Privatjets und Co.: Wie die Superreichen in Deutschland die Klimakrise befeuern
Eine Million Tonnen Treibhausgase werden allein durch deutsche Privatjets jährlich produziert. Meist handelt es sich um unnötige Kurz- oder Leerflüge. Wie viele es sind und was sich insgesamt ändern muss.
Raten Sie einmal, wie viele Privatjets im letzten Jahr auf deutschen Flughäfen gestartet sind? Jeden Tag zehn, hundert oder gar mehr? Richtig, es waren mehr. Insgesamt hoben täglich 260 sogenannte Flugzeuge im Business-Segment Richtung Himmel ab. Das hat eine gemeinsame Recherche von NDR und Süddeutscher Zeitung herausgefunden.
Es handelt sich für das Jahr 2022 um insgesamt 94.000 Starts von Privatflugzeugen allein in Deutschland, die eine überwiegend reiche, privilegierte Klientel bedienen. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl der Privatjet-Flüge, die durchgeführt werden von Chartermaschinen bis Unternehmensfliegern, sogar noch einmal um neun Prozent an. Das sind 8.000 mehr als 2021. Sie machen nun bereits zwölf Prozent des gesamten Flugverkehrs in Deutschland aus.
Dazu kommt, dass die meisten dieser Flüge unnötig sind und eine extrem klimaschädliche Verschwendung von Energie und Ressourcen darstellen. Nach Angaben der Branche für das Jahr 2014 (neuere Zahlen wollte die Anbieter auf Nachfrage nicht mitteilen) sind davon 40 Prozent Leerflüge.
Darüber hinaus sind die Strecken, die geflogen wurden, sehr kurz. Fast drei Viertel lagen unter 500 Kilometer, 60 Prozent sogar unter 300 Kilometer. Häufig genutzte Routen sind etwa Hamburg – Sylt oder Berlin – München. Nur rund zehn Prozent der Flüge sind über 1.000 Kilometer lang.
Solche privaten Flüge sind im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln, selbst Linienflügen, außerordentlich klimaschädlich. So werden zum Beispiel beim meistgenutzten Privatjet-Modell in einer Stunde neun Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre ausgestoßen, wenn die gesamte Auswirkung auf das Klima (inklusive Stickoxide, Ruß und Wasserdampf) eingerechnet wird. Ein Mensch in Deutschland verbraucht zum Vergleich im Durchschnitt etwa elf Tonnen Treibhausgase im ganzen Jahr, ein Inder gut zwei.
Allein das Hin- und Herfliegen von Business-Fliegern in Deutschland produziert insgesamt jährlich eine Million Tonnen Kohlendioxid. In Europa sind Privatjets für rund zehn Millionen Tonnen verantwortlich.
Stefan Gössling von der Linnaeus-Universität in Schweden forscht seit vielen Jahren zu den Auswirkungen des Flugverkehrs auf den Klimawandel. Er fordert wie viele Klimawissenschaftler:innen und Umweltschutzorganisationen die Politik auf, tätig zu werden.
Wir können aus Klima-Perspektive nicht länger zuschauen, dass viele Reisen mit dem Flugzeug gemacht werden, gerade mit Privat-Flugzeugen, die auch genauso gut mit der Bahn zu absolvieren wären oder meinetwegen mit dem Privatwagen.
Doch die Politik sieht keinen Handlungsbedarf, um den wachsenden Privatjet-Markt in den Griff zu bekommen. Weder die EU-Kommission noch die deutsche Bundesregierung planen zum Beispiel, das Schlupfloch zu schließen, mit dem Privatflugzeuge buchstäblich unter dem Emissions-Radar fliegen dürfen.
Denn für sie gilt eine Ausnahmeregelung beim EU-Emissionshandel. So müssen gewerbliche Fluganbieter erst ab einer Mindestgrenze von 10.000 Tonnen Verschmutzungsrechte kaufen. Diese Grenze überschreiten sie aber selten.
Statt die Kosten der Klimaschädigung in den Privatflug einzupreisen und damit zu regulieren, setzt das von der FDP geführte Verkehrsministerium auf "CO2-neutrales Fliegen" in der Zukunft. Man wolle, so heißt es, bis 2050 auf nachhaltigen Treibstoff und elektrische Antriebe umstellen.
Doch Wissenschaftler bezweifeln, dass das realistisch und machbar ist. Sie verweisen auf technologische Schwierigkeiten und die großen Umwandlungsverluste bei der Herstellung beispielsweise von synthetischen Kraftstoffen, für die dann sehr viel erneuerbarer Strom produziert werden müsste. Auch trägt beim Fliegen nicht nur CO2 zur Erderhitzung bei.
Soziale Schieflage beim Klimaschutz
Der Klimakiller Privatjets verweist zudem auf eine soziale Schieflage beim Klimaschutz. Denn insbesondere die sehr reichen Schichten, insbesondere die Superreichen, sind für einen beträchtlichen Teil der Treibhausgase verantwortlich.
