Politiker als Werbeträger für Scharlatanerie
Die Esoterik- und "Alternativmedizin"-Szene nutzt Polit-Promis, um die eigene Seriosität zu steigern
Verschwörungstheorien im alternativ-aufklärerischen Gewand haben derzeit Hochkonjunktur. Egal, ob es dabei um eine verkürzte Kritik des Wirtschaftssystems geht, bei der - meist jüdische - Familien als Strippenzieher einer imaginierten Weltregierung gesehen werden, oder das an sich drängende Problem des Umweltschutzes mit abstrusen Theorien zu Chemtrails, die angeblich die Bevölkerung mittels chemischer Gifte gefügig machen sollen, geradezu ins Lächerliche gezogen wird: Der Wahnsinn mobilisiert seit den so genannten Montagsmahnwachen, die vorgeben, sich für Frieden und eine gerechtere Welt einzusetzen, immer mehr Bürger. Sie eint die Erkenntnis, dass sich gesellschaftlich etwas verändern muss - und die Suche nach einfachen Antworten, die mit der komplexen Lebenswirklichkeit bestenfalls noch am Rande zu tun haben.
Die Ängste dieser "Wahrheitssuchenden" zu bedienen und zu schüren, ist ein lukrativer Markt. Die Berliner Firma Adviqo, die bisher mit Produkten wie AstroTV vor allem Esoteriker angesprochen hat, versucht nun den Brückenschlag zwischen Wahrsagerei und Seriosität. Das neue Magazin Mindart, das erstmals im Oktober erschienen ist, soll laut Untertitel "Bewusstsein für die Welt von morgen" schaffen. Chefredakteur Nicolas Flessa geht es laut Editoral darum zu versuchen, "das eigene Leben und das Leben der anderen ein klein wenig besser zu machen".
Herausgekommen ist ein als journalistisches Produkt getarntes Werbemagazin im grün-alternativen Anstrich. Die mangelnde Distanz zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung ist offensichtlich und zeigt, dass die nach außen hin so konsumkritische esoterisch-alternative Bewegung durchkommerzialisiert ist wie der Rest der Gesellschaft auch. Im Fall von Mindart ist das nur teilweise harmlos: etwa wenn das Interview mit der Schauspielerin Christine Kaufmann über ihr neues Buch gemeinsam mit einer Anzeige ihres Verlags endet, in der eben dieses Buch beworben wird.
Doch zwischen vergleichsweise harmloser Alltagsesoterik versteckt sich auch gefährlicher Unsinn. So darf in der ersten Ausgabe Ruediger Dahlke, ein alternativer "Mediziner" und "Ernährungsexperte" auf immerhin fünf Seiten über "die neue Ernährung" schreiben, die Dahlke zufolge eine vegane ist.
Der "Ernährungsexperte" Dahlke, der daran glaubt, dass sich Menschen sogar ausschließlich von Licht ernähren können und dem 2013 für sein umfangreiches Lebenswerk bereits das Goldene Brett vorm Kopf verliehen wurde, schreibt der veganen Ernährung, die er werbewirksam "Peace Foood" nennt, wundersame Heilwirkungen zu:
Krankheitsbilder wie Rheuma und Diabetes II, hohen Blutdruck und Gicht lassen sich mit 'Peace Food' ziemlich bequem und obendrein schmackhaft loswerden. Andere noch gefährlichere wie die Todesursachen Nummer 1, Herzerkrankungen und Krebs, werden verblüffend besser.
Nebenbei kanzelt Dahlke seine Ärztekollegen, die auf Basis der wissenschaftlichen evidenzbasierten Medizin arbeiten, als unwissend ab. Das Wenige, was Ärzte in ihrem Studium über Ernährung gelernt hätten, sei fast gänzlich falsch gewesen.
Um dem Magazin und seinen Inhalten Seriosität zu verleihen, setzt das Magazin offenbar auf Prominenz; insbesondere Politiker aller Couleur scheinen es den Machern angetan zu haben. Und die ködert man offenbar mit einigem Erfolg. Bei der Feier zur Erstausgabe von Mindart im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann folgte ausgerechnet der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn der Einladung des Magazins. Mindart stellt den prominenten Gast auf Facebook gerne zur Schau - auch wenn es kaum inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Mindart und dem CDU-Bundestagsabgeordneten gibt. Der Politiker wird vielmehr zu einer Art Trophäe, die zeigen soll: seht her, selbst etablierte Konservative nehmen uns ernst und diskutieren mit uns.
