Politischer Sprengstoff
Die Kriterien der Rasterfahndung werden in Berlin immer mehr ausgeweitet. Für den heutigen Mittwoch forderte das Landeskriminalamt weitere Datensätze an
Im Rahmen der Suche nach den Hintermännern der Terroranschläge vor zwei Monaten in den USA wird die umstrittene Rasterfahndung in Berlin massiv ausgeweitet. Im Zentrum der Fahndungsmethode stehen nach wie vor die Universitäten der Hauptstadt, aber auch eine Reihe weiterer Institutionen sind betroffen. Nach einer Sitzung des Akademischen Senats der traditionsreichen Humboldt-Universität am Dienstag Vormittag scheint die Leitung der Universität willens, die zusätzlichen Datensätze freizugeben.
Nach einem Beschluss des Amtsgerichtes Tiergarten fordert das Landeskriminalamt Personendaten von Studenten aus nun 28 Staaten an (Schreiben des Polizeipräsidenten Seite 1 , Länderliste Seite 2 ). Als vor knapp einem Monat die ersten Daten freigegeben wurden, standen Studierende aus nur 15 Ländern im Visier der Fahnder. Zu den neu aufgenommenen Staaten zählen auch Bosnien, Israel und Frankreich. Mit Frankreich ist erstmals ein europäisches Land von der Rasterfahndung in Deutschland betroffen.
"Widerstand gegen die rassistischen Methoden" der Strafverfolgungsbehörden kündigte umgehend die Studierendenvertretung des Humboldt-Universität an. Schon nach Beginn der Fahndung vor einem Monat (Studierendenvertretungen gegen Rasterfahndung) sei die Unsicherheit unter ausländischen Studierenden erheblich gestiegen, hieß es im ReferentInnenrat der Universität am Dienstag. Daher sei ein zusätzliches Beratungsangebot eingerichtet worden, um die ausländischen Kommilitoninnen und Kommilitonen über die individuellen Folgen zu informieren.
Erste Zweifel der Universitätsleitung scheinen unter dem Druck der Berliner Landesregierung gewichen. Nachdem vor einem Monat noch zaghaft widersprochen wurde, erklärte sich der HU-Präsident Jürgen Mlynek nun bereit, die zusätzlichen Daten zur genannten Frist am heutigen 14. November dem Landeskriminalamt auszuhändigen. Die Freigabe werde zusammen mit den anderen beiden Berliner Hochschulen, der Technischen- und der Freien Universität, geschehen.
Nach internen Quellen wird dabei die Kritik der Kontrollmechanismen geflissentlich übergangen. So habe sowohl die Rechtsstelle der Universität, als auch der interne Datenschutzbeauftragte Zweifel angemeldet und um Aufschub zur Prüfung gebeten. Der wurde aber nicht gewährleistet, obgleich die Frist zum 14. November nicht rechtsverbindlich gewesen wäre. Die Kritik des Datenschutzbeauftragten der Humboldt-Universität hätte indes auch nicht viel gebracht, denn schon im Vorfeld hatte sich der Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin, Hansjürgen Garstka, für eine Freigabe der Daten ausgesprochen.
Nach ersten Schätzungen werden allein an der einen Universität 350 Personen zusätzlich betroffen sein. Gegen die Freigabe meldeten die Berliner Studentenvertretungen schon jetzt Protest an. "Wir werden uns am Abend beraten und weitere mögliche Schritte erörtern", sagte der Studentenvertreter Bill Hiscott. In der Begründung des Landeskriminalamtes wird sich auf in Berlin vermutete Strukturen des Netzwerkes von Usama bin Ladin berufen:
"Ein früherer Berlin-Bezug ist im Rahmen von Ermittlungen anläßlich der Verhaftung der Meliani-Gruppe in Frankfurt am Main nachgewiesen worden. Bei der Meliani-Gruppe handelte es sich um fünf islamische Nordafrikaner, die alle terroristische Lehrgänge in afghanischen Ausbildungslagern absolviert und sodann Zugang zur Logistik der Netzwerke des Usama BIN LADIN hatten. Die Meliani-Gruppe plante zur Jahreswende 2000/ 2001 ein Sprendstoff-Attentat auf einen Weihnachtsmarkt in Straßburg (Frankreich). Bestandteile des hierzu benötigten Sprengstoffes waren über Berliner Verbindungen bereitgestellt worden. MELIANI selber hielt sich unter verschiedenen Alias-Personalien in der Tatvorbereitungs- und Tatplanungsphase bis zum 25.05.01 in Berlin auf."
Das Landeskriminalamt schließt aus diesen Erkenntnissen, über deren Quellen nichts weiter bekannt gegeben wird, dass "auch in Berlin ein funktionstüchtiger Teil dieses internationalen Netzwerkes besteht und handlungsfähig ist".
Von den Universitäten werden alle im Ausweis angegebenen Personendaten der Betroffenen sowie studienbezogene Informationen angefordert. Betroffen sind männliche Studierende, die zwischen dem 1.1.1960 und 1.10.1983 geboren wurden. Auch eine "vermutlich islamische Religionszugehörigkeit" lässt einen Studenten im Raster hängenbleiben. Da das besonders auf "Personen aus denen in der oben stehenden Liste genannten Ländern" zutrifft, dürften nach Einschätzung des "ReferentInnenrates" rund 40 Prozent französische Austauschstudenten sein.
Die umstrittene Fahndungsmethode trifft aber nicht nur Universitäten. Im Visier der Strafverfolgungsbehörden stehen zahlreiche weitere Institutionen. Genannt werden: Die Berliner Flughäfen, Sicherheitsunternehmen und Reinigungsfirmen, Hochschulen, Ver- und Entsorgungsunternehmen (Gas, Strom, Wasser, Müllabfuhr), Einrichtungen mit Bezug auf Atomenergie, Öffentliche und private Institutionen mit Bezug (Herstellung, Lagerung, Transport, Forschung) zu chemischen, biologischen und/oder radiologischen Gefahrenstoffen, Betriebe des Öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs, Kommunikationsdienstleister, die Berliner Flughafengesellschaft, Sicherheitsdienste und Catering-Firmen.
Update: Die Studentenvertretung der Humboldt-Universität wird den Präsidenten wegen der "Herausgabe der Daten von Studierenden ohne deren Wissen" heute verklagen. Als Nebenkläger treten zunächst drei Betroffene auf. "Wir rechnen damit, dass weitere Klagen folgen", sagt Bill Hiscott. Auch die Studentenvertretung der Freien Universität prüft ähnliche Schritte gegen die dortige Unileitung.