott. In Deutschland setzte Reichskanzler Brüning diese Ratschläge mit Notverordnungen gegen das Parlament durch. Die Geldmenge schrumpfte - die Bankeinlagen sanken 1931 um 17 und 1932 um weitere sieben Prozent, der Bargeldumlauf sank 1932 um 15 Prozent - der Wechselkurs der Reichsmark explodierte, die Arbeitslosigkeit auch. Keynes forderte von der britischen Regierung 1929 das Gegenteil: Sie solle sich bei den Banken pro Jahr hundert Millionen Pfund leihen und damit Jobs für eine halbe Million Arbeitslose schaffen.
Parallelen zwischen New Deal der demokratischen USA und der Nazi-Wirtschaftspolitik
Keynes blitzte ab. Seine Ideen setzten sich dennoch durch, wenn auch ohne seine Mitwirkung: Sowohl der New Deal in den USA der dreißiger Jahre wie die NS-Wirtschaftspolitik fußten auf Staatsverschuldung und darüber finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, also auf den Prinzipien, denen Keynes 1936 in seiner "General Theory" eine allgemeingültige Fassung gab. In den USA wurde dazu die Notenpresse in Gang gesetzt, in Deutschland fiktive Firmen wie die "Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten" (Öffa) und "Metallurgische Forschungsgemeinschaft" (MeFo) gegründet, auf deren Namen Wechsel ausgegeben wurden. Bereits 1936 erreichte das US-Haushaltsdefizit 4,6 Milliarden Dollar oder 50 Prozent der Bundesausgaben, die Schulden der Staaten und Gemeinden nicht mitgerechnet. In Deutschland wurden seit 1936 überhaupt keine Haushaltspläne und keine Bilanzen über die Reichsschuld mehr veröffentlicht: Die Gesamtsumme der Mefo-Wechsel war bereits auf über 40 Milliarden Reichsmark gestiegen. Der Übergang zur Defizitfinanzierung bedeutete in den jeweiligen Ländern die endgültige Abschaffung des Goldstandards. Eine Ausnahme bildeten die Länder des "Goldblocks" wie Frankreich, die dafür mit einem Fortdauern der hohen Arbeitslosigkeit bezahlten.
Als bekannt darf man den Konnex zwischen Arbeitsplatzbeschaffung und Kriegsvorbereitung in Nazi-Deutschland voraussetzen. Der kriegerische Raub von konstantem und variablem Kapital (d.h. Rohstoffen und Arbeitssklaven) sorgte für die Wertdeckung der aufgeblähten Geldmenge in Nazi-Deutschland - als am 8. Mai 1945 der grausige Spuk zu Ende war, explodierte die vorher politisch-militärisch zurückgestaute Inflation. Dass dieser Zusammenhang auch für die demokratischen USA galt, ist weniger bekannt: Zwar sank dort die Arbeitslosigkeit von 23 Prozent (1933) auf 11,2 Prozent (1937) - ein selbsttragender Wirtschaftsaufschwung kam jedoch nicht zustande. Als die Staatsausgaben, in Keynes Theorie eigentlich nur als Initialzündung für eine Belebung der privaten Wirtschaftstätigkeit gedacht, 1937 gekürzt wurden, war sofort ein rezessiver Absturz die Folge, der sogar das Ausmaß von 1929 überstieg. Erst mit Kriegseintritt 1941 konnte die Roosevelt-Regierung das Ziel der Vollbeschäftigung erreichen. Auch die USA konnten angesichts gewaltiger Aufblähung der Dollar-Emissionen ihre Währung nur deswegen materiell sichern, weil sie praktisch sämtliche Goldvorräte der Welt im Gegenzug für Kriegslieferungen in ihren Besitz gebracht hatten.
Die Parallelisierung des Deficit Spending in einem faschistischen und einem bürgerlich-demokratischen Staat will nicht deren Kriegsziele auf eine Stufe stellen. Selbstverständlich war Hitlers Aggression verbrecherisch, und der Kriegseintritt der USA und der Sieg der Alliierten ein Glück für die Menschheit. Doch die moralische Dignität, die den US-Kriegsanstrengungen in einer spezifischen historischen Konstellation zukam, verdeckt den ökonomischen Imperativ hinter diesem Spezifikum: Keynesianismus funktioniert nur als Kriegskeynesianismus. Löst sich das Geld vom Gold, vermehrt ein Staat also die Geldmenge ohne Deckung durch das Edelmetall, riskiert er entweder eine Inflation - oder er muss durch den kriegerischen Raub von Rohstoffen und Devisenreserven fremder Länder ein materielles Äquivalent für die erhöhte Liquidität schaffen.
Die Dollar-Krise und das Gold
Deswegen war es folgerichtig, dass die Alliierten als ökonomisches Unterpfand einer Nachkriegsordnung den Goldstandard wieder einführten, wenn auch in modifizierter Form. Im Abkommen von Bretton Woods wurde 1944 festgelegt, dass nicht jede Währung, wohl aber der alle Währungen dominierende US-Dollar an Gold gebunden ist, für die Federal Reserve bestand jederzeitige Umtauschpflicht von Papiergeld in Gold. Doch dieser Vertrag geriet schon nach zwanzig Jahren in die Krise: Mit der Aufblähung der Dollarmenge im Zuge des Vietnamkrieges wurde diese Umtauschpflicht der US-Notenbank zur Farce, die Goldbindung der US-Währung wurde 1971 formell aufgegeben. 1976 beschloss der Internationale Währungsfonds, dem Gold jede währungspolitische Rolle zu nehmen.
Befreit vom Goldanker lief die Notenpresse in den USA seither auf Hochtouren. Parallel stieg das Außenhandelsdefizit und - lediglich unterbrochen durch den kurzen Clinton-Boom - auch das Haushaltsdefizit des Landes auf immer neue Höhen. Für das aktuelle Fiskaljahr musste die Bush-Regierung selbst einen All-Time-Negativ-Rekord von über 500 Milliarden Dollar für je beide Posten zugeben.
Angesichts dieser tiefroten Zahlen wurden ausländische Fonds und Großfinanziers in den vergangenen Monaten misstrauisch und legten ihr Kapital nicht mehr im bisherigen Umfang in den USA an. Um sie dennoch zu locken, ließ Washington eine Verbilligung der eigenen Währung zu - seither muss ein deutscher Millionär weniger Euro aufwenden, um dollarnominierte US-Papiere zu kaufen.
Der Kurs des Greenback könnte noch weitaus tiefer fallen, würde er nicht durch staatliche Interventionen Japans und Chinas in steigendem Umfang gestützt. Um den Kurs der eigenen Währung tief und damit die eigenen Exporte konkurrenzfähig zu halten, hat die Bank of Japan im letzten Jahr rund 188 Milliarden US-Dollar aufgekauft und sich für 2004 sogar eine Interventionssumme von bis zu 570 Milliarden Dollar genehmigen lassen. Aber welche Volkswirtschaft kann es sich auf Dauer erlauben, ihre Währungsreserven für diese Zwecke zu verfeuern?
Kollabiert der Dollar, wird es zu einer Flucht ins Gold kommen. Indikator ist der Anstieg des Goldpreises um 40 Prozent seit Anfang des Jahres 2000 - mit 430 Dollar pro Feinunze war vor kurzem ein Vieljahreshoch erreicht, zur Zeit pendelt die Marke um 410 Dollar. In dieser insgesamt instabilen Situation Gold zu verkaufen ist das Gefährlichste, was eine Zentralbank machen kann.