Problemzone Weihnachtsmarkt: Terrorangst und Namensstreit
Behörden sehen abstrakt hohe Gefahr islamistischer Anschläge. Der Kulturkampf um das Wort "Wintermarkt" tobt schon länger. Legen Muslime wirklich Wert darauf?
Terrorangst war zwischen Glühweinbuden und Lebkuchenständen kein großes Thema, bevor am 19. Dezember 2016 ein LKW in die Menschenmenge auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz raste. Als Täter wurde wenig später der tunesische Dschihadist Anis Amri identifiziert.
Der Weihnachtsmarkt-Attentäter und die V-Leute
Warum er nicht früher aus dem Verkehr gezogen worden war, obwohl Mitbewohner aus einer Unterkunft für Asylsuchende vor ihm gewarnt hatten, obwohl er mehrfach durch Straftaten aufgefallen war und sich in seinem Umfeld V-Männer von Sicherheitsbehörden bewegt hatten, wurde später Thema in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags.
Es kam sogar heraus, dass Amri sogar vor einem V-Mann mit seiner Gewaltbereitschaft geprahlt und ihm von Waffenbeschaffungsplänen erzählt hatte.
Lesen Sie auch:
Sicherheitsrisiko Staat: Der "reine Polizeifall" Anis Amri
Schwere Vorwürfe gegen die Behörden blieben im Raum stehen. Wichtige Hinweise seien "zumindest fahrlässig nicht oder falsch ausgewertet und bewertet" worden, schrieben die damaligen Oppositionsfraktionen Bündnis90/Die Grünen, FDP und Die Linke in einem Sondervotum zum Abschlussbericht. Die AfD-Fraktion interessierte sich kaum für Details der Ermittlungen und war der Meinung, man hätte einfach 2015 die Grenzen schließen sollen.
Weihnachtsmärkte als Inbegriff westlicher Kultur
Mittlerweile fehlt auch wegen islamistisch motivierter Messerangriffe neueren Datums ein Stück Unbefangenheit auf den Märkten, die nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) "aufgrund ihrer Symbolik für christliche Werte sowie als Inbegriff der westlichen Kultur und Lebensweise" auch ideologisch "ein geeignetes Ziel für islamistisch motivierte Personen" darstellen.
Abstrakte Terrorgefahr: Faeser mahnt zur Wachsamkeit
Die Überlegung, nicht zu "Stoßzeiten" einen Glühwein trinken zu gehen, sondern wenn die Märkte weniger stark frequentiert und für mögliche Attentäter vielleicht weniger attraktiv sind, dürfte vielen inzwischen bekannt sein. Manche der Veranstaltungen sind inzwischen mit Betonpollern gesichert, zum Teil gibt es Einlasskontrollen, so etwa auf dem Bebelplatz in Berlin.
Das Bundeskriminalamt soll von einer "anhaltend abstrakt hohen" Anschlagsgefahr auf Weihnachtsmärkten ausgehen, berichtete die Bild Anfang der Woche, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bestätigte dies sinngemäß und mahnte zur Wachsamkeit. Hinweise auf konkrete Anschlagspläne gab es aber demnach nicht.
Der Wintermarkt: Ein Kniefall vor Muslimen?
Ein Kulturkampf um den heimeligen Budenzauber zur Adventszeit tobte aber schon vor dem Lkw-Anschlag von 2016: Soll es nun "Weihnachtsmarkt" oder "Wintermarkt" heißen? Dazu hatte die Bild am Sonntag schon vor zehn Jahren eine eindeutige Meinung und problematisierte den Kreuzberger Wintermarkt sinngemäß als Kniefall vor Muslimen. "Haben wir noch alle Lichter am Baum?" lautete die Überschrift.
Muslime, in ihrer großen Mehrheit keine Islamlisten sind, bestreiten allerdings, dass die Umbenennung von Weihnachtsmärkten auf ihren Wunsch zurückgehe.
Mazyek: Jesus hat im Islam eine ehrenhafte Position
Als die Bezeichnung "Wintermarkt" zum Aufreger geworden war, versicherte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, dem katholischen Domradio, er finde die Diskussion peinlich und störe sich nicht an Weihnachtsmärkten.
Im Gegenteil. Das erinnert auch uns Muslime an Jesus, der ja als Prophet eine ehrenhafte Position innerhalb des Islams innehat. Die Geburt, seine Geschichte. Seiner Mutter ist ein ganzer Koran-Abschnitt gewidmet. Maria ist eine große Persönlichkeit im Islam.
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, 2016 über Isa Ibn Maryam (Jesus, Sohn der Maria)
Tatsächlich hat Jesus im Koran besondere Fähigkeiten: Er kann sofort nach seiner Geburt sprechen und was er sagt, gilt als Wort Gottes, auch wenn er nicht als Gottes Sohn bezeichnet wird.
Ataman: Die muslimische Weihnachts-Aversion ist ein Mythos
2017 bestritt auch die heutige Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman, dass eine Umbenennung von Weihnachtsmärkten dem Wunsch von Muslimen geschuldet sei: "Dass Muslime empfindlich auf Weihnachtsbräuche reagieren, ist ein nerviger Mythos", schrieb Ataman in einem Gastbeitrag für den Spiegel.
Ich bekomme jedes Jahr "Frohe Festtags"-Wünsche und Neujahrsgrüße auf schönen, winterlichen Postkartenmotiven. Fast nie traut sich jemand, mir "fröhliche Weihnachten" zu wünschen. Dabei fühle ich mich davon überhaupt nicht gekränkt! Und seien Sie versichert, ich bin kein Einzelfall.
Ferda Ataman, inzwischen Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, 2017 in einem Gastbeitrag für den Spiegel
Christliche Mehrheiten kippen nicht durch Muslime
Der muslimische Anteil an der Bevölkerung Deutschlands lag nach Angaben des Bundesinnenministeriums im Jahr 2020 bei 6,4 bis 6,7 Prozent. Genauere Zahlen sind schwer zu ermitteln, weil es kein muslimisches Pendant zu den Amtskirchen gibt.
Die Zahl der Muslime in Deutschland wird demnach auf 5,3 bis 5,6 Millionen geschätzt. Das Personenpotenzial des Islamismus gab der Verfassungsschutz zuletzt mit rund 27.200 an. Das wären etwa 0,5 Prozent der Muslime in Deutschland.
Dass es inzwischen fast keine deutschen Städte mehr mit christlicher Mehrheit gibt, liegt nicht an einer sprunghaften Islamisierung, sondern zu einem wesentlichen Teil an den Kirchenaustritten der letzten Jahre und Jahrzehnte, die größtenteils in die Konfessionslosigkeit führten, sowie an natürlichen Todesfällen von Gemeindemitgliedern.
Ungläubige als Weihnachtsmarkt-Publikum
Zur Zielgruppe der Weihnachts- oder Wintermärkte gehören aber eben auch Konfessionslose. Tatsächlich feiern auch völlig religionsfreie Menschen vom 24. bis zum 26. Dezember ein weihnachtsähnliches Familienfest – sei es mit der Blutsverwandten oder Wahlverwandten – teils mit Tannenbäumen, Glitzerkugeln und Geschenken, nur eben ohne religiöse Lieder und Gebete.
Einige von ihnen besuchen vorher Winter- oder Weihnachtsmärkte und nutzen umgangssprachlich beide Bezeichnungen.
Berlin als Welthauptstadt des modernen Atheismus
Konfessionslose stellen inzwischen bundesweit 46 Prozent der Bevölkerung und in der deutschen Hauptstadt die absolute Mehrheit. Der US-Soziologe Peter L. Berger hat Berlin sogar als "Welthauptstadt des modernen Atheismus" bezeichnet. Während Ende 2023 bundesweit Konfessionslose und Kirchenmitglieder mit jeweils 46 Prozent gleichauf lagen, ist in Berlin längst die Mehrheit konfessionsfrei.
2014 waren dies bereits rund 60 Prozent der Berliner Bevölkerung. 2016 gehörten noch 21 Prozent der evangelischen und neun Prozent der katholischen Kirche an.
Diese Anteile sind seither weiter gesunken: 11,7 Prozent sind laut aktueller Statistik evangelisch und 6,9 Prozent katholisch. Muslimischer Zuzug dürfte dafür allerdings nicht der Hauptgrund sein – vielmehr hatte es bundesweit nach Missbrauchskandalen vermehrt Kirchenaustritte gegeben. Nicht nur bei den Katholiken.
Das Aufstellen von Tannenbäumen ist aber ohnehin keine rein christliche Tradition, sondern geht auf alte heidnische Bräuche zurück. So gesehen ist Weihnachten vielleicht das älteste Multikulti-Fest der Menschheitsgeschichte.