Polizei wehrt sich gegen EU-Verpackungsvorschriften
Beamte müssen beschlagnahmte Smartphones, Spraydosen und Parfümflaschen wie Gefahrgüter behandeln
Das bayerische Innenministerium hat die Polizeipräsidien des Landes zu Gesprächen darüber eingeladen, ob und wie sich der zeitliche und bürokratische Mehraufwand verringern lässt, der anfällt, seit Beamte unter anderem Smartphones, Spraydosen, Parfümflaschen und Blutproben wie Gefahrgüter behandeln, speziell verpacken und mit Aufklebern versehen müssen. Die Vorschrift, wegen der das Münchner Polizeipräsidium eine offizielle Beschwerde eingelegt hat, geht auf eine EU-Richtlinie zurück: Auf die Richtlinie 2008/68/EG, die in Deutschland mit der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt umgesetzt wurde.
Diese EU-Richtlinie und ihre deutsche Umsetzung sollen Arbeitskräfte vor Gefahren schützen - nicht nur bei der Polizei, sondern auch in der Privatwirtschaft. Wie bei vielen One-Size-Fits-All-Vorschriften, denen ein erklärter Wille zur Vereinheitlichung zugrunde liegt, gilt sie nicht nur für Bereiche, in denen sie als sinnvoll akzeptiert wird, sondern auch für solche, in denen sie die Arbeitskräfte selbst für unangemessen halten.
Schwer zu ändern
Wäre sie lediglich eine Dienstvorschrift, eine kommunale Verordnung oder ein Landesgesetz, könnte man sie verhältnismäßig leicht anpassen. Für EU-Vorschriften gilt das nicht, weil die Prozesse dafür sehr aufwendig sind. Bekanntestes Beispiel dafür ist die zweimal jährlichen Zeitumstellung, die bestehen bleibt, obwohl sie sich als wirtschaftlich unsinnig erwiesen hat und von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird (vgl. Zeitumstellung: Mehrheit dagegen, aber keine Aussicht auf Abschaffung).
Die Begründung, mit der die Richtlinie unter ihrem Punkt 22 zu erklären versucht, warum die Fragen, die sie regelt, unbedingt auf EU-Ebene geregelt werden müssen, klingt eher formelhaft-behauptend als erklärend, wurde bislang aber noch nicht gerichtlich angefochten:
Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Gewährleistung der einheitlichen Anwendung der harmonisierten Sicherheitsbestimmungen in der gesamten Gemeinschaft sowie eines hohen Sicherheitsniveaus im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen dieser Richtlinie besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des [EU-]Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
Pragmatische Lösung in Italien und Frankreich
In Italien und in Frankreich hat man potenzielle Polizeiproblem mit Richtlinie 2008/68/EG auf eine recht einfache Weise vermieden: Dort behandelt man die bewaffneten Carabinieri und die Gendarmen wie einen Teil der Streitkräfte, für die die Richtlinie nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a nicht gilt. In Bayern will man dem Innenministerium zufolge "die Spielräume zu nutzen" und einen anderen Weg finden, der möglicherweise von anderen Bundesländern übernommen wird, wenn er sich als sinnvoll erweist: Eine Möglichkeit wäre, die bereits jetzt geltende Ausnahmen auszudehnen, die bislang nur für eher eng definierte Eilfälle gelten: So darf zum Beispiel ein Streifenwagen einen "Notfalltransport" von Gegenständen auch ohne besonderen Karton und Aufkleber vornehmen.
Für den Weg von der Dienststelle zur Asservatenkammer müssen dagegen für jedes Telefon und jedes Feuerzeug eigene Gefahrgutbeförderungsformulare ausgefüllt werden. Den Zahlen des Polizeipräsidiums München nach dauert das und das besondere Verpacken etwa 15 Minuten. Im bayerischen Innenministerium hat keine eigenen Zahlen zum Mehraufwand, weist aber im Gespräch mit Telepolis darauf hin, dass Beweismittel aus Gründen der Beweissicherheut schon vorher nicht ganz ohne Aufwand versendet werden konnten. Zusätzliche Stellen für den Mehraufwand sind dem Ministerium nach nicht vorgesehen - man verweist aber auf insgesamt 2.000 neue bis 2020, die zur Bekämpfung von Kriminalität und Terror genehmigt wurden.
Zweierlei Smartphones
Rainer Nachtigall, der Vorsitzende des Arbeitskreises Polizei und Innere Sicherheit im CSU-Bezirksverband Nürnberg-Fürth-Schwabach, hat dem Innenministerium über die CSU-Landesleitung vorgeschlagen, "die Polizei von den Regelungen über den Transport gefährlicher Güter weitestgehend freizustellen". Für ihn ist es absurd, wenn ein beschlagnahmtes Smartphone wegen einer Batterie, die eher theoretisch als praktisch explodieren oder ein Brand auslösen kann, einen großen bürokratischen Aufwand betreiben muss, wenn die dafür verantwortlichen Vorschriften "für das private Smartphone und das dienstliche Mobiltelefon, das die Polizisten dabeihaben", nicht greifen.
Dieser Widerspruch ließe sich natürlich auch auf die Weise lösen, dass die EU-Kommission die Geltung der Richtlinie vom berufsbedingten Transport fremder auf das Mitführen eigener Telefone ausweitet.