Protestwelle in Großbritannien
Ende März werden Massendemonstrationen gegen das Sparpaket stattfinden
Am 26. März werden Hunderttausende in London gegen das Sparpaket der britischen Koalitionsregierung demonstrieren. Es könnte die größte Demonstration in Großbritannien seit der Antikriegsdemonstration am 15. Februar 2003 werden. Damals demonstrierten eine Million Menschen gegen die Beteiligung der britischen Regierung am Irakkrieg. Die Menschen forderten von ihrer Regierung, dass sie ihnen zuhört. Eine ganze Generation wurde durch die Erfahrung politisiert, dass die Labour-Regierung unter Blair eben nicht zuhörte, sondern ihren Kurs unbeeindruckt fortsetzte, politisiert und radikalisiert.
Ähnliches findet derzeit in Großbritannien statt, aber auf größerer und breiterer Basis. Die Erstürmung des Millbank Towers, der Zentrale der Konservativen Partei, von Tausenden Jugendlichen während einer Demonstration gegen die Erhöhung der Studiengebühren am 10.11.2010 in London ging als Leuchtfeuer durch die Welt.
Wenig bis keine Beachtung durch die Weltpresse findet die Protestwelle, die derzeit durch Großbritannien geht. Die neue Phase der Kürzungen, aber auch des Widerstandes dagegen, hat Großbritannien längst erreicht. Jeder Stadtrat Großbritanniens hält derzeit Haushaltsberatungen ab. Diese finden öffentlich statt, was allerorts für Proteste benutzt wird. Öfter kommt es dabei zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizei, wie zum Beispiel am 22. Februar im Londoner Stadtteil Southwark.
Bei den kommunalen Kürzungen geht es immer um hohe Millionenbeträge. Londoner Stadtteilverwaltungen kürzen alle zwischen 20-50 Millionen Pfund aus ihrem Budget, Liverpool kürzt 119 Millionen Pfund und entlässt rund 2.000 Beschäftigte. 2.000 Beschäftigte sollen auch in Manchester gehen. Insgesamt werden eine Million Arbeitsplatzverluste befürchtet. In einem Mobilisierungsvideo der Transportarbeitergewerkschaft RMT werden die Folgen des Sparpaketes noch einmal aus gewerkschaftlicher Sicht zusammengefasst.
Bislang hat jede Stadtverwaltung die Kürzungen als "alternativlos" durchgewunken. Wenn am 26. März 5 Sonderzüge und weit mehr als 500 Busse Kurs auf London nehmen, dann tun die Teilnehmenden dies mit wenigen Illusionen. Die gegenwärtige Regierung wird in der Frage des Sozialabbaus ebenso wenig zuhören, wie es die Blair/Brown-Regierung in der Frage des Irakkrieges tat.
Für die Gewerkschaftsführungen ist dies ein Problem. Sie haben derzeit keinen konkreten Plan, was nach dem 26. März folgen soll. Wohin dies führen kann, zeigt das Beispiel des Präsidenten der britischen Studierendenvertretung (NUS), Aaron Porter. Porter organisierte die Studierendendemonstration am 10.11.2010 in London. Im Nachhinein verurteilte er die Besetzung der Tory-Parteizentrale scharf.
Porter ist Mitglied der Labour Partei, wie viele andere NUS-Präsidenten vor ihm. Eine führende Rolle in der NUS gilt in Großbritannien als eine Art Berufspraktikum für zukünftige Politiker und Minister. Als solche ist es nicht deren Aufgabe, kämpferische Proteste zu organisieren. In den vergangenen Jahren war die Lage auch recht gemütlich, schließlich galten Studierende als komplett unpolitisch.
Diese Lage hat sich nun grundsätzlich geändert. Studierende erwarten sich eine kämpferische Strategie von ihren Vertretern, Missmut über die Abwesenheit einer solchen wird lautstark kund getan. So kam es, dass am 29.Januar eine gemeinsame Demonstration von Studierenden und Gewerkschaftern in Manchester mit 15.000 Beteiligten stattfand. Auf dieser Demonstration wurde Porter ausgebuht, musste seine Rede abbrechen und später Polizeischutz beanspruchen. Wenige Wochen später erklärte er, nicht mehr zu Neuwahlen anzutreten.
Gewerkschaften sind nicht direkt mit Studierendenorganisationen vergleichbar. Dennoch gibt es zwischen Porter und den Führern des britischen Gewerkschaftsbundes Parallelen. Nur nach großem Druck konnten sich diese überhaupt zur Durchführung einer Demonstration in London durchringen. Wäre es nach dem Willen von vielen betrieblichen Aktivisten gegangen, hätte eine solche Demonstration schon längst stattgefunden. Doch der Gewerkschaftsdachverband TUC sah sich dazu nicht in der Lage, die Mobilisierung vieler Menschen brauche Zeit, hieß es in Verlautbarungen.
Im Januar gab es ein Treffen von Generalsekretären verschiedener britischer Gewerkschaften in London. Danach erklärte TUC-Generalsekretär Brendan Barber, "niemand habe davon gesprochen, einen Generalstreik zu organisieren". In Wirklichkeit ist dies aber der Knackpunkt der Debatte. Gewerkschaften, die von ihrem linken Flügel kontrolliert werden, wie etwa die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS und die Transportarbeitergewerkschaft RMT, forcieren die Idee koordinierter Streiks.
Diese Ideen stoßen auch bei Mitgliedern von Gewerkschaften wie UNISON, der Gewerkschaft für kommunale Beschäftigte und das Gesundheitswesen, auf ein immer größeres Echo. Nicht aber bei ihrer Führung, die hauptsächlich auf die Demