Polen: Säuberungen in den Gerichtsstuben
Die PiS-Regierung will die Judikative umbauen, Kritiker warnen vor einer Aufhebung der Gewaltenteilung
"Die Richter werden künftig dem polnischen Volk dienen", sagte Polens Justizminister Zbigniew Ziobro in einem Interview in der regierungsnahen Rechtspostille "wSieci" am Dienstag. Der Politiker der nationalkonservativen Regierung plant umfassende Veränderungen des Rechtswesens, einige Richter warnen vor einer Aufhebung der Gewaltenteilung.
Besonders prekär gilt ein Gesetz, das noch vor dem 1. Juli in Kraft treten soll. Nach dem kann Ziobro innerhalb eines Jahres jeden ersten Richter eines ordentlichen Gerichts, bis auf die Verwaltungsgerichte, austauschen. Ohne jegliche Angabe von Gründen. Somit wird der 46-jährige Politiker, der bereits formal als Generalstaatsanwalt wirkt, praktisch zum obersten Richter. Das Gesetz wurde in der vergangenen Woche ausgearbeitet, im Aufmerksamkeitsschatten von Ostern und dem Skandal um die Eskapaden des ehemaligen Pressesprechers des Verteidigungsministers.
Zudem drohen Veränderungen in der Kontrollinstanz des "Nationalen Gerichtsrats" (KRS) , der über die Nominierung von Richtern mitentscheidet. Bislang wurden dessen 17 Richter vornehmlich von einer Richterversammlung gewählt, nun soll der Sejm alle Mitglieder bestimmen, die Instanz würde zudem in eine juristische und politische Kammer aufgeteilt. Der KRS erfüllt neben dem Verfassungsgericht, das von der PiS bereits gleichgeschaltet worden ist, über eine Kontrollfunktion von Urteilen und kritisiert auch öffentlich Gesetzesentwürfe der Regierung.
Zudem soll das Oberste Gericht von der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ausgehebelt werden, dessen Sitz in Warschau bereits von einem Zeltdorf aus nationalkatholischen Protestlern umlagert ist. Nach informellen Quellen des Nachrichtenkanals TVN24 sollen dort alle 93 leitenden Richter ihres Amtes enthoben werden. Zudem soll in diesem Gericht eine "Disziplin-Kammer" gegründet werden, die sich darauf spezialisiert, Verfehlungen von Richtern und Staatsanwälten abzustrafen.
Die Wahl der der ersten Richterin dieser Instanz, Malgorzata Gersdorf, wird von einer Gruppe von PiS-Parlamentariern bereits als verfassungswidrig bezeichnet, ein erster Antrag beim Verfassungsgericht ist schon eingereicht. Gersdorf gilt nach dem seit Dezember in den Ruhestand getretenen Verfassungsrechtler Andrzej Rzeplinski als die Stimme der Opposition aus der Richterschaft. Sie spricht von einem "Propagandakrieg" und fordert ihre Amtskollegen auf, jeden Rechtsübertritt des Regierungslagers zu registrieren.
Chancen für eine politisierte Gerichtsbarkeit sind derzeit günstig
Die höhere Richterschaft Polens und die heutige Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) sind sich schon lange in gegenseitiger Abneigung verbunden. Die PiS sieht die ältere Belegschaft als Überbleibsel aus kommunistischen Zeiten, sie habe die Aufarbeitung mit ihrer Vergangenheit nicht vollzogen, Abgeordnete bezeichnen die Richter als "Klüngel" oder "Gruppe von Kollegen", gleichzeitig attackieren die Nachrichtensendungen des Staatssenders TVP seit Beginn diesen Jahres die Richter mit diskreditierenden Berichten wie über einen vermeintlichen Ladendiebstahl eines Würdenträgers.
In der kurzen Regierungszeit 2005 bis 2007 konnte die PiS die Justizreform noch nicht umsetzen, so wurden die von Ziobro, damals auch Justizminister, eingeführten 24-Stunden-Gerichte nach der verlorenen Wahl wieder entschärft.
Doch nun sind die Chancen für eine politisierte Gerichtsbarkeit in Polen gut. Gleich nach der Wahl im Herbst 2015 erließ die PiS Gesetze, die das Verfassungsgericht in seiner Unabhängigkeit lähmten. Darum hat die EU-Kommission seit Januar 2016 ein Rechtstaatlichkeitsverfahren gegen Polen in dessen letzter Konsequenz Polen das Stimmrecht in der EU entzogen wird. Da diese Entscheidung jedoch von allen EU-Mitgliedern abgesegnet werden muss, zeigt sich die Regierung unter Beata Szydlo gelassen, ist doch das ebenfalls autoritär regierte Ungarn auf Seiten Polens. "Ich weiche keinen Schritt zurück", erklärte Ziobro zu seinen Plänen - an seine Landsleute wie auch an Brüssel adressiert.
Der Richter Bartlomiej Przymusinski von der Berufsvereinigung Lustitia befürchtet, dass in Zukunft Richter nach Vorstellungen der Staatsanwaltschaft urteilen werden, um Disziplinarstrafen zu entgehen.
Dem Normalbürger könnten nun Nachteile bei Steuerstreitigkeiten, Entschädigungsklagen gegen den Staat, Demonstrationsrechten, Problemen in der Arbeit aufgrund politischer Ansichten oder unmittelbaren Konflikten mit einem Politiker der Regierungspartei entstehen.
Stoppen könnte die Gesetzesnovellen Staatspräsident Andrzej Duda, der Zweifel zu ihrer Rechtmäßigkeit anmeldete. Doch bislang hat das polnische Staatsoberhaupt alles unterschrieben, was ihm die Regierungspartei vorgelegt hat.