Prigoschin-Deal: Warum Lukaschenko und Belarus?
Welche Rolle spielte der belorussische Präsident im Deal des Kreml mit dem aufständischen Söldnerführer? Was machen dessen Kämpfer jetzt im Nachbarland?
Der Chef der Militärfirma Wagner PMC ist knapp eine Woche nach seinem Aufstandsversuch in seinem weißrussische Exil angekommen. Für die Söldner, die ihm die Treue halten und nicht in den Dienst des russischen Verteidigungsministeriums übertreten oder den Dienst quittieren wollen, werden nach verschiedenen Berichten in Belarus Einrichtungen gebaut.
In Russland wird Prigoschins Trollfabrik und Medienimperium von kremlnahen Kräften übernommen, Wagner PMCs Zukunft selbst ist ungewiss und es gibt Indizien für eine Auflösung zumindest auf russischem Boden. Aber warum befindet sich das Exil des nun vom Kreml geächteten Söldnerführers ausgerechnet beim engsten Verbündeten Moskaus?
Lukaschenko als akzeptable Lösung für alle
Schon als sich mitten im Militäraufstand von Jewgeni Prigoschin am letzten Wochenende die Nachricht verbreitete, Weißrusslands Präsident Lukaschenko würde aktuell auf Seiten des Kreml die Verhandlungen leiten, sorgte das international für viel Überraschung. Im Gegensatz zu einigen anderen Mysterien des belorussischen Kompromisses gibt es eine logische Erklärung, warum es ausgerechnet der belorussische Machthaber war, der mit dem Söldnerführer verhandelte.
Sie wurde zuerst von der exilrussischen Onlinezeitung Meduza veröffentlicht, die sich auf Quellen in der russischen Präsidialverwaltung beruft und im Gegensatz zu den meisten anderen Medien auch über solche verfügt. Was wichtig ist: Sie widerspricht nicht den späteren, recht freimütigen Schilderungen von Lukaschenko selbst, die er in neun Einzelteilen seiner Haus- und Hofagentur Belta zum Besten gibt.
Putin selbst wollte schlicht und ergreifend nicht mit dem "Verräter" Prigoschin reden und beauftragte stattdessen mit den Verhandlungen einen Stab aus Kreml-Beamten und Vertretern des Verteidigungsministeriums der zweiten Reihe. Dieser kam bei Gesprächen mit Prigoschin nicht voran, der mit dem Kremlherren selbst reden wollte und nicht mit Offiziellen aus der zweiten Reihe. Als deren Gespräche in die Sackgasse führten, verlangte der Söldner-Chef, mit Spitzenbeamten zu reden.
Dass hier ein Staatsoberhaupt eines anderen Landes ins Spiel kam, lag vor allem daran, dass Lukaschenko hier ein von beiden Seiten akzeptierter und williger Verhandlungsführer war. Prigoschin habe "einen würdigen Verhandlungspartner" gebraucht, um gesichtswahrend aus allem herauszukommen, zitierte Meduza eine Quelle aus dem Umfeld der Kreml-Verwaltung. "Lukaschenko handelte als solcher. Er liebt die PR und verstand die Vorteile für sich – deshalb hat er zugestimmt."
Lukaschenkos PR-Erfolg in Russland als Lohn
Mit Meduza stimmt der russische Journalist Maxim Samorukow in einer Analyse für das Carnegie-Zentrum Russia-Eurasia überein. Lukaschenko genieße es, der Mann der Stunde zu sein. Seine diplomatische Glaubwürdigkeit wurde gestärkt, glaubt Samorukow, früher Redakteur der einflussreichen russischen Onlinezeitung Slon. In Russland gibt es auf jeden Fall keinen Mangel an offiziellem Dank und Applaus, etwa in der Staatsduma.
Herauskommen musste Prigoschin auch aus Russland. Es war klar, dass der Kreml zumindest ihn persönlich nicht mehr im Land dulden würde. So wurde nach Ansicht des Minsker Politologen Artjom Schrajbman gegenüber Telepolis Weißrussland auch als Zufluchtsort für Prigoschin benötigt. Es sei aber weiter völlig unklar, inwieweit Lukaschenkos Vorschläge zur Lösung wirklich eigene Initiativen waren oder er nur die Rolle eines reinen Übermittlers spielte. Schrajbman zweifelt hier an den großspurigen Schilderungen des belorussischen Oberhauptes, der die Urheberschaft weitgehend für sich reklamiert.
All diese Geschichten, wie er persönlich Wagners Kolonne gestoppt hat, wie er Prigoschin persönlich überzeugt hat, zum Telefonhörer zu greifen, anstatt mit einem Bombardement zu beginnen. Das hört sich alles zu sehr an nach seinen typischen Darbietungen an.
Artjom Schrajbman, Politologe
Lukaschenko eigne sich auch nicht für wirklich internationale Verhandlungen des Kremls, etwa gegenüber der Ukraine, die ihn eindeutig als prorussische Figur wahrnehme. Maxim Samorukow geht in seiner Einschätzung sogar noch weiter. Gegenüber dem Westen werde der umstrittene Weißrusse nicht mehr für Verhandlungen in Anspruch genommen. Für den Kreml sei er nur ein nützlicher Auftragnehmer.
Seine Rolle, die Meuterei zu einem friedlichen Abschluss zu finden, hat seine Wandlung von einem internationalen Führer zu einem der einflussreichen Großen innerhalb Russlands besiegelt (…) Lukaschenkos Erfolg wird zweifellos sein Ansehen bei Putin, seinen Einfluss innerhalb des Systems und seine Verbindungen dort stärken. Diese sind aber nur innerhalb Russlands vom Bedeutung - oder angesichts der Bewegung der russischen Grenzen, der "russischen Welt"
Maxim Samurokow am 30.06.2023 für Carnegie Russia-Eurasia
Wagners unsicheres neues Betätigungsfeld
Wie viele Wagner-Kämpfer nun nach Weißrussland kommen, wie viele aus dem Dienst scheiden oder in reguläre russische Armeeeinheiten übertreten, ist aktuell noch völlig unklar. Schrajbman glaubt nicht, dass Lukaschenko für allzu viele dieser Krieger Verwendung hat, auch wenn der Langzeitpräsident bereits erklärt hat, einige von ihnen zum Training seiner eigenen Truppen einsetzen zu wollen. Problematisch sei hier vor allem, dass der Kreml Wagner nicht mehr finanzieren werde. Was auch immer Lukaschenko von den Söldnern will, müsste er selbst entlohnen.
Sie werden wohl schon deswegen nicht alle kommen, weil sie eine Arbeit brauchen. (…) Wegen Aspekten der Sicherheit bezweifle ich, dass Lukaschenko ihnen erlauben wird, ineiner Art Enklave zu existieren. Er ist nicht Putin und untergräbt nicht sein eigenes Gewaltmonopol. Deshalb glaube ich, wenn sie in nennenswerter Zahl nach Weißrussland gehen, dann unter strenger Kontrolle der dortigen Geheimdienste und mit strengen Regeln.
Artjom Schrajbman
Lukaschenko als akzeptable Lösung für alle
Schrajbman kann sich den Einsatz von Wagner-Leuten etwa bei Provokationen an den Westgrenzen zur Nato vorstellen. Aber es sei fraglich, ob sich aus seinen Möglichkeiten eine Vollbeschäftigung ergeben wird. So liegt es vor allem an Prigoschin selbst, sich aus seinem neuen Exil ein weiteres Geschäftsmodell aufzubauen, wie er es bereits mit der Trollfabrik, seinem Netz aus Medien oder seiner Militärfirma tat, die nun alle in Trümmern liegen. Die internationale Grauzone des anrüchigen, aber dennoch Praktizierten könnte ihm Möglichkeiten bieten. Denn hier gibt es nicht nur russische Auftraggeber.
Dabei muss sich Prigoschin jedoch gut vorsehen, damit er nicht einem Unfall wie einem Fenstersturz zum Opfer fällt. Auch Artjom Schrajbman glaubt nicht, dass Belarus für Prigoschin wirklich ein sicherer Ort ist, obwohl das Land schon einigen geflüchteten Anführern etwa aus der Ukraine und Kirgisistan Unterschlupf bietet.
Lukaschenko kann Prigoschin nicht vor Russland schützen, weil Russland in den Beziehungen zu ihm zu viel Einfluss hat.
Artjom Schrajbman
Im Fall des Falles werde Russland keine von Lukaschenkos Garantien und Versprechungen beachten.