Plattenfirmen und Pornografen

Die RIAA-Klagen sorgen für ein Überdenken des DMCA

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Unter US-Politikern wachsen die Zweifel an der Klagewelle der Musikwirtschaft. Kritik wird vor allen Dingen an den Datenschutz-Implikationen der Verfahren laut.

In Washington beschäftigte sich jetzt erstmals eine öffentliche Anhörung mit der Klagekampagne der US-Musikwirtschaft, die sich gegen bisher 261 Tauschbörsen-Nutzer richtet. Auf Einladung des Senats durften Vertreter der Internetanbieter Verizon und SBC Communications, der Plattenfirma EMI und der Recording Industry Association of America (RIAA) sowie des Center for Democracy and Technology zur Klagewelle Stellung beziehen. Die Vertreter der Internetwirtschaft kritisierten dabei insbesondere den Abmahn-Prozess, auf dem die Klagen basieren.

Die Plattenfirmen nutzen eine Klausel des 1998 verabschiedeten Digital Millenium Copyright Acts (DMCA), um Provider ohne richterlichen Beschluss zur Herausgabe von Kundendaten zu zwingen. Seit Anfang Juli gingen US-Providern mehr als 1.600 solcher Abmahnungen zu. Verizon-Vizepräsident William Barr erklärte dazu:

Es ist wirklich ironisch, dass der Gesetzgeber es Strafverfolgern schwieriger gemacht hat, auf vertrauliche Informationen bezüglich elektronischer Kommunikation zuzugreifen als privaten Gruppen.

Mit dem von der Musikwirtschaft genutzten Prozess könne praktisch jeder Chat-Teilnehmer die Identität seines Gegenübers offen legen.

P2P-Nutzer verdienen keine Privatsphäre?

RIAA-Präsident Cary Sherman wandte dagegen ein, dass Internetprovider die Privatsphäre ihrer Kunden nur als Entschuldigung nutzen, um besser von Piraterie profitieren zu können. In Bezug auf P2P-Nutzer erklärte er:

Es ist schwer zu verstehen, was für Erwartungen an die Privatsphäre jemand hat, der seinen Computer der Welt öffnet.

Kritische Töne gab es jedoch von drei der anwesenden Senatoren. So erklärte Senator Sam Brownback:

Ich kann nicht guten Gewissens etwas unterstützen, dass von Pornografen und möglicherweise noch geschmackloseren Akteuren dazu genutzt werden kann, Personendaten zu sammeln.

Brownbacks Bezug zur Sexbranche kommt nicht von ungefähr: Im Schatten der RIAA-Klagen hat der Hardcore-Porno-Produzent Titan Media ebenfalls die Namen zahlreicher Kunden von diversen Providern angefordert. Die betroffenen Kunden hatten pornografische Bilder der Firma im Netz veröffentlicht oder Filme über Tauschbörsen-Netzwerke verbreitet. Titan wandte sich daraufhin direkt an die Kunden und forderte sie auf, die Originale der entsprechenden Filme über den Web-Shop der Firma zu erstehen - andernfalls drohe eine Klage.

Coming-out per Copyright-Vergehen

Dieses Angebot ist im Vergleich zu den Forderungen der Musikindustrie noch recht freundlich - gleichzeitig aber durchaus pikant. Titan Media hat sich auf homosexuelle Pornografie spezialisiert. Ein Umstand, der zu ungewöhnlichen Situationen führen kann. So berichtete ein 22-jähriger Yale-Student kürzlich davon, dass seine Familie erst durch Titans Brief von seiner Homosexualität erfahren hat. Die Familie nahm's zum Glück gelassen.

Senator Brownback will sich aber nicht darauf verlassen, dass der Umgang mit sensiblen Informationen immer derartig glimpflich ausgeht. Er hat deshalb diese Woche ein Gesetz vorgestellt, dass Copyright-Inhabern den bisherigen Weg des Adressen-Sammelns verbieten würde. Statt dessen müssten sie dann eine Anzeige gegen Unbekannt stellen, bevor sie Zugriff auf die Kundendaten eines Internet-Anbieters hätten.