So prahlte der ehemalige Vorstandsvorsitzende von VW Herbert Diess einmal, dass er im Jahr 1300 Tonnen CO2 ausstoße. Er besitzt somit den Fußabdruck von etwa 120 Durchschnitts-Deutschen. Das Pariser "World Inequality Lab" (WIL) hat sogar errechnet, dass weltweit rund 800.000 Superreiche pro Kopf mehr als 2500 Tonnen CO2 jährlich produzieren. Setzt man einen ähnlichen Wert wie bei Diess für die oberen Zehntausend in Deutschland an, ergibt sich eine nicht unbeträchtliche Gesamtmenge, die eingespart werden könnte.
Schon wenn man dieser Gruppe nur noch das Zehnfache vom Durchschnitt gestattet – was nach wie vor Luxus wäre –, spart man auf einen Schlag die Treibhausgasmenge von über einer Million Normaldeutschen ein. Die Daten des WIL zeigen zugleich, dass die oberste gesellschaftliche Klasse von Einzelpersonen – die obersten 0,001 Prozent – eine so große Verantwortung trägt, dass ihre Entscheidungen die gleichen Auswirkungen auf das Klima haben können wie landesweite politische Maßnahmen.
An Ideen, die extremen Treibhausgas-Mengen, wie sie von Milliardären und Multimillionären produziert werden, insgesamt herunterzufahren, mangelt es nicht. Man könnte zum Beispiel die Nutzung von Privatjets, inakzeptable Luxus-Benzinverbräuche, CO2-intensive Yacht- und Kreuzfahrtschifffahrten, die Beheizung von mehreren Häusern, Villen und Apartments während der rasanten Dekarbonisierungsphase bis 2035 begrenzen.
Dadurch erhielte die Gesellschaft mehr Spielraum beim Umbau auf eine klimaneutrale Energieversorgung, was insbesondere den Mittel- und Unterschichten zugutekommen sollte. Genau den Schichten, die seit Anfang der 1990er-Jahre nicht nur ökonomisch verloren haben, sondern deren pro-Kopf-Emissionen laut WIL in den Industriestaaten zurückgingen, während die an der Spitze steil in die Höhe schossen. (siehe Seite 124 im WIL-Bericht)
Eine klimagerechte, faire Lösung, die das obere ein bis 0,1 Prozent der Bevölkerung dazu bringen würde, seinen CO2-Fussabdruck stark zu reduzieren, erfordert natürlich staatliche Regulierungen. Das könnten Kontingentierungen von besonders klimaschädlichem Verhalten sein. Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber bringt zudem einen privaten Emissionshandel ins Gespräch. Sein Vorschlag: Wer über drei Tonnen CO2 im Jahr verbrauche, müsse sich Verschmutzungsrechte von anderen zukaufen.
Das wäre sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Damit der Handel jedoch einen Steuerungseffekt bei Reichen und Vermögenden erzeugen kann, müsste der Preis für die Zertifikate entsprechend hoch bzw. progressiv gestaltet sein.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), lehnt eine derartige Obergrenze, die vor allem die Hochemittenten treffen würde, ab. Gegenüber dem ARD-Politikmagazin Panorama sagte er:
Ich konzentriere mich jetzt nicht auf die Frage eines individuellen Budgets.
Habecks Reaktion zeigt exemplarisch, dass die Klimaschutzpolitik den Aspekt der Klimagerechtigkeit und sozialen Balance bis heute weiter nicht im Blick hat. Das ist aber notwendig, national und global, wie eine Untersuchung der britischen Hilfsorganisation Oxfam mit dem Titel "Extreme Carbon Inequality" (Extreme Kohlenstoff-Ungleichheit) herausstellt. Sie zeigt auf, dass die ärmere Hälfte der weltweiten Bevölkerung – also über 3,5 Milliarden Menschen – für nicht mehr als zehn Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich ist.
Die reichsten zehn Prozent, die relativ kleine Gruppe von 700 Millionen Menschen, verursachen dagegen rund 50 Prozent der Emissionen. Die Organisation spricht von extremer Ungleichheit. Der Autor der Studie Tim Gore stellt fest:
Unterm Strich ist es so: Gehen wir den Klimawandel und die Ungleichheit nicht gleichzeitig an, kann weder das eine noch das andere gelöst werden.
Die Klimawende erfordert also zugleich eine soziale Wende. Denn nur, wenn es gerecht zugeht, können die Menschen dafür gewonnen und das nötige Tempo für den Umbau aufgenommen werden.
Die Begrenzung von klimaschädlichen Privatflügen wie anderen Luxus-Konsums kann also nicht nur schnell und minimalinvasiv viele unnötige Treibhausgase reduzieren. Es wäre auch ein wichtiges klimapolitisches Signal an die Bevölkerung, dass die Hauptverursacher ihren fairen Anteil zum Schutz der Erdatmosphäre beitragen müssen.
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