Polizisten-Mord von Heilbronn: Abgeordnete, die nicht aufklären wollen
Seite 2: Unterlassungen und Arbeitsverweigerungen
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Die Bilanz des einen Jahres U-Ausschuss in Stuttgart ist eine von Unterlassungen und Arbeitsverweigerungen.
Im jetzt vorliegenden 1000-seitigen Bericht werden Sachverhalte beurteilt, denen man widersprechen muss und die ein fragwürdiges Licht auf diesen Ausschuss werfen. Zum Beispiel: Der Tod der NSU-Zeugen Florian H. und seiner Freundin Melisa M. Florian H. verbrannte im September 2013 in seinem Auto in Stuttgart-Bad Cannstatt, wo auch das Landesverfassungsschutzamt (LfV) und das Landeskriminalkamt (LKA) angesiedelt sind.
Er war Neonazi-Aussteiger und sollte am Nachmittag vom LKA zum Thema NSU vernommen werden. Florian H. will die Mörder von Kiesewetter gekannt haben. Schon nach wenigen Stunden stand für die Staatsanwaltschaft damals fest: Es war Suizid. Man habe keine Belege gefunden, die gegen Suizid sprechen, schreibt nun der Ausschuss. Er verschweigt, dass es aber auch keine Belege gibt, die für Suizid sprechen.
Der Tod bleibt ungeklärt. Der Ausschuss hat seine Ermittlungen abgebrochen, nachdem er eine - erfolglose - Hausdurchsuchung gegen die Familie des Todesopfers durchführen ließ. Er wollte Gegenstände sicherstellen, die die Familie H. nicht herausgeben will, weil sie weder Vertrauen in die Polizei noch in den Ausschuss hat.
Tod nicht untersucht
Im März 2015, vier Wochen nach der Vernehmung von Melisa M. im Ausschuss, der Freundin von Florian H., starb die 20-Jährige plötzlich. Die Rechtsmedizin stellte als Todesursache eine Lungenembolie fest. Was die Lungenembolie ausgelöst hat, konnte laut Staatsanwaltschaft Karlsruhe aber nicht festgestellt werden. Die Behörde spekulierte: Möglicherweise ein Hämatom am Knie nach einem Sturz der jungen Frau. Der Ausschuss hat ihren Tod nicht untersucht und damit gegen seine Fürsorgepflicht für Zeugen verstoßen. Das sei nicht durch den Untersuchungsauftrag gedeckt, erklärte damals der Ausschussvorsitzende Drexler.
Beispiel: Der Fall der Heilbronn-Zeugen Muzaffer und Zeliha K. Kurz nach dem Mord an Kiesewetter hatte das Ehepaar unweit des Tatortes einen flüchtenden Mann bemerkt. Von ihm existiert heute ein Phantombild, das weder Mundlos noch Böhnhardt ähnelt. Bei der Vernehmung im Ausschuss sprach Frau K. von einem zweiten Fliehenden. Den habe sie auf Bildern erkannt, die ihr vor kurzem - im März 2015 - zwei Polizisten gezeigt hätten. Von aktuellen Ermittlungen wusste der Ausschuss nichts.
Er schrieb den Generalbundesanwalt, das LKA, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das LfV und die Polizeidirektion Heilbronn an und fragte nach, wer diese Vernehmung des Ehepaares K. durchgeführt habe und um was für Bilder es sich handle. Alle antworteten abschlägig. Damit liegt der Verdacht nahe, dass eine Behörde Ermittlungen vor dem Parlament geheim hält. Allem Anschein könnte Frau K. einen Mann identifiziert haben, der mit dem Mord in Zusammenhang steht. Die Ausschussmitglieder waren ratlos (vgl. Mordfall Kiesewetter wird zur Geisterbahn).
Der Vorsitzende erklärte damals im Oktober 2015, er halte Frau K. für glaubwürdig. Im Ausschussbericht steht nun das Gegenteil: Ihre Aussage über den zweiten Mann sei "unglaubhaft". Das ist verantwortungslos, weil es der Zeugin den Schutz des Parlamentes entzieht und weil darauf verzichtet wird, die Öffentlichkeit über die dramatischen Hintergründe zu informieren. Der Ausschuss hat den Weg des geringsten Widerstandes gewählt und schont die Behörden.
KKK und LfV
Genau wie im Fall Ku-Klux-Klan (KKK) und Rolle des LfV. Über die rassistische Gruppierung führt eine Kette vom Opfer Kiesewetter, ihren Kollegen Timo H. und das KKK-Mitglied Thomas Richter zu Uwe Mundlos. Mit Richter und Achim Schmid war der Verfassungsschutz ein Glied in dieser Kette. Der frühere LfV-Präsident Helmut Rannacher hat vor zwei U-Ausschüssen ausgesagt, erst 2000 von diesem KKK in Schwäbisch Hall erfahren zu haben.