Auf Nachfrage von Telepolis, wie es zu dem Auftritt bei Mindart gekommen sei, erklärt Jens Spahn, dass er kurzfristig zu einer Diskussionsrunde zum Thema "Die Welt von morgen" eingeladen worden sei. Er habe an einer Diskussion zum Thema Bürgerbeteiligung teilgenommen, da "das Format der Veranstaltung mit Kunst, Debatte und Abendessen" ansprechend geklungen habe. Rüdiger Dahlke oder die inhaltliche Positionierung der Zeitschrift seien ihm vorab nicht bekannt gewesen. Aus Spahns Büro heißt es, in Zukunft würde man genauer überprüfen, welche Veranstaltungen besucht werden und welche nicht. Wären die Details vorher bekannt gewesen, Jens Spahn hätte sich wohl nicht auf einen Auftritt mit dem Wunderdoktor Dahlke eingelassen.
Von Mindart überrumpelt wurde auch Cem Özdemir. Für die zweite Ausgabe kündigt das Magazin ein Interview mit dem Bundesvorsitzenden der Grünen an - zwischen Parapsychologie und dem "Naturgedächtnis" von Rupert Sheldrake. Das Thema: "Wir alle sind die Milchstraße. Ein Gespräch über Flüchtlinge und Ideale in der Politik."
Auch gegenüber Cem Özdemir hat Mindart auf den Überraschungseffekt gesetzt, wie eine Sprecherin der Grünen erklärt. Das Interview sei nach direkter Ansprache am 1. Juli auf einer Fundraising-Veranstaltung geführt worden, eine offizielle Anfrage über die Pressestelle habe es nie gegeben. Özdemir wurde demnach erklärt, es handele sich bei Mindart um ein Magazin, welches sich mit Kultur und Politik beschäftige. Verwundert ist man bei den Grünen auch darüber, dass das Interview erst nach einem halben Jahr erscheinen soll - immerhin sei es um die aktuelle Lage in Syrien, dem Irak und in Ägypten gegangen. Da es mittlerweile völlig veraltet sei, sei man mit der Mindart-Redaktion dabei verblieben, das Interview nicht zu drucken.
Amardeo Sarma, der Vorsitzende der GWUP, sieht in dem Versuch von Mindart, sich mit Politikern zu zeigen, vor allem eine Marketingstrategie. Jeder, der in der Öffentlichkeit etwas anbieten oder verkaufen will, zeige sich gern mit Politikern oder anderer Prominenz. Sarma warnt jedoch davor, sich darauf einzulassen: "Politiker sollten sich dessen bewusst sein, dass bereits eine Instrumentalisierung im Sinne der Esoterik ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigt", erklärt er gegenüber Telepolis. Auch im Sinne des Verbraucherschutzes stünden Politiker in der Verantwortung, "sich von nutzlosen oder gar schädlichen Angeboten zu distanzieren, statt sie zu fördern".
Immerhin: Sowohl Jens Spahn als auch Cem Özdemir scheinen in Zukunft genauer hinsehen zu wollen, mit wem sie sich in die Öffentlichkeit begeben.
Weniger Hemmungen hingegen scheint hingegen Thomas Rachel (CDU), seines Zeichens immerhin Staatssekretär beim Forschungsministerium, zu haben. Er trat jüngst auf einem alternativen Krebs-Kongress in Jülich auf - inmitten von Ausstellern, die teils gefährliche Krebstherapien wie die Einnahme von Aprikosenkernen empfehlen. Diese setzen bei der Verdauung jedoch giftige Blausäure frei - was im schlimmsten Fall tödlich enden kann. Derlei Unsinn darf sich nun dank des prominenten Gastredners aufgewertet fühlen.
Das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, auch einmal zu prüfen, auf wessen Bühne man sich da überhaupt stellt, fehlt leider auch in der Politik noch all zu oft.