Polen versucht "russischen Spion" ohne Beweise unbegrenzt zu inhaftieren

Pablo Gonzále. Foto: Oihana Goiriena

Der Journalist Pablo González ist nun schon ein Jahr inhaftiert, ohne dass Polen eine Anklage oder Beweise für die absurde Anschuldigung einer Spionage für Russland vorlegt hätte

Seit nun einem Jahr sitzt der baskische Journalist Pablo González in Polen im Gefängnis von Radom in Isolationshaft. Die polnische Justiz wirft ihm eine angebliche Spionage für Russland vor.

Das zuständige Gericht hat, wie allgemein befürchtet, nach einem Jahr die Untersuchungshaft um weitere drei Monate verlängert. Er wird also mindestens bis zum 24. Mai 2023 in polnischer Untersuchungshaft bleiben. Derzeit spricht nichts dafür, dass er dann freikommen wird. Vielmehr spricht alles dafür, dass Polen den Journalisten für lange Zeit inhaftieren will.

Das polnische Justizsystem stand vor dem Krieg gegen die Ukraine auch im Rampenlicht der EU. Sie hatte wegen Rechtsstaatsproblemen sogar Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land eingeleitet. Jetzt lässt die polnische Justiz sogar zu, Menschen "sine die" (auf unbestimmte Zeit) in Untersuchungshaft zu halten.

Das erklärt einer der polnischen Anwälte des Basken nun im Interview. Damit nicht genug der Merkwürdigkeiten in diesem "Rechtsstaat". Die Staatsanwaltschaft muss auch in der Zeit keine Anklage vorlegen. Der Verteidigung ist es verboten, etwas aus den Dokumenten zu veröffentlichen, die ihnen vorgelegt werden.

Dazu kommt auch, dass Polen Pablo González zunächst für Tage komplett verschwinden ließ und ihm dann nur einen Pflichtverteidiger zuwies. Seinem Vertrauensanwalt aus Madrid wird der Zugang und jeglicher Kontakt mit seinem Klienten bis heute verweigert.

Der Pass

Auch deshalb hat der Anwalt Boye immer wieder auch gegenüber Telepolis erklärt, dass offensichtlich in Polen "die Grundrechtecharta der EU nicht gilt". Verteidigungsrechte des Journalisten werden weiter ausgehebelt. Es ist sehr erhellend, dass sich Polen erst jetzt mit einem Rechtshilfeersuchen an Spanien gewandt hat, um die Passfragen zu klären.

Darauf basieren nämlich hauptsächlich die Anschuldigungen aus Polen. Der Sprecher des koordinierenden Ministers für den Geheimdienst hatte kurz nach der Inhaftierung von González gegenüber polnischen Medien erklärt, dass er mit "zwei Pässen und zwei Kreditkarten russischer Banken für zwei verschiedene Identitäten" festgenommen worden sei.

Dabei ist längst bekannt, dass der Baske über eine spanische und eine russische Staatsangehörigkeit verfügt, deshalb auch über zwei Pässe und Kreditkarten. Boye erklärt dazu, dass sich Polen "im Kreis dreht". Es geht offensichtlich darum, Zeit zu gewinnen.

Die Passfrage sei schon kurz nach seiner Verhaftung geklärt worden, entsprechende Dokumente habe die Verteidigung nach Polen übermittelt. In Spanien wurde sein Name im Alter von neun Jahren auf den Namen der Mutter geändert. Bis dahin hieß er in Russland Pavel Rubtsov nach dem Namen des Vaters, da der Baske 1982 in Moskau geboren wurde.

Seine Mutter ist die Tochter eines der "Kriegskinder", die mit dem Vorrücken der Putschtruppen unter General Franco in verschiedenen Ländern in Sicherheit gebracht wurden. Mit dem Ende der Sowjetunion kehrten viel Nachfahren von Kriegskindern auch aus Russland in die alte Heimat zurück. Damals machten die spanischen Behörden aus Pavel Rubtsov eben Pablo González.

