Polen im "Gaskrieg" zwischen Russland und der Ukraine

In Polen wird angesichts der Abhängigkeit vom russischen Gas über die Energieversorgung diskutiert, wodurch sich die Haltung zur Ukraine verändert

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Im Vergleich mit anderen osteuropäischen Mitgliedern der Europäischen Union ist Polen nicht besonders hart von dem Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine betroffen. Die Versorgung der Industrie und der Bevölkerung ist gesichert. Doch wenn der Lieferstopp nach Westeuropa länger andauern sollte, was nach der Ablehnung des durch die EU vermittelten Abkommens seitens Russlands aufgrund einer von der Ukraine hinzugefügten Erklärung wieder wahrscheinlicher wird, könnte es auch östlich der Oder zu einigen Engpässen kommen, wie PGNiG, der größte Gasversorger des Landes, mittlerweile zugeben musste. Aus diesem Grund ist in Polen eine erneute Diskussion über die Energieversorgung des Landes ausgebrochen, die indirekt auch eine Debatte über die Haltung Polens zur Ukraine ist, als dessen Mentor sich Warschau versteht.

Egal ob in Warschau, Danzig oder Krakau, überall in Polen funktionieren die Gasherde und Heizungen seit Anfang des Jahres einwandfrei. Zum Glück der Bevölkerung, denn während die osteuropäischen Nachbarn aufgrund des russisch-ukrainischen Gasstreits unter dem Kälteeinbruch zu leiden haben (A Cold Start to the New Year), können sich die Polen in ihren warmen Wohnungen geborgen fühlen. Ein Grund dafür sind die Gasreserven des Landes und die weißrussische Gaspipeline, die Polen zusätzlich zu der ukrainischen Transitpipeline mit russischem Gas versorgt.

Für ein Gefühl der Sicherheit sorgen aber nicht nur die Gasreserven, sondern auch die Regierung und der größte Gasversorger des Landes, PGNiG, die seit dem 1. Januar immer wieder verkünden, die Versorgung der Bevölkerung trotz des erneuten „Gaskrieges“, wie die meisten polnischen Medien den Konflikt tauften, gewährleisten zu können.

Dennoch setzte das Land große Hoffnungen auf das am Donnerstag stattgefundene und zuerst gescheiterte Vermittlungsgespräch zwischen den beiden Konfliktparteien Gazprom und Naftogaz in Brüssel. Die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita berichtete sogar schon am Mittwoch, und berief sich dabei auf russische Quellen, dass bei dem von der Europäischen Union initiierten Treffen der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine beigelegt werden würde.

Die Meldung der Rzeczpospolita zeigt aber, wie nervös die Polen, trotz aller Sicherheitsbeteuerungen, auf den Gasstreit zwischen ihren östlichen Nachbarn blickten. Bereits am Mittwoch, einen Tag nachdem Russland die Gaslieferungen in die ersten EU-Staaten durch die Ukraine einstellte, bekundete Außenminister Radoslaw Sikorski Polens Bereitschaft, zwischen den Konfliktparteien zu verhandeln und Beobachter in die Ukraine zu entsenden.

Und dies nicht ohne Grund. 68.4 Prozent seines Gasbedarfs importiert Polen, davon 67 Prozent direkt bei Gazprom und 24.5 Prozent von RosUkrEnergo, einem Tochterunternehmen des russischen Staatsunternehmens. Und 25 Prozent dieses aus Russland stammenden Gases gelangen nach Polen durch die Ukraine. Dies ist zwar nicht der Großteil des eingeführten Gases, aber doch eine Menge, die beim Ausfall Auswirkungen auf die polnische Wirtschaft hat. Gleich am 7. Januar kürzte PGNiG zwei seiner größten Kunden, dem auch in Deutschland tätigen Mineralölkonzern PKN Orlen und dem Chemieunternehmen Pulawy, die Gaslieferungen.

Wer für diese Situation verantwortlich ist, ist zumindest für den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski ganz klar. „Im aktuellen Gaskonflikt zwischen der Ukraine und Russland sollte sich Polen auf die Seite Kiews stellen“, sagte der Präsident am 6. Januar auf einer Pressekonferenz, auf der er auch ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko für den kommenden Mittwoch ankündigte. Und bei diesem im polnischen Kurort Wisla stattfindenden Treffen dürfte Juschtschenko die volle Unterstützung seines Gastgebers erfahren, der den Gasstreit auch dazu nutzte, um der EU zum wiederholten Male eine zu „nachgiebige Haltung“ gegenüber Russland vorzuwerfen.

Polnische Regierung geht auf Distanz zur Ukraine

Kritischere Töne dürfte Viktor Juschtschenko dagegen vom polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski vernehmen, der bei dem Treffen der beiden Präsidenten anwesend sein wird und zwei Tage später selber nach Kiew fliegen wird, um dort mit der ukrainischen Regierung über die momentane Situation zu sprechen. Denn Sikorski wird nicht die Meinung des Präsidenten vertreten, sondern die der polnischen Regierung, die im russisch-ukrainischen Gasstreit eine andere Position vertritt als der Präsident. Sikorski bekundete in den letzten Tagen zwar auch, die Ukraine weiterhin zu unterstützen, doch im Gasstreit will Warschau keine klare Position beziehen. „Polen sollte nichts unternehmen, was den aktuellen Gasstreit anheizen könnte“, sagte der Außenminister und begründete diese Aussage mit dem komplizierten und teilweise geheimen Vertragswerk, das zwischen Russland und der Ukraine geschlossen wurde.

Diese vorsichtige Haltung gegenüber der Ukraine ist durchaus überraschend, denn egal welche Partei und Koalition in Polen regierte, Warschau verstand sich bisher immer als Fürsprecher und Anwalt seines östlichen Nachbarn. Und an dieser Haltung hat sich nichts verändert. Bis heute unterstützt und drängt Warschau auf eine Integration der Ukraine in die Strukturen der NATO und der Europäischen Union, da Warschau diesen Schritt als sehr wichtig für die europäische Sicherheitspolitik erachtet. Doch die permanente politische Krise am Dnjepr ernüchterte mittlerweile auch die polnische Außenpolitik. Erst Anfang Januar stellte Sikorski in einem Interview klar, dass sich Kiew aufgrund der ständigen Koalitionskrisen selbst den Weg in das nordatlantische Verteidigungsbündnis und die EU verbaut hat.

Noch kritischer als Radoslaw Sikorski äußerte sich der ehemalige Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, der sich selbst gern als „Anwalt“ der Ukraine bezeichnet, über die ukrainische Politik. „Das größte Übel ist, dass sich die ukrainischen Politiker mit der permanenten Krise abgefunden haben, sich nicht mal an ihr stören“, sagte Kwasniewski der Gazeta Wyborcza. „Die Ukraine nimmt zu wenig Rücksicht auf die Welt. Und bestimmte Sachen kann man sich in den Zeiten der globalen Finanzkrise nicht mehr erlauben“, erklärte der ehemalige Staatspräsident weiter und machte keinen Hehl daraus, dass er die Ukraine mitverantwortlich macht für den russischen Lieferstopp nach Westeuropa.

Bei dieser Enttäuschung über die politischen Verhältnisse in der Ukraine ist es nicht verwunderlich, dass in Warschau auch eine erneute Diskussion über die Gasversorgung des Landes ausgebrochen ist. Und bei dieser Debatte erinnern sich plötzlich selbst die größten EU-Skeptiker an die Vorteile, die eine gemeinsame europäische Energiepolitik haben könnte. Selbst Staatspräsident Lech Kaczynski, der in den letzten Jahren noch gemeinsam mit seinem Bruder ein Partnerschaftsabkommen der EU mit Russland verhinderte, fordert plötzlich einen Vertrag zwischen der Europäischen Union und Russland. Ein Vertragswerk übrigens, welches die Regierung von Donald Tusk seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2007 forciert.

Polen ist vom russischen Gas abhängig

Und dies ist mit der Realität verbunden, mit der Polen sich in seiner Energiepolitik konfrontiert sieht. Donald Tusk und seine Regierung müssen sich damit abfinden, dass sie vom russischen Gas abhängig sind. Alle Bemühungen, sich von Russland energiepolitisch unabhängig zu machen, sind bisher gescheitert. Die von Warschau favorisierte Realisierung einer Gaspipeline von Norwegen nach Polen kann aufgrund der hohen Kosten nicht realisiert werden.

So würde sich Polen zumindest gerne von dem unzuverlässigen Transitland Ukraine unabhängiger machen. Dazu gehört der Ausbau der durch Weißrussland führenden Jamal-Pipeline, durch die Polen den Großteil seines russischen Gases erhält. Doch dieses Projekt wiederum scheitert wegen der Nord Stream-Pipeline an dem Widerstand Moskaus. „Unsere europäischen Partner haben jetzt begriffen, dass dieses Projekt nötig ist und schnell realisiert werden muss“, erklärte Wladimir Putin in Bezug auf die umstrittene Ostsee-Pipeline vergangene Woche in Sankt Petersburg, bei einem Treffen mit Alt-Kanzler Schröder. Doch in Polen ist man von der Ostsee-Pipeline, die der heutige Außenminister Sikorski vor einigen Jahren mit dem Hitler-Stalin-Pakt verglich, bis heute nicht überzeugt.

Der von Polen angestrebte Ausbau der Jamal-Pipeline scheitert aber nicht nur an den russischen Interessen, sondern auch an dem Misstrauen, welches man in Polen gegenüber Weißrussland hegt. Die Beziehungen zwischen Warschau und Minsk sind zu angespannt, um eine vertrauensvolle Nachbarschaft zu führen. Deshalb gehen sowohl polnische als auch ausländische Energieexperten davon aus, dass in näherer Zukunft Weißrussland die russischen Gaslieferungen nach Polen blockieren oder zumindest eindämmen könnte.

So sind die Töne und Forderungen, die in den letzten Tagen in der polnischen Politik zu vernehmen waren, nicht besonders verwunderlich. Am Freitag debattierte der Sejm und quer durch alle Fraktionen forderte man eine von Russland unabhängige Energiepolitik. Diese erhofft sich Warschau von neuen Gesprächen mit Norwegen und der Realisierung einiger seit Jahren in den Schubladen liegender Projekte, wie dem so genannten Gashafen. Hoffnungen setzt man in Warschau aber auch auf die Nabucco-Pipeline, die Europa zukünftig von Russland unabhängiger machen würde. Doch bis zum Bau der Nabucco-Pipeline und der Fertigstellung der anderen Projekte, soll sich Polen, zumindest nach dem Willen des Wirtschaftsministers Waldemar Pawlak, verstärkt auf seine Kohlekraftwerke konzentrieren.