Pop-Up-Fahrradwege: Berliner AfD agiert im Interesse der Autolobby

Pop-up-Radweg auf dem Kottbusser Damm in Berlin. Foto: Fabian Deter/CC BY-SA 4.0

Verwaltungsgericht ist für Entfernung: Die Entscheidung könnte ein Vorteil sein, wenn wieder Bündnisse zwischen Fahrradfahrern und Fußgängern für eine Stadt geschmiedet werden, die nicht den SUVs und "Kampfradlern" gehört

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Die Pop-Up-Fahrradwege in Berlin sorgten bei der grünen Klientel für sehr viel Zustimmung. Damit hatte die grünennahe Berliner Umweltsenatorin Regine Günther, die eigentlich nicht viel auf die Reihe bekommt, die Corona-Krise genutzt, um den vielen Fahrradfahrern mehr Sicherheit und Freiheit zu geben.

Die Autolobby war verständlicherweise weniger begeistert über den größeren Platz, den sie nun teilen mussten. Jetzt hat das Berliner Verwaltungsgericht der Klage von zwei AfD-Abgeordneten stattgegeben und die Fahrradwege, so wie sie in Berlin eingerichtet wurden, für nicht rechtmäßig erklärt. In der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts heißt es:

Die 11. Kammer hat dem Eilantrag stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, die entsprechende Beschilderung zu entfernen. Denn es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Radwegeinrichtung. Zwar könne die Senatsverwaltung befristete Radwege einrichten, ohne dass es einer straßenrechtlichen Teileinziehung bedürfe. Unbedenklich sei ebenso, dass der Radfahrstreifen auf der zuvor durch den Autoverkehr genutzten Fahrbahn liege und die Radwege nur befristet eingerichtet seien. Allerdings dürften Radwege nur dort angeordnet werden, wo Verkehrssicherheit, Verkehrsbelastung und/oder der Verkehrsablauf ganz konkret auf eine Gefahrenlage hinwiesen und die Anordnung damit zwingend erforderlich sei. Eine solche Gefahrenlage habe der Antragsgegner nicht dargelegt, sondern sei fälschlich davon ausgegangen, er müsse eine Gefahrenlage nicht begründen.

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss der 11. Kammer vom 4. September 2020

Die Verkehrssenatorin hat Widerspruch gegen den Beschluss eingelegt und aufschiebende Wirkung beantragt. Nun zeigt die Begründung, dass wohl kaum ein Richter selbst Fahrradfahrer ist. Sonst hätte er schon mitbekommen, dass die Gefahrenlage für viele Fahrradfahrer in Berlin enorm ist.

Der Berliner Fahrradverband macht immer wieder darauf aufmerksam, wie gefährdet Verkehrsteilnehmer sind, die kein SUV nutzen. Möglicherweise sind diese auch das gebräuchliche Verkehrsmittel der Richter und Richterinnen? Dann wäre es nicht verwunderlich, dass sie keine Gefährdungslage für Nicht-SUV-Nutzer sehen.

Freie Fahrt für freie Bürger

Es ist auch nicht verwunderlich, dass zwei AfD-Abgeordnete gegen die Fahrradwege klagten. Sie stehen damit in der Tradition rechter, wirtschaftsfreundlicher Parteien, die schon seit mehreren Jahrzehnten unter dem Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" für das Recht der Autonutzer eintraten, die Umwelt zu verpesten und Nicht-Autofahrer zu gefährden.

Bereits 1989 mobilisierte in Westberlin die rechte Partei "Die Republikaner", die eine Vorgängerorganisation der AfD ist, gegen geplante Geschwindigkeitsbegrenzungen des damals von SPD und Alternativer Liste gestellten Senats. Zum Höhepunkt des Protests blockierten am 3. Juni 1989 6.000 Pkw und 1.000 Motorräder für fünf Stunden den kompletten Innenstadtverkehr.

Daran beteiligten sich auch viele Mitglieder der CDU und FDP. Auch in anderen Ländern verteidigten rechte Parteien die Rechte der Autobesitzer.

In der Schweiz hatte sich sogar eine Autopartei gegründet, die daraus ihr Alleinstellungsmerkmal machte. Die AfD kann sich nun freuen, dass sie ihrer Klientel gezeigt hat, dass sie als Oppositionspartei auch etwas erreichen kann, selbst wenn die Entscheidung von der höheren Instanz gekippt werden sollte.

Fahrradlobby sollte wieder mehr auf Opposition setzen

Allerdings müssen sich auch die Unterstützer des Fahrradverkehrs von der Vorstellung verabschieden, man könnte ihrer Klientel durch Verordnungen von Politikern mehr Freiheiten ermöglichen. Viele ihrer Organisationen kennen sich schon längst mehr in Sachen Lobbying aus als im Widerstand.

Vielleicht wird es jetzt wieder mehr Critical-Mass-Aktionen geben, wie die Fahrrad-Proteste gegen eine autogerechte Stadt heißen. Dabei sollten die Fahrradfahrer Bündnisse mit Fußgängern suchen, die in der Auseinandersetzung zwischen Vier- und Zweirädern oft unter die Räder kommen.

Manche Fahrradfahrer führen sich auf der Straße eher wie Kampfradler auf, die jeden Fußgänger, der die Fahrradwege betritt, wie einen Feind behandeln. Damit zeigen sie nur, dass sich die Mentalität nicht ändert, wenn mancher SUW-Fahrer zeitweise zum Radler wird. Darum geht es, wenn eine Stadt nicht nur den SUVs und "Kampfradlern" gehören soll. Da kann die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vielleicht sogar Diskussionen anregen.