Ein Spion?

Das ist den polnischen Ermittlern längst bekannt, sie suchen aber offenbar nach Vorwänden, um den Journalisten möglichst lange inhaftieren zu können. Selbst der ehemalige Geheimdienstchef Piotr Niemczyk verhöhnte in einem Beitrag für Gazeta Wyborcza seine ehemaligen Kollegen. Dass sich ein "russischer Spion" für Menschenrechte einsetze und Flüchtlinge unterstütze, die vor Putin fliehen, kommt ihm ziemlich spanisch vor.

Denn aus dem Grenzgebiet berichtete Pablo González für diverse Medien über die Flüchtlingsströme vor einem Jahr. "Kein ausgebildeter russischer Spion, getarnt als Journalist, würde sich erlauben, zwei Pässe und Kreditkarten des Landes mit sich zu führen, für das er spioniert", plaudert der Experte aus dem Nähkästchen. "Kein operatives Verfahren der Welt lässt dies zu."

Auch in westlichen Geheimdienstkreisen wird González als Beispiel für eine umfassende russische Spionage angeführt. Auf dem Aspen-Sicherheitsforum in den USA hatte der Chef des britischen MI6 versichert, dass die Spionagekapazität Russlands in Europa dank der Ausweisung von 400 Spionen reduziert worden sei. Nannte Richard Moore dabei auch den baskischen Journalisten. Beweise? Fehlanzeige!

Grundrechte?

Erschwerend kommt zu den Vorgängen auch die Haftbedingungen hinzu, die immer stärker an das Vorgehen gegen Julian Assange erinnern. González wird zwar nicht als besonders gefährlicher Gefangener eingestuft, aber real wird er so behandelt.

Er sitzt seit einem Jahr in Isolationshaft, darf die Zelle 23 Stunden nicht verlassen und wenn nur mit Handschellen gefesselt. Er hatte bisher nur einen Besuch seiner Frau. Briefe kommen nur mit großer Verspätung an, wenn sie überhaupt durchkommen.

Der Journalist hat auch keinerlei Kontakt zu seinen Kindern und darf nicht mit der Familie telefonieren. Anwalt Boye befürchtet, dass man ihn über die harten Haftbedingungen brechen will, damit er etwas zugibt, was er nicht getan hat. Er ist überzeugt, dass er nur dafür angeklagt wird, "dass er Nachrichten und Informationen verbreitet hat, die nicht zu ihrer politischen Linie passen".

Schließlich befinden wir uns auch im Informationskrieg. Dass González seit Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzung im Osten der Ukraine auf beiden Seiten recherchiert hatte, hatte ihm schon eine Vernehmung durch den ukrainischen Geheimdienst eingebracht.

Dass González weiter inhaftiert ist, verstört auch Menschenrechtsorganisationen. Amnesty International (AI) zum Beispiel kritisiert die Vorgänge und fordert ein sofortiges Ende der Isolationshaft.

AI erinnert an den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Artikel 9 Absatz 2) und die Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 5 Absatz 2). Demnach müsse jede Person so bald wie möglich über die Gründe für ihre Inhaftierung sowie über alle Rechte zur Anfechtung ihrer Inhaftierung informiert werden, was bis heute nicht der Fall ist.

Untersuchungshaft ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die Abkommen sehen "ausdrücklich die Freilassung der Person", wenn garantiert ist, dass sie vor Gericht erscheint, wie durch eine Kaution oder über Meldeauflagen, weshalb AI "die Freilassung bis zur Gerichtsverhandlung fordert".

AI erinnert daran, dass "der Zugang zum Rechtsbeistand in den frühen Phasen des Verfahrens und der gerichtlichen Untersuchung besonders wichtig ist, um ein faires Verfahren zu gewährleisten". Das hat Polen unterlaufen.