Proteine am laufenden Band

In Berlin entsteht eine Proteinstrukturfabrik, deren Ergebnisse der treffsicheren Entwicklung gentechnischer Medikamente dienen sollen

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Eiweiße sind die Grundsubstanz des Lebens. Folglich sind sie auch der Hauptansatz- und Angriffspunkt gentechnologisch entwickelter Medikamente. Im menschlichen Körper gibt es ca. ein bis zwei Millionen Proteine. Sollen gentechnische Medikamente ihre volle Schlagkraft entwickeln, müssen ihre Zielpunkte - also insbesondere die Proteine - bestens bekannt sein. Wichtige Schritte dieser Eiweißerkundung gehen Genwissenschaftler eines Berliner Forschungsverbundes jetzt mit der Einrichtung einer "Proteinstrukturfabrik".

Kristallstrukturanalyse, Institut für Kristallographie, Freie Universität Berlin und Forschungsgruppe Kristallographie, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin

Die Proteinstrukturfabrik soll die räumliche Struktur von Eiweißmolekülen mit Röntgendiffraktion und NMR-Spektroskopie ermitteln und in einer Datenbank abspeichern. Der anschließende Forschungsabschnitt, die Funktionsanalyse der einzelnen Eiweiße, wird von anderen Forscherkollegen übernommen. Angesichts der Unmenge an Proteinen richtet sich das Forschungsinteresse vorerst auf die medizinisch relevantesten unter ihnen.

Proteine haben sehr komplizierte räumliche Strukturen. Die Aminosäuren reihen sich nach dem Bauplan der DNA aneinander. Dabei entsteht keine ausgestreckte Kette, sondern ein kompliziertes, mitunter geschwürartig wirkendes Knäuel. Die Aminosäure-Teile drehen und verschieben sich und verbinden sich auch untereinander.

An der Form und Faltung der Eiweiße lässt sich erkennen, ob sie als Stütze dienen - wie z.B. in Haaren oder Muskeln -, oder als Enzyme, Hormone oder Rezeptoren wirken. Kennt man die Struktur einzelner Eiweiße, lässt sich ermitteln, mit welcher Substanz sie sich verbinden, etwa um bestimmte Eiweiße zu blockieren oder anzuregen.

Einzeln arbeitende Wissenschaftler, z.B. Doktoranden, benötigen für die hinreichende Erkundung von Proteinstrukturen sehr viel Zeit - für eine einzige Proteinstruktur etwa drei Jahre. Diese langen Untersuchungszeiten sollen nun in jener Proteinstrukturfabrik mittels automatisierter und standardisierter Untersuchungstechniken enorm verkürzt werden. Vom nächsten Jahr an soll die Fabrik wie am Fließband die dreidimensionale atomare Struktur von jährlich ca. 200 - 300 menschlichen Eiweißen präzise messen. Das Rohmaterial hierfür - in Bakterien verpackte Gensequenzen - kommt aus dem Humangenomprojekt vom Ressourcenzentrum Berlin.

In der Proteinstrukturfabrik am Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) werden die Gene dann in das Erbgut von Hefezellen oder Bakterien eingeschleust, damit die Organismen das Protein in großen Mengen produzieren. Pro Erkundungsdurchlauf in der Proteinstrukturfabrik werden von einem Eiweiß mindestens 20 Milligramm benötigt. Das hört sich auf den ersten Blick wenig an, aber manche Proteine kommen in so geringen Spurenmengen vor, dass man, wie es FMP-Direktor Rosenthal ausdrückte, für zwanzig Milligramm Eiweiß eine ganze Herde Elefanten einstampfen müsste. Aus Bakterien wie Escherichia coli und Hefen wie Saccharomyces cerevisiae lassen sich die benötigten Mengen an zu untersuchenden Proteinen in "Eigenproduktion" vergleichsweise einfach gewinnen. Wie gewünscht produzieren sie nach der Anleitung eingeschleuster Gene das benötigte menschliche Protein. Hefezellen verdoppeln sich bei entsprechenden optimalen Bedingungen binnen zwei Stunden.

