Präsidentschaftswahlen - kein "gemeinsames" Polen möglich
In Polen finden am Sonntag die Wahlen für das Amt des Staatspräsidenten statt. Gegen den Amtsinhaber Andrzej Duda tritt der liberale Oberbürgermeister Warschaus Rafal Trzaskowski an
Einen "wirklichen Wandel" sowie der Regierung "auf die Finger zu schauen" verspricht Rafal Trzaskowski, 48 Jahre alt, Mitglied der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) und der aussichtsreichste Kandidat der Opposition. Zusammen mit Jacek Kowalski, dem Bürgermeister der Kleinstadt Nowy Dwor Mazowiecki, steht er am Freitagmorgen auf dem Gelände des regionalen Flugplatzes und klagt über die mangelnde Kooperation der Regierung mit den Kommunen, hier am Beispiel bei der Finanzierung des Flughafens.
Der urbane Liberale mit den angenehmen Manieren will ein "gemeinsames Polen", wie er sagt. Er glaubt, dass die mit Duda verbundene nationalkonservative Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) mit ihrem konfrontativen Kurs und ihrem Umbau des Justizsystems das Land spaltet. Und er will ein "starker Präsident" sein - Im Gegensatz zum Amtsträger, der für gewöhnlich die umstrittenen Gesetze mit seiner Unterschrift absegnet, die PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski hat.
Doch vor allem in der Provinz ist der gleichaltrige Nationalkonservative Duda, der seit seiner Wahl 2015 unermüdlich durch das Land tourt, sehr beliebt. Und auf dem Land entscheidet sich die Wahl.
Nowy Dwor Mazowiecki, ein Städtchen mit 28.000 Einwohnern, ist Provinz, doch die 50 Kilometer Entfernung zur Hauptstadt und der Flughafen macht es nicht wirklich abgeschieden. Die Weichsel fließt hier vorbei; Polen im Kleinformat.
"Es gibt keine andere Option"
Bei einem ersten Augenschein scheint sich hier die Begeisterung für Trzaskowski in Grenzen zu halten. Die Plakate, auf denen er mit einem Dreitage-Bart den Betrachter anlächelt, sind nicht so zahlreich, viele sind verschmiert. Auf der Warschauer Straße, der Hauptader des Ortes, reihen sich kleine Geschäfte, in den Nebenstraßen stehen noch Holzhäuser. "Legale Arbeit in Deutschland" steht auf einem Zettel in Klarsichtfolie an einen Obstbaum vor dem Finanzamt gepinnt. Auf einer Bank genießt eine Frau mit Krücken ihre Mentholzigarette.
Jugendgruppen, für die zwei Monate Sommerferien und Langeweile anstehen, sowie Rentner dominieren die Szenerie. Wer nach Auskunft fragt, wird mit Freundlichkeit und langen Erklärungen belohnt, nicht unbedingt bei dem Thema Politik. "Die einen denken so, die anderen so", meint eine ältere Frau auf die politische Lage angesprochen. "Als Rentnerin denke ich so", erklärt sie nach hartnäckigem Fragen. Also Duda? "Ja", sagt sie und lacht, winkt dem Reporter zu und weiteren Fragen ab.
Eine Landwirtin, Vorname Dorota, wird konkreter. Die PiS ermöglichte "500+" (eine Art Kindergeld) und Andrzej Duda sei der Garant. "Jetzt haben die kinderreichen Familien ganz andere Möglichkeiten, sie können mal einen Ausflug machen." Alle ihre Bekannten wählten ihn.
Ein älterer Mann, der seinen Kombi vor einem Sanitärladen geparkt hat, pflichtet ihr bei. "Es gibt keine andere Option", die Situation heute sei mit früher nicht zu vergleichen. Andrzej Duda gewann im Mai 2015 überraschend die Wahlen gegen den ein wenig selbstgefälligen Amtsinhaber Bronislaw Komorowski, im darauf folgenden Oktober löste die Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) dann die regierende liberal-konservative "Bürgerplattform" (PO) mit vielen Sozialversprechen ab und gewann auch 2019 etwa mit der Ankündigung von einer Verdopplung des Mindestlohns.
Trzaskowski gehört zur "Elite" und ist passendes Feindbild der PiS
Der Staatspräsident, der bei der Außen- wie Sicherheitspolitik mitreden darf, kann jedoch nicht wirklich regieren, darf jedoch Gesetzesentwürfe boykottieren - und darauf kommt es an. Trzaskowski kann die Pläne von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski durchkreuzen, die Justiz noch weiter der Regierung unterzuordnen.
Die Wahl sollte eigentlich im Mai stattfinden, wurde aber aufgrund der Pandemie nicht statt, das Parteienbündnis "Bürgerkoalition" (KO) konnte so der etwas energielosen Kandidatin Malgorzata Kidawa-Blonska die Gelegenheit geben, abzudanken und Trzaskowski ans Ruder zu lassen. Der gebürtige Warschauer hat sich nicht gleich zur Kandidatur entschlossen. Seine Frau und seine zwei Kinder hatten schon im Herbst 2018 einen sehr hart geführten Wahlkampf mitgemacht und die Familie erinnerte ihn an das Schicksal von Pawel Adamowicz - der ebenfalls charismatische Danziger Oberbürgermeister wurde 2019 auf offener Bühne von einem Fanatiker ermordet, der alles Liberale hasste (Mord in Danzig). Bislang musste Trzaskowski nur eine geworfene Flasche überstehen, die nicht ihn, sondern eine Kamera traf.
Von seiner Vita gehört Trzaskowski sicherlich zu einer "Elite" und ist somit passendes Feindbild der PiS, die angeblich die Interessen der "gewöhnlichen Polen" vertritt: Studium der Außenpolitischen Beziehungen, Stipendien in Oxford wie Paris, der Liberale war als Berater im Europaparlament unterwegs und wirkte bis zur Abwahl der PO 2015 als stellvertretender Außenminister mit Schwerpunkt Europapolitik. Zudem löste er voriges Jahr mit einer Aufklärungskampagne als Oberbürgermeister über LGBT heftige Reaktionen bei dem nationalklerikalen Milieu aus.
Auch wird er von den Medien des Regierungslagers angefeindet, da er seine Kinder nicht zur Kommunion schickte, da die Eltern mit dem Kurs des Klerus nicht einverstanden waren - ein Akt, der im fast einheitlich katholischen Polen ungewöhnlich ist, zumal sich seine Partei als konservativ-liberal betrachtet.
Der liberal-katholische Journalist Szymon Holonia und der Vertreter der Bauernpartei PSL, Wladyslaw Kozyniak-Kamys, sind noch zu nennen, denen vor einem Monat noch Chancen auf eine Stichwahl zugestanden wurde. Doch Trzaskowskis Beliebtheit stieg, sie liegt bei rund 30 Prozent, Duda werden über 40 Prozent der Stimmen zugerechnet.
Dieser Trend zugunsten des begeisterten Europapolitikers hat zu scharfen Angriffen des Regierungslagers geführt, wozu auch das Staatsfernsehen TVP gehört, welches der Liberale bei entsprechender Macht auflösen will.
Gespaltenes Land
Wie konfliktbeladen die Situation im Land ist, zeigt sich auch in der Targowa-Straße von Nowy Dwor Mazowiecki. Hier prangen Trzaskowski-Plakate in unverschmierter Form vor einer Schreinerei, eine Europafahne weht - gegenüber liegt ein Häuschen mit Andrzej Duda Konterfeis, das neue Parteibüro der PiS. Wer hier herumsteht, sich Notizen macht und Fotos schießt, fällt auf. Er befindet sich in einem Spannungsfeld.
"Da haben sie uns etwas vor das Haus gestellt", schimpft Krzysztof Fiuk, der Inhaber der Schreinerei, ein kräftiger Mann um die 50, der zu sich in den Hof einlädt. "Wir brauchen eine Kontrolle der Macht", so sein erstes Argument für Trzaskowski. Viele Menschen in seiner Stadt wollten diese Korrektur der PiS. Stück für Stück würde Kaczynski Polen die Freiheit rauben, die Regierung kollabiere mit der Kirche, es müsse mehr den Bürgern zugehört werden und auch den Unternehmern, welche das Land am Laufen halten. Er habe aufgrund der schwachen Auftragslage allein zwei Mitarbeiter, die Regierung habe die Firmen allein mit umgerechnet 1121 Euro unterstützt, was nicht reiche.
Bezeichnend auch hier, dass die meisten Befragten einen Bekanntenkreis haben, in der unisono die gleiche Partei gewählt beziehungsweise die gleiche Partei abgelehnt wird. Man bleibt unter sich.
Auf der anderen Seite empfängt Zbigniew Niezabitowski, ein älterer Herr mit einem weißen Schnurrbart, in das kleine Parteibüro mit Duda-Flyern auf dem Tisch, über ihm hängt das polnische Wappen, der verunglückte Staatspräsident Lech Kaczynski, der Nationalheld Jozelf Pilsudski, zur Rechten steht ein Porträt des Papstes. Er hat die bekannten Gegenargumente.
"Was will Trzaskowski eigentlich, das weiß doch keiner", das sind nur Versprechungen, die nicht umgesetzt würden, meint Niezabitowski. Er habe ja nicht mal ein richtiges Programm. Verteidigen müsse sich Polen von innen, gegen die LGBT-Bewegung, die der Liberale unterstützt. "Wir haben hier unsere Tradition", erklärt der Nationalkonservative. Zudem müsse sich Polen gegen Russland verteidigen, hier habe Duda mit Trump am Mittwoch eine Erweiterung der Truppen besprochen. Ein Wahlkampfgeschenk des US-Präsidenten.
Früher mussten die armen Menschen Kredite für Schulhilfe aufnehmen, die Situation der Kinder habe sich doch deutlich verbessert. Die Reformen des Gerichts begrüßt er, die Richter hätten eine elitäre Kaste gebildet. Er selbst sieht sich Anfeindungen in seiner Stadt ausgesetzt - das Büro sei mit einem Luftgewehr beschossen, sein Auto mit vulgären Anti-PiS Parolen beschmiert worden. Er verdächtigt den Besitzer der Schreinerei.
Egal, wie nun die Wahlen ausgehen - diese Spaltung innerhalb des Landes wird lange bleiben.
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