Inzwischen wissen wir: Das Amt hatte seit 1994 Informationen über den KKK. Schmid wurde auch 1994 als V-Mann angeworben. Mutmaßlich hat der Dienst die KKK-Gruppe selber geschaffen. Rannacher wurde 1995 LfV-Präsident und war davor Abteilungsleiter für Rechtsextremismus. Er kann als überführt gelten, vor Parlamentsgremien wiederholt die Unwahrheit gesagt zu haben.
Doch genau das leugnet der Ausschuss nun in seinem Bericht. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass das LfV eine Quelle im KKK führte. Das deckt sich nicht mit der Beweisaufnahme und ist befremdlich. Will der Ausschuss den Ex-LfV-Präsidenten vor dem Vorwurf der Falschaussage bewahren?
Es ist eine Art Offenbarungseid: Dieser Ausschuss deckt die Vertuschungen der Sicherheitsbehörden. Er stellt den Verfassungsschutz nicht in Frage, sondern bekennt sich zu ihm. Über die Regelungen des Geheimschutzes beispielsweise soll weiterhin das Amt entscheiden und nicht das Parlament.
Dieser Ausschuss ging - freiwillig - an der Leine des Innenministeriums, das ihn ein ums andere Mal vorführte, ohne dass der groß rebellierte. Akten wurden verspätet geliefert. Die Alt-Ermittlungsakten der SoKo Parkplatz zum Heilbronn-Mord kamen, so Drexler einmal in einer Presserunde, erst im Juni 2015.
Abwesende Akten und anwesende Regierungsvertreter
Das heißt: Der Ausschuss hat die groß inszenierte Tatortbegehung und die anschließende Zeugenbefragung von zwei SoKo-Leitern im Mai ohne Kenntnis der Akten vorgenommen. Ohne Akten ist jeder Ausschuss blind. Dann wurden Akten nur in Papierform zur Verfügung gestellt und nicht digital, was die Recherche zeit- und personalaufwendig macht. Eine besondere Form der Demütigung durch das Innenministerium und eine Machtdemonstration der Exekutive gegenüber dem Landtag.
Dazu zählt die anscheinend selbstverständliche Anwesenheit von Regierungsvertretern in dem Gremium, auch bei nicht-öffentlichen Zeugenvernehmungen und in den Beratungssitzungen. Zweimal wurden Konflikte öffentlich, weil vertrauliche Informationen aus dem Kreis zum Innenministerium und GBA abflossen (vgl. BKA-Besuch im Knast). Daraufhin wurden die Ministerialen von einigen nicht-öffentlichen Sitzungen ausgeschlossen.
Als Konsequenz solle nun, wie der Ausschuss formuliert, das Untersuchungsausschussgesetz (UAG) so geändert werden, dass Regierungsvertreter nicht mehr alle Zuschriften automatisch bekommen. Das ist banal. Aber vor allem: Die Abgeordneten kennen offensichtlich ihr eigenes UA-Gesetz nicht. Darin steht überhaupt nichts davon, dass Regierungsvertreter automatisch Beisitzer in einem Untersuchungsausschuss sind.
Das hat Drexler wiederholt entschuldigend vorgebracht, wenn es um die Ministerienvertreter ging. Laut Gesetz haben sie nur dann Zutritt, wenn der Ausschuss dies beschließt. Mehr noch. Der Ausschuss kann Regierungsvertreter sogar aus öffentlichen Sitzungen ausschließen, wenn er es für notwendig erachtet. (§ 10 UAG: Teilnahme von Mitgliedern der Regierung) Das Gesetz muss also nicht geändert, es muss nur angewendet werden. Regierungsvertreter haben in einem U-Ausschuss nichts zu suchen.
Wenn man etwas ändern will, dann sollte man ein Fragerecht für Nichtabgeordnete bei den Sitzungen einführen. Das wäre ein Schritt zu notwendigen Demokratisierung der parlamentarischen Demokratie.
Die traurige Lehre aus dem Jahr 2015 und diesem Ausschuss: Nach dem jahrelangen Gewährenlassen der NSU-Mörder bis 2011, nach den Vertuschungen durch die Sicherheitsbehörden ab 2012, sind wir nun bei der Abdeckung dieser Vertuschung durch Teile der Politik angelangt. Der NSU-Komplex entwickelt sich zu einem ungeheuerlichen staatlichen Tabu.
Nachbemerkung: Der Autor trat im Februar 2015 als sachverständiger Zeuge vor dem Ausschuss auf, was seinen Niederschlag auch im vorliegenden Bericht findet.