Portugal: Wahlen nach vier Erfolgsjahren der "Unbegreiflichkeit"
- Portugal: Wahlen nach vier Erfolgsjahren der "Unbegreiflichkeit"
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Die Linksparteien hatten sich vor vier Jahren gegen alle Prognosen zusammengerauft, um keine Rechtsregierung mehr zuzulassen, und haben seither das Land saniert
Portugal geht mit der "Geringonça" (Unbegreiflichkeit) in die Wahlen am heutigen Sonntag, bei der die Linksparteien aus guten Gründen einen klaren Sieg und die Rechte einen weiteren Einbruch erwartet. "Unbegreiflich" wurde für viele die Regierung nach den Wahlen 2015 genannt, da fast niemand geglaubt hatte, dass die sozialistische Partei (PS) in Portugal unter António Costa fortan Portugal regieren würde.
Denn mit gut 32% wurde die PS nur zweitstärkste Kraft hinter den beiden Rechtsparteien. Die waren in einer Koalition angetreten, um ihre Aussichten, erneut zu regieren, zu steigern und kamen gemeinsam auf rund 37%.
Praktisch alle Beobachter gingen davon aus, dass die nach der Nelkenrevolution 1974 zerstrittene Linke lieber weiter ihre Grabenkämpfe ausfechten würde, statt für Verbesserungen einer darbenden Bevölkerung zu sorgen. An dieser Stelle wurde jedoch im Oktober 2015 eine Alternative gegen eine neue Rechtsregierung für ziemlich wahrscheinlich gehalten (Das "Ende" der Rechtsregierung und der Austeritätspolitik in Portugal).
Die Bevölkerung litt im ohnehin armen Land am westlichen Rand der EU nach vier Jahren unter dem "Rettungsschirm" - und wie andere Ländern auch: unter Verarmung, hoher Arbeitslosigkeit, der Erhöhungen von Steuern, der Senkungen von Löhnen und Renten sowie unter Einschnitten in die Sozialsysteme über die von der Troika verordneten Austeritätsprogramme.
Wie es ganz anders kam als erwartet: Der Bruch mit der Austerität
Doch diese historische Situation und der massive Druck der Straße - Portugal war auch der europäische Geburtsort der Empörten-Bewegung - führten dazu, dass die Linkskoalition CDU, die von den Kommunisten (PCP) geführt wird (siehe Interview auf der nächsten Seite), genauso über ihren Schatten sprang, wie der erst 1999 gegründete marxistische Linksblock (BE).
Der PCP-Chef Jerónimo de Sousa machte Costa erneut das Angebot, eine Alternative zur Rechtsregierung auf den Weg zu bringen. Er sagte: "Die PS wird nur dann keine Regierung bilden, wenn sie es nicht will." Was die PS früher stets abgelehnt hatte, wurde nun mit dem neuen Parteichef Costa möglich und konnte auch vom rechten Staatspräsidenten nicht mehr verhindert werden.
"Unbegreiflich" für viele ließ sich Costa tatsächlich von den linksradikalen Kräften tolerieren, die sich untereinander spinnefeind sind. So sprach auch der BE-Mitbegründer und Führungsmitglied Francisco Louçã von einer "politischen Überraschung". Rechte Beobachter gaben dieser Regierung eine Verfallszeit bis zum nächsten Haushalt. Erwartet wurde, dass man sich spätestens darüber zerstreiten würde. Doch es kam anders. Die "Geringonça" regierte trotz massiver Widersprüche über vier Jahre.
Sogar der neue Präsident, Marcelo Rebelo de Sousa, erneut ein Christdemokrat, machte mit und erwies mehr gesunden Menschenverstand als sein Vorgänger. Der Klebstoff für diese ungewöhnliche Situation war auch für den Linksblock-Politiker und Wirtschaftswissenschaftler Louçã der "Druck der Straße, nach der sozialen Katastrophe durch die Austeritätsprogramme".
So blieb Portugal trotz Reibereien stabil, anders als das Nachbarland Spanien, wo im November die vierten Wahlen in nur vier Jahren anstehen, da Parteiinteressen und Machtspiele im Vordergrund stehen.
Von den linksradikalen Kräften getrieben musste Costa Zugeständnisse machen und so wurde die PS zum Bruch mit der Austeritätspolitik gebracht. Denn auch seine PS hatte das Memorandum mit der Troika abgesegnet. Doch mit einer Fortführung der Troika-Politik wäre eine Unterstützung der beiden Linkskoalitionen für Costa unmöglich gewesen.
Der Erfolg war kein Wunder
So wurden frühere Einschnitte sukzessive zurückgefahren, Steuern gesenkt, eingeführte Sondersteuern abgeschafft, Löhne (der Mindestlohn um 20% und Pensionen erhöht. So war der Erfolg kein "Wunder", wie hier festgestellt wurde und wie es als einer der wenigen auch der portugiesische Journalist David Oliveira nüchtern als Folge statuierte.
Er stellt einen "Sieg" der "Geringonça" fest, der möglich war und umgesetzt wurde und die Folgen: Die Erhöhung der Kaufkraft hat die Erholung des Land beschleunigt, das Vertrauen in die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze geschaffen und die Einnahmen in den Kassen der Finanzämter und der Sozialversicherung erhöht. Die Regierung hatte für "Hoffnung und Vertrauen" geworben und dies dann auch real umgesetzt und erzeugt.
Wie der Ökonom Louçã herausstellt, wurde so ein nachhaltiges Wachstum über alle vier Regierungsjahre geschaffen, das nicht vor allem am Export hing. Die Arbeitslosigkeit wurde zwischen 2014 und 2019 von 14% auf gut 6% gesenkt. Das Haushaltsdefizit ist nun praktisch inexistent und im ersten Quartal verzeichnete Portugal sogar einen Haushaltsüberschuss, nachdem das Land schon zuvor Primärüberschüsse ausweisen konnte, wenn man also die Zinszahlungen für den Schuldendienst herauszieht. Die Zinslast wurde zudem durch verfrühte Rückzahlung teurer IWF-Kredite, gewährt in den "Rettungsjahren", um etwa eine Milliarde Euro gesenkt.
Der direkte Vergleich zum Nachbarland, wo die Austeritätsmaßnahmen weiter zum Teil von den Sozialdemokraten angewandt werden und Zerstrittenheit statt gesunder Menschenverstand weiterhin wirkt, macht die portugiesischen Erfolge noch deutlicher. Die Arbeitslosenquote liegt in Spanien noch heute bei 14%, die Arbeitsbedingungen sind extrem prekär und mehr als 90% aller neunen Verträge werden befristet geschlossen.
Das Sozialsystem ist ausgeblutet, die Rentenreserven komplett aufgebraucht und die Renten können nur über neue Kredite finanziert werden. Etliche Spanier gehen nun nach Portugal arbeiten, wohin auch viele Firmen abwandern. Das spanische Defizit konnte zwar erstmals 2018 leicht unter die 3%-Grenze gedrückt werden, doch es könnte, da sich die Konjunktur deutlich eingetrübt hat, 2019 schon wieder darüber liegen, da auch die instabile politische Lage - wie in Katalonien - Investitionen und den Konsum bremsen.