Expression in Hefe, Technische Universität Berlin, FB Lebenswissenschaften und Biotechnologie, Fachgebiet Mikrobiologie und Genetik

Nach der Extraktion, Reinigung und Prüfung der gewonnenen Proteine geht es dann an die eigentliche Arbeit. Die Struktur kleiner Proteine wird im FMP mit der Kernspinresonanz-Spektroskopie ermittelt. Hierbei wird Proteinlösung kurzen elektromagnetischen Impulsen ausgesetzt und dadurch der Drehimpuls (Spin) der Atomkerne verändert. Die Auswertung der unterschiedlichen Resonanzen im Computer führt die Forscher zu dem Bild der dreidimensionalen Proteinstruktur.

Größere Proteine werden mit gebündelten Röntgenstrahlen analysiert, wozu die Eiweiße zuvor kristallisiert werden müssen. Hierzu wird ihnen mit Hilfe unterschiedlichster Substanzen das Wasser entzogen. Die Ermittlung der richtigen Substanz, unter der das jeweilige Eiweiß kristallisiert, ist ebenfalls sehr aufwendig und soll deshalb zusammen mit Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik mit Robotern und Videokameras ebenfalls automatisiert werden.

Die kristallisierten Proteinexemplare sollen künftig zur Röntgenanalyse an der Synchrotronstrahlungsquelle Bessy II in Berlin-Adlershof geschickt werden. Die aus diesem Elektronenspeicherring abgeleiteten Strahlen sind im Vergleich zu einfachen Röntgenstrahlen besonders intensiv und gebündelt und ermöglichen damit eine weitaus genauere und schnellere Ermittlung der Proteinstrukturen.

Die Einrichtung der Messplätze an der Strahlungsquelle wird aber noch bis etwa Ende 2001 dauern. Bis dahin werden für die Strukturanalyse der Proteine einfache Röntgenstrahlen verwendet. Die Wissenschaftler lenken die Röntgenstrahlen auf die Proteine und aus der Art und Weise, wie die Strahlen von dem Kristall gebeugt werden, lässt sich ihre räumliche Struktur ermitteln. Am Ende des Produktionsprozesses steht ein Computerbild des Proteins. Das erste Testprotein hat bereits sämtliche Stationen der Fabrik durchlaufen und wird als erstes Proteinbild in den nächsten Wochen fertiggestellt.

An dem Projekt sind neben dem Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie auch Wissenschaftler der Freien Universität, der Humboldt-Universität, des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) und des Ressourcenzentrums des Deutschen Humangenomprojekts Berlin sowie Biotechnologiefirmen aus der Region beteiligt. Die Proteinstrukturfabrik wird seit 1999 vom Bundesforschungsministerium mit 30 Millionen Mark für einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert. Nach Ablauf dieser Frist soll aus dem Projekt ein eigenständiges Unternehmen hervorgehen. Die Zeit drängt also, da auch die Konkurrenz in Nordamerika und Japan nicht schläft, wo sich ähnliche, z.T. weitaus höher geförderte Projekte im Aufbau befinden.

Die Proteinstrukturfabrik ist auch Thema einer Ausstellung im Rahmen eines EXPO-Projektes auf dem Campus des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch. Die Wissenschaftsschau beschreibt die Entstehung von Proteinen aus der DNA und wie sich die räumliche Struktur der Proteine untersuchen lässt. Die Eiweiße werden nicht nur an großen Proteinmodellen veranschaulicht, sondern sind auch im Mikroskop als bunt schillernde Eiweißkristalle zu sehen. Mit der Computermaus kann außerdem am 3D-Bild eines Proteins gedreht werden. Die Ausstellung ist montags bis freitags lediglich eine Stunde von 12. 30 bis 13. 30 Uhr geöffnet. Sonntags um 9. 30 Uhr kann sie in Kombination mit einem anderen Expo-Projekt, dem Gentechnikkurs im Gläsernen Labor, gebucht werden.