Portugal ist keine Insel gegen Rechtsextreme mehr

Mit dem Einzug der Ultra-Partei Chega ins Parlament gibt es in Portugal wieder vermehrt - auch tödliche - rassistische Übergriffe

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Es war ein Schock in Portugal, als am 25. Juli der schwarze Schauspieler Bruno Candé in Moscavide nahe der Hauptstadt Lissabon ermordet wurde. Vier Schüsse wurden aus nächster Nähe auf den 39-Jährigen abgefeuert, der auf einer Parkbank saß, ohne dass der Täter ihn zuvor auch nur angesprochen hätte.

Zwar bestreitet der geständige Evaristo Marinho rassistische Motive, doch nach Angaben von Candés Familie, die sich auf Zeugen berufen kann, hatte der Schauspieler schon drei Tage zuvor mit dem ehemaligen Soldaten einen Streit. Der hatte den Schauspieler rassistisch beleidigt und schon dabei mit dem Tod bedroht. Der 76-jährige Ex-Kämpfer in Portugals Ex-Kolonie Angola sagte zu Candé: "Ich bringe dich um, ich habe Waffen zu Hause", wie Zeugen ausagten.

Drei Tage später setzte er seine Drohung um. Der Ex-Militär wurde noch am Tatort von mutigen Passanten überwältigt, die so dessen Flucht verhindern konnten. Die Waffe, so haben die Ermittlungen ergeben, war in den 1990er Jahren aus Polizeibeständen entwendet worden. Dass es sich um eine rassistische Tat handelt, ist eigentlich allen klar. Davon geht auch Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) aus.

Dafür spricht, dass der weiße Portugiese Candé unter anderen mit folgenden Sätzen bedacht hatte: "Geh zurück in dein Land", forderte er von dem in Portugal geborenen Schauspieler. "Scheiß-Nigger", beleidigte er ihn, der seine "Mutter vergewaltigen" solle. "In Angola habe ich etliche wie den umgebracht", erklärte Marinho ohne jede Reue nach der Tat.

Wegen der Aussagen ist auch für SOS-Rassismus klar, dass man es mit einem kaltblütig geplanten rassistischen Mord zu tun hat:

"Der vorsätzliche Charakter des Mordes lässt keinen Raum für Zweifel daran, dass es sich um ein rassistisch motiviertes Verbrechen handelt."

Die Organisation erinnerte daran, dass vor 25 Jahren auch Alcindo Monteiro am "Tag der Rasse" ermordet wurde. 60 Neonazis hatten sich am 10. Juni 1995 versammelt, "um in der Oberstadt Jagd auf Nigger" zu machen. Auch Monteiro wurde ermordet, nur weil er schwarz war. Erneut wurde in Portugal ein schwarzer Mann "am helllichten Tag aus rassistischen Gründen getötet", fasst die Anti-Rassismus-Organisation die Vorgänge zusammen, mit der sie weitere Wut von Rassisten und Rechtsextremen auf sich zog.

Das Klima hat sich verändert

Mit dem Mord an Candé wurde die Ansicht von Catarina Martins bestätigt. Die Chefin des Linksblocks (BE) hatte kurz zuvor im Telepolis-Gespräch darauf hingewiesen, dass auch Portugal keine Insel mehr in Europa ist, die frei von massiven rechtsextremen Umtrieben ist. Auch wenn die rechtsextreme Partei Chega (Jetzt reicht's) vor einem Jahr nur mit einem Sitz und mit gut einem Prozent der Stimmen ins Parlament einziehen konnte, sind auch in Portugal nun zunehmend rechtsextreme und rassistische Umtriebe zu beobachten.

"Es gibt auch hier das Phänomen, das wir aus anderen Ländern schon kennen, von dem die extreme Rechte profitiert. Denn der Hass-Diskurs der extremen Rechten wird durch die traditionelle Rechte und auch durch Kommunikationsmedien normalisiert."

Das habe es früher in Portugal nicht gegeben, erklärte sie gegenüber Telepolis.

Und davon profitiert Chega, die nach Umfragen sogar nun auf bis zu 7% der Stimmen kommen könnte. Das Klima im Land hat sich mit dem Eintritt der Ultras ins Land verändert, die darüber ein Sprachrohr erhalten haben. Chega-Chef und Parlamentarier André Ventura setzt auf Provokation und sorgte schon im Januar für Aufregung. Er forderte die Deportation einer schwarzen Parlamentarierin. Konkret handelte es sich um Joacine Katar Moreira von der Linkspartei Livre (Frei). Sie war ebenfalls neu ins Parlament eingezogen. Es sei besser für alle, "besonders für Portugal", wenn man sie in ihr Heimatland schafft, erklärte Ventura auch über Facebook.

Ihn stört, dass die Parlamentarierin, die aus der ehemaligen Kolonie Guinea Bissau stammt, auf die blutige Kolonialgeschichte hingewiesen und die Rückgabe geraubter Kulturgüter gefordert hatte. Sie ist dauernd "rassistischen Angriffen" ausgesetzt, erklären alle Linksparteien bis zu den regierenden Sozialisten, die sich mit ihr solidarisiert haben. Die Livre-Abgeordnete ist jedenfalls entsetzt über die Vorgänge. "So viel Gewalt hätte ich mir nie vorstellen können", erklärte sie. "Ich glaube, wenn mir jemand gesagt hätte, dass es so kommen würde, hätte ich nie kandidiert."

Tatsächlich, statt sich zu entschuldigen, wie allseits von ihm gefordert wurde, hat Ventura seinen Diskurs danach nur bestätigt. Man könne es nicht hinnehmen, dass Livre die Geschichte Portugals als einen "verantwortungslosen Kolonialismus, einen nicht tolerierbaren Rassismus und einen unerträglichen Imperialismus" darstellt. Der Ultra versucht dagegen ein Narrativ zu stellen, dass es in dieser Geschichte auch Verdienste gab.

Breiter angelegte Kampagne

Zur Strategie der Partei gehört, stets Gegendemonstrationen zu starten, um die Straße einzunehmen. So wurde nach einer sehr großen Demonstration im Rahmen von Black Lives Matter von Chega ein Marsch unter dem Motto durchgeführt: Portugal ist nicht rassistisch. Dabei ist offensichtlich, dass Chega mit einem klar rassistisch-nationalistischen Kurs punkten will. Das hat, wie der Mord an dem Schauspieler zeigt, inzwischen auch wieder tödliche Konsequenzen.

Wahrlich handelt es sich bei Übergriffen und Ausfällen längst auch in Portugal um keine Ausnahmeerscheinungen mehr. Gerade hatte der britische Guardian in einer Reportage auf diverse rassistische Vorgänge und Morddrohungen hingewiesen. So hatte der Leiter von SOS-Rassismus in Lissabon nach den Stellungnahmen zum Mord an dem Schauspieler selbst Morddrohungen erhalten. "Unser Ziel ist es, jeden Ausländer und Antifaschisten zu töten - und Sie gehören zu unseren Zielen", wurde Mamadou Ba per Email mitgeteilt.

Rassistische Drohschreiben sind für Ba wie das tägliche Brot, weshalb er auch dieser Email zunächst nicht sonderlich viel Bedeutung beigemessen habe, erklärte er. Darin wurde unter anderem auch erklärt, dass für jeden "gefangenen Nationalisten ein Anti-Rassist sterben wird und wird ein Nationalist ermordet, werden Dutzende Ausländer ermordet".

Als weitere Angriffsziele wurden Antifaschisten, Flüchtlinge, Schwarze und Transsexuelle genannt. Im August folgte dann eine zweite Botschaft. Und darin wurde Ba ultimativ aufgefordert, das Land zu verlassen, da seine Familie sonst die Konsequenzen zu tragen habe. Um diese Forderung zu unterstreichen, lag dem Schreiben eine Patronenhülse bei.

Und neu war auch, dass es plötzlich am Sitz der Anti-Rassismus-Organisation zu einem Aufmarsch im Stil des Ku Klux Klan kam. Mit Fackeln und maskiert zogen etwa 20 Faschisten vor dem Büro auf, riefen rassistische Parolen, schmierten Hakenkreuze an die Wände und erklärten Einwanderern den Krieg.

Spätestens damit wurde klar, dass es sich um eine breiter angelegte Kampagne handelt, die auf verschiedenen Ebenen wirken soll. Angesichts der Vorgänge hatte derweil auch schon das Europäische Netzwerk gegen Rassismus von der Regierung eine "dringende institutionelle Antwort" gefordert. Beim Europäischen Netzwerk gegen Rassismus (Enar) sieht man einen klaren Zusammenhang zwischen dem Einzug von Chega ins Parlament und der Zunahme von rassistischen Angriffen. Darüber würden "rechtsextreme Aktivisten ermutigt, rassistisch motivierte Verbrechen zu begehen", zitiert der Guardian das Netzwerk.

Drohschreiben

Bedroht wurde nicht nur Ba, sondern auch drei schwarze Parlamentarierinnen erhielten Morddrohungen, darunter auch die von Ventura attackierte Livre-Abgeordnete. Neben Leiter von SOS-Rassismus bekamen auch Mariana Mortágua und Beatriz Gomes (beide vom Linksblock) entsprechende Drohbriefe. Darunter waren auch der Gewerkschaftler Danilo Moreira und andere Aktivisten aus der antirassistischen und antifaschistischen Bewegung.

Insgesamt zehn Parlamentarier und Aktivisten erhielten Drohschreiben von zwei Organisationen mit dem zuvor unbekannten Namen "Neue Ordnung von Avis" (NOA) und dem schon bekannten "Nationaler Widerstand" (RN). Ihnen wurde ein Ultimatum gestellt, innerhalb von 48 Stunden das "nationale Territorium" zu verlassen. Sie müssten zudem von allen politischen Ämtern zurücktreten. "Ist das Ultimatum abgelaufen, werden wir Maßnahmen gegen Sie und Ihre Familie ergreifen, um die Sicherheit des portugiesischen Volks zu garantieren", heißt es in der Morddrohung. Darin wird von einem Kampf gegen "Verräter der Nation und ihrer Anhänger" gesprochen.

Interessant sind, wie bei Ultra-Parteien üblich, die Überschneidungen zu gewalttätigen rechtsextremen Gruppen und Neonazis. Dass auch der Chega-Chef Ventura gute Kontakte in die gewalttätige Szene hat, ist in Portugal bekannt. Es reicht fast schon, seinen Twitter-Beitrag zu den Morddrohungen anzuschauen, um ihn einschätzen zu können. Denn darin versucht er die Vorgänge zu verharmlosen. "Wenn André Ventura y Chega bedroht werden (was ständig passiert), ist niemand alarmiert. Doch bei diesen armen Seelen heult und schreit das ganze Land. Elendes Land."

Er tut so, als würde auch er bedroht. Dabei vergisst er, dass sich in seiner Partei Nazis und etliche gewalttätige Faschisten finden. Bei Parteiveranstaltungen wird bisweilen der Hitlergruß gezeigt, während die Nationalhymne gesungen wird, ohne dass Ventura einschreiten würde. Erst wenn die Sache öffentlich wird, wie ein Vorfall im Januar in Porto, distanziert er sich verbal und gibt sich moderat.

Das tat er auch, als der Gründer der extrem gewalttätigen Hammerskins, Mário Machado, seine Anhänger dazu aufgerufen hat, in die Ultra-Partei einzutreten. Davon distanziert sich Ventura offiziell schon, schließlich handelt es sich bei Mário Machado um einen sehr bekannten Neofaschisten, der immer wieder auch wegen Gewaltverbrechen im Gefängnis saß.

Doch drängt sich der Gedanke auf, dass die Distanzierungen Venturas nur Lippenbekenntnisse sind.