Prekäre Lage der Justiz in Rumänien
Das rumänische Dilemma der EU-Kommission - Ein Kommentar
Am 19. Februar 2019 hat die rumänische Regierung mittels Notverordnung Anweisungen für die Arbeitsweise einer speziellen Ermittlungseinheit für Straftaten in der Justiz erteilt. Präsident Iohannis und drei Vereine von Richtern und Staatsanwälten kritisieren die Notverordnung bereits als weiteren Schritt zur Gängelung der Justiz.
Typischerweise können Regierungen auf Notverordnungen nur in einem eng begrenzten Umfang zurückgreifen, wie bei bewaffneten Aufständen, Krieg oder Naturkatastrophen (vgl. in der BRD die Notstandsgesetze von 1968 und die Artikel 35, 87a und 91 GG.
Ähnlich verhält es sich auch in Rumänien. Artikel 115 der rumänischen Verfassung regelt die Anwendbarkeit von Notverordnungen in einem engen Rahmen und verlangt neben einer zeitlichen Beschränkung auch die Unverletzlichkeit der grundlegenden staatlichen Institutionen.
Die starke Einschränkung der Regierungstätigkeit aufgrund von Notverordnungen ist dadurch begründet, dass die Gewaltenteilung eine Rechtssetzung eben nur für das Parlament vorsieht und nicht für die Regierung. Die Notverordnung vom 19. Februar kleidet aber lediglich das Justizreformgesetz vom 20 Juli 2018 aus ( LEGEA nr. 207 din 20 iulie 2018, publicată în MONITORUL OFICIAL nr. 636 din 20 iulie 2018), ein Vorgang, der keine Notverordnung rechtfertigt.
Eventuell liegt das hastige Vorgehen an der Kampagne gegen Kövesi (Greift der rumänische Geheimdienst nach der Europäischen Staatsanwaltschaft?) und an den Ermittlungen gegen Staatsanwälte in der DNA, aber eine normale Verordnung hätte völlig ausgereicht. Hinzu kommt, dass die Sektion der Staatsanwälte im höchsten Rat der Magistratur (CSM) häufig gegen Vorschläge des Justizministers gestimmt hat, während nun der gesamte Rat bei Entscheidungen hinsichtlich der Strafverfolgungsbehörden mitbestimmen kann, wovon sich der Justizminister mehr Unterstützung für seine Vorhaben zu versprechen scheint. Die Notverordnung wirft also ein schlechtes Licht auf das Vorhaben der Regierung.
Die vierte richterliche Vereinigung, die Nationale Union der Richter Rumäniens, hält das Gesetz vom 20. Juli 2018 grundsätzlich für richtig, weil es die Aufarbeitung von Straftaten in der Justiz ermöglichen soll, allerdings nicht die Notverordnung und die Vermischung der Karrieren von Richtern und Staatsanwälten, die nun möglich wird. Zudem hält sie es für falsch, dass Richter im Rat über den beruflichen Werdegang von Staatsanwälten abstimmen können sollen. http://www.unjr.ro/2019/02/21/unjr-condamna-prevederile-din-oug-7-2019-de-modificare-a-legilor-justitiei-care-incalca-principiul-separarii-carierelor-si-solicita-guvernului-dancila-sa-revina-de-indata-asupra-lor/
Die Diskussion um die Notverordnung und um die Ermittlungen von Straftaten von Staatsanwälten und Richtern zeigt wie auch die vorangegangen Enthüllungen zur Kollaboration von DNA und Geheimdienst SRI deutlich, in welcher prekären Lage sich die Justiz Rumäniens befindet und wie lange man sich auf Seiten der EU nicht darum gekümmert hat: Während die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft DNA noch Anfang 2017 verlautbaren ließ, es gebe keine Kooperation mit dem Geheimdienst aufgrund geheimer Protokolle, veröffentlichte der rumänische Geheimdienst im März 2018 - also lange vor der Kandidatur Kövesis im November 2018 für die Stelle des europäischen Generalstaatsanwaltes - das Geheimprotokoll zwischen DNA und SRI.
Die rumänische Regierung kann allerdings ihre Kampagne gegen Kövesi wohl kaum auf diese geheime Kooperation stützen, denn sie wusste offenbar davon. Schließlich stellte sich im Laufe der Zeit ebenfalls heraus, dass es inoffizielle Feierlichkeiten beim Geheimdienst SRI gab, auf denen führende Mitglieder von Regierung, Staatsanwaltschaft und Geheimdienst anwesend waren, wie z. B. Ponta, Dragnea, Coldea und Kövesi.
EU-Kommission sieht weg
All diese Informationen waren seit langem, teilweise seit Jahren, öffentlich zugänglich, genau wie das Interview General Drumbavas, der im April 2015 die Tätigkeit des Geheimdienstes in der Justiz bestätigte.
Es wird Zeit, dass sich die EU Kommission, das Selection Panel für die Europäische Staatsanwaltschaft und etliche Medienhäuser wie der Standard oder der Tagesspiegel eingehend informieren und sich nicht einfach aus Gründen der Sympathie auf eine Seite des rumänischen Machtkampfes schlagen. Man sollte bei den Möglichkeiten dieser drei Instanzen neben Neutralität auch tiefergehende Recherchen erwarten können, auch wenn dies mehr Arbeit verlangt. Gerade die Kommission als Hüterin der Verträge müsste eigentlich dafür Sorge tragen, dass die Justiz aller Mitgliedstaaten unabhängig ist - schließlich ist eine funktionierende Gewaltenteilung Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft in der EU.
Eine neutrale und vollständige Aufarbeitung der Probleme in der rumänischen Justiz würde dann aller Wahrscheinlichkeit nach zu der Erkenntnis führen,
- dass die Justiz in Rumänien nicht über die notwendige Unabhängigkeit verfügt;
- dass Richter und Staatsanwälte unabhängig sein müssen - und dass man die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ebenfalls in Altmitgliedsstaaten einführen sollte;
- dass die für die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) tätigen Staatsanwälte nicht nur unabhängig von europäischen Staaten, Organen, Personen und Institutionen sein und handeln müssen, sondern auch unabhängig von nicht-europäischen;
- dass eine Abstimmung erst nach dem Brexit und den Europawahlen Sinn macht;
- und dass das Selection Panel seine Bewertung der Kandidaten öffentlich machen sollte, insbesondere die Beurteilungen der Erfahrung und der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit.
Der letzte Punkt ist vor allem deshalb wichtig, weil das Gesetz nur eine Mitteilung und Begründung an die abgelehnten Kandidaten vorsieht, nicht aber eine öffentliche Begründung der Bewertung der erfolgreichen Kandidaten. Eine Beschränkung auf nur drei Kandidaten ist in der Verordnung ebenfalls nicht vorgesehen, wurde von dem Auswahlkommittee jedoch ohne ersichtlichen Grund vorgenommen. Es bleibt daher für die europäische Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar warum der vormalige Leiter von OLAF nicht auf der Shortlist ist, obwohl er sich angeblich beworben hat. Auch könnten einige italienische Staatsanwälte eigentlich aufgrund des Kampfes gegen die Mafia, der teilweise mit hohem persönlichen Einsatz geführt wurde, die nötige Erfahrung für die europäische Ebene mitbringen.
Allerdings wäre die EU-Kommission dann auch gezwungen zu erklären, warum sie sich bislang nicht ausreichend um die Unabhängigkeit der rumänischen Justiz gekümmert, sondern das Thema seit 2007 in ihren technischen und Fortschrittsberichten weitgehend ausgeklammert hat. Die Aktivitäten des Geheimdienstes SRI haben sich erst in den CVM-Berichten aus dem Jahr 2018 niedergeschlagen - und das, obwohl sogar die jährlichen Berichte des SRI an das rumänische Parlament die Aktivitäten erwähnten.
Ebenso unklar bleibt, warum die Kommission im Falle Rumäniens und Bulgariens ebenso zögerlich mit Maßnahmen ist, wie sie es bis vor kurzem mit Polen und Ungarn war (und auch bei anderen Mitgliedsstaaten zu sein scheint). Vielleicht liegt es am überbordenden Optimismus der EU-Führung, wie es ein Zeuge im Senatsausschuss der Commission on Security & Cooperation in Europe am 14 Juni 2017 formuliert hat: "There is, I'm afraid, within the European Union, an enormous capacity for wishful thinking, not lease with regard to the governance standards of its own members."
Dabei zeigt ein Blick in die Statistik des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deutlich, dass Rumänien nicht nur bei "high-profile corruption" Probleme hat, sondern auch in vielen anderen Bereichen, die alle im Cooperation and Verification Mechanism behandelt werden könnten. Genauso wie Polen und Ungarn haben Rumänien und Bulgarien ein enormes Potential, das zu einem Erfolg der Europäischen Union beitragen könnte. Aber dazu müsste die EU zunächst ihre eigenen rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen und glaubhaft mit der Suspendierung der Zusammenarbeit in rechtlichen Angelegenheiten drohen oder den Cooperation and Verification Mechanism präziser einsetzen.
Um Enttäuschungen vorzubeugen, könnte die EU-Kommission den Bürgern Rumäniens auch klar machen, dass der Cooperation and Verification Mechanism bislang nicht zielführend war und dass eine europäische Staatsanwaltschaft nur in engen Grenzen tätig werden und deshalb die Probleme der endemischen Korruption vielleicht eindämmen, aber nicht lösen wird.
Das kann nur die rumänische Bevölkerung durch Proteste für eine unabhängige Justiz und durch Wahlen erreichen. Deshalb sind für das Wochenende wieder Demonstrationen geplant. Die EU-Kommission könnte die Forderung nach Reformen stärken, indem sie zusammen mit Regierung, Opposition, Staatsanwälten, Richtern, GRECO und Venice Commission regelmäßig gemeinsame Ziele erarbeitet und so den gegenwärtigen Konflikt entschärft, anstatt getrennt von einigen Beteiligten zu arbeiten und andere zu ignorieren. Denn nur, wenn alle Parteien die Reformen mittragen, können sie auch umgesetzt werden und zu einer unabhängigen Justiz führen.