Polen im Streit um das Verhältnis zu Russland
Das polnische Außenministerium entlarvt das polnische Außenministerium
Witold Waszczykowski, Chef der polnischen Diplomaten, veröffentlichte diese Woche ein internes Dokument aus dem Jahr 2008, das die verhasste Vorgängerregierung in die Nähe des Kremls rücken soll. "Die Notiz zeigt, dass diese Regierung einen prorussischen Wandel vollzogen hat" - angeblich auf Kosten postsowjetischer Staaten wie der Ukraine und Georgien.
In dem Papier vom März 2008 wurde eine "aktuelle politische wirtschaftliche militärische Expansion Russlands" als gering eingeschätzt. Diese Bewertung wurde vor der Invasion Russlands in Georgien im August 2008 abgegeben.
Damals regierte die Partei "Bürgerplattform" (PO), die 2015 von der nationalkonservativen "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) abgelöst wurde. Grzegorz Schetyna, der derzeitige Chef der PO appellierte am Mittwoch an den Präsidenten, in diesem Fall ein Machtwort zu sprechen. Andere Oppositionspolitiker forderten gleich den Rücktritt. Dass interne Notizen des Außenministeriums für innenpolitische Kämpfe genutzt werden, gilt in der Welt der Diplomatie als eher unkonventionell.
Die Attacke des Politikers wird von den liberalen Medien auch als Versuch gewertet, wieder in der Gunst der Regierungspartei zu steigen. Denn nach Angaben der konservativen Zeitung "Rzeczpospolita" steht der Minister dort schon lange auf der Abschuss-Liste. Grund ist Robert Grey, ein ehemaliger Mitarbeiter von US-Geheimdiensten, den er zum Vizeminister ernannt hatte. Dazu kam der internationale Spott über "San Escobar" hinzu, ein Land, zu dem nach Waszczykowski Polen angeblich diplomatische Kontakte aufgenommen hatte, das jedoch gar nicht existiert.
EU-Ratspräsidenten Donald Tusk steht unter Beschuss
Weiter steht der 59-jährige Außenpolitiker durch "Smolensk" unter Druck. Nahe Smolensk stürzte am 10. April 2010 der damalige Präsident Lech Kaczynski mit seiner 95-köpfigen Entourage in einer Tupolew beim Landeanflug ab. Der Vorgängerregierung unter Donald Tusk wurde von der PiS stets vorgeworfen, sie tue nichts, um das Wrack der Präsidentenmaschine aus Russland zurückzubekommen. Auch Waszczykowski konnte diesbezüglich keine Erfolge vorweisen, zumal die Beziehungen zwischen Warschau und Moskau seit Regierung der PiS noch mehr auf Eis liegen.
Doch nun unterstellt Waszczykowski anlässlich des Dokuments dem heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, durch seine Nachgiebigkeit gegenüber Russland sei es dazu gekommen, dass Lech Kaczynski getrennt von ihm nach Smolensk hatte fliegen müssen. Somit habe die verfehlte Russlandpolitik Schuld an dem Ableben des Präsidenten gehabt. Dieser ist nicht von Wladimir Putin zu den Feierlichkeiten im westrussischen Katyn am 7. April eingeladen worden. Dort wurde der polnischen Offiziere gedacht, die 1940 vom sowjetischen Geheimdienst erschossen worden waren.
Das Trauma von Smolensk lässt den Bruder und Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski nicht ruhen, wiederholt beschwört er, die Wahrheit zu finden und die "Verräter" zu bestrafen. Der 68-Jährige gilt als der eigentliche Entscheider an der Weichsel. Ob Waszczykowski nun das Wohlwollen Kaczynskis erworben hat, bleibt offen.
Doch der eher schwerfällig wirkende Politiker könnte mit der Enthüllung sich selbst ins Zwielicht bringen, denn 2008 war er selbst stellvertretender Außenminister, bis er 2009 von seinem damaligen Chef Radoslaw Sikorski entlassen wurde. Waszczykowski habe jedoch seinerzeit von dem "prorussischen" Dokument nichts erfahren. Radoslaw Sikorski erklärte per Twitter, die Veröffentlichung sei eine politische Attacke gegen ihn und die Bürgerplattform. Sikorski wirkte in der ersten PiS-Regierung als Verteidigungsminister, schloss sich dann 2007 der PO-Regierung an und wurde dort Außenminister. Unter seiner Amtszeit habe es ein Partnerschaftsangebot an die Ukraine gegeben, das Russland als Affront gesehen habe.
Der Politiker, der englischen Zwirn liebt, in Oxford studierte, Kriegsberichterstatter in Afghanistan wie Angola war und der vor seinem Landhaus die Aufschrift "Dekommunisierte Zone" hat anbringen lassen, gilt heute als populäres Angriffsziel der Vertreter des zumeist weniger weltgewandten PiS-Lagers. Zur These, die PO-Regierung sei "prorussisch", wird die PiS-Regierung wohl noch so manche Dokumente auftischen.