Polnische Lockerungsübungen

Nach Spanien zieht ein weiteres Mitglied der Anti-Terror-Allianz den Rückzug seiner Irak-Truppen in Erwägung

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Die Allianz der Willigen, die vor einem Jahr auszog, um dem Irak Frieden, Freiheit und eine neue Regierung zu bescheren, steckt offenkundig in der tiefsten Krise ihrer noch kurzen Geschichte. Nachdem der designierte spanische Regierungschef Jose Luis Rodriguez Zapatero direkt nach seiner Wahl den Abzug der spanischen Truppen aus dem noch immer unbefriedeten Krisengebiet ankündigte, hat Ende der Woche auch der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski öffentlich darüber nachgedacht, wie lange Soldaten seines Landes noch in vorderster Front gegen den Terrorismus kämpfen sollen.

Am 17. Juli 2002 sagte Aleksander Kwasniewski noch: "Poland is steadfast ally of the United States. We take over the co-responsibility for European and global security. On the 11th of September, all of us felt New Yorkers." Foto: Weißes Haus

Das Ergebnis seiner Überlegungen deutet nicht darauf hin, dass US-Präsident Bush noch lange mit der Unterstützung des baldigen EU-Mitgliedsstaates rechnen kann. Denn Kwasniewski kann sich gut vorstellen, die eigenen Truppen nach Abschluss einer Stabilisierungsphase wieder Richtung Heimat zu beordern. Dieser Zeitpunkt könnte schon "Anfang 2005" erreicht sein.

Zweifelsohne weiß auch der polnische Staatspräsident, dass vom Abschluss einer Stabilisierungsphase kaum die Rede sein kann, bevor sie überhaupt begonnen hat. Aber am Donnerstag schien es ohnehin so, als ob Kwasniewski noch ein weiteres, sehr viel entscheidenderes Argument in die Waagschale der Weltöffentlichkeit werfen wollte. Gegenüber einer Gruppe europäischer Journalisten soll er sich verbittert darüber geäußert haben, "dass wir bei den Informationen über Massenvernichtungswaffen getäuscht wurden." Das US-Außenministerium reagierte in Person seines Sprechers Adam Ereli gelassen auf die überraschenden Widerworte aus dem neuen Europa und erinnerte lediglich daran, dass die Beziehungen beider Länder "eng und stark" seien.

Einen Tag später fiel Aleksander Kwasniewski das auch wieder ein. Über seine Kanzlei ließ er eilig eine Gegendarstellung verbreiten und bekannte sich erneut zu der Überzeugung, "dass Saddam Hussein den Eindruck zu erwecken versuchte, Massenvernichtungsmittel zu besitzen und einsetzen zu können, was ein wesentlicher Grund war, sich im Rahmen der internationalen Koalition gegen den Terrorismus am Irak-Einsatz zu beteiligen." Polen sei bereit, die Stabilisierung des Landes voranzutreiben und setze dabei auf die Mithilfe der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Spaniens, anderer NATO-Staaten und der Vereinten Nationen.

Die höchsten Wogen dürften damit einigermaßen geglättet sein, trotzdem steht es um das Verhältnis zwischen Polen und den Vereinigten Staaten längst nicht mehr so gut wie vor einem Jahr. Zwar fand George W. Bush während Kwasniewskis Besuch in Washington Ende Januar für seinen Gast noch einige wohlwollend-martialische Worte:

I've gotten to know this man well over the years. He is a leader, he understands that people need to lead their country towards peace and freedom and prosperity. And President Kwasniewski is doing just that. He's making a mark on the continent of Europe through his leadership. He stands strong.

Doch der militärische Einsatz im Irak und die bedingungslose Subordination unter den amerikanischen Führungsanspruch zahlt sich für Polen bislang kaum aus. Von einem Auftragsboom im Rahmen des Wiederaufbaus kann keine Rede sein, und in der Frage der Visa-Erleichterungen für Polen ging Bush nicht über generelle Absichtserklärungen hinaus, so dass sich schließlich auch Kwasniewski auf philosophische Betrachtungen allgemeinerer Art zurückziehen musste:

The future of the world is without visa, not with visa. That should be our goal.

Doch den polnischen Staatspräsidenten belastet nicht nur das Ausbleiben zählbarer Erfolge. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung war gegen die Beteiligung am Irak-Krieg, nach den Anschlägen in Istanbul und Madrid fürchten viele Polen außerdem, dass ihr Land selbst Schauplatz eines Terrorangriffs werden könnte. Zu allem Überfluss droht durch den Regierungswechsel in Spanien auch der Widerstand gegen die Europäische Verfassung in sich zusammenzufallen. Zapatero hat bereits signalisiert, dass er den starren Konfrontationskurs seines Vorgängers José-Maria Aznar nicht fortsetzen will.

An Polen und Spanien war Ende letzten Jahres der EU-Verfassungsgipfel gescheitert, weil beide Länder nicht damit einverstanden waren, dass ein Beschluss des EU-Ministerrates dann als angenommen gilt, wenn ihm die doppelte Mehrheit von 50% der Staaten und 60% der repräsentierten EU-Bevölkerung zustimmt. Gut einen Monat vor dem Beitritt zur Europäischen Union ist Aleksander Kwasniewski nun sichtlich bemüht, auch in diesem Bereich eine Isolation seines Landes zu vermeiden. Den Vorschlag der irischen EU-Ratspräsidentschaft, sich auf 55 % der Staaten und EU-Bevölkerung zu einigen, bezeichnete er gegenüber der Financial Times als "wichtige und interessante Idee. Wir haben nun eine neue Situation, die sehr positiv ist."

Der Präsident hat mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er sehr schnell in der Lage ist, sich flexibel auf neue Situationen einzustellen. Immerhin war der 1954 in Bialogard geborene Vollblutpolitiker einst überzeugter Kommunist und in den 80er Jahren sogar Minister für Jugend und Sport. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs benötigte er dann nur wenige Monate, um aus den kommunistischen Restbeständen sein schlagkräftiges Linksbündnis SLD zu formen, dass die Parlamentswahlen von 1993 bereits überlegen für sich entscheiden konnte.

Seit er Lech Walesa 1995 als Präsident ablöste und fünf Jahre später noch für eine zweite und letzte Amtszeit wiedergewählt wurde, gibt sich Aleksander Kwasniewski gern als vorausschauender Staatsmann, der - im Anschluss an die nächste Präsidentenwahl 2005 - für hochrangige Ämter in internationalen Organisationen ideal geeignet wäre. Der Versuch einer Neuorientierung findet also sicher nicht zufällig im Vorfeld des Besuchs von Gerhard Schröder statt. Das deutsche Staatsoberhaupt reist am Dienstag kommender Woche nach Warschau und wird dort aller Voraussicht nach auf ein gesprächsbereites Gegenüber treffen: "Das (Treffen, Einf. d. Red.) kann entscheidend sein für die Wiederaufnahme der Verhandlungen", erklärte Kwasniewski mit Blick auf den umstrittenen Verfassungsentwurf.

Und so bringt der Staatspräsident Polen vielleicht doch dahin, wo es nach Ansicht vieler seiner Landsleute vergleichsweise noch am besten aufgehoben ist. Wlodzimierz Borodziej, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Warschau, gab schließlich schon vor fast einem Jahr zu Protokoll:

Das Land an der Weichsel ist kein Flugzeugträger der USA, kein Trojanisches Pferd und erst recht kein Esel; es hat seinen Platz in Europa und sonst nirgendwo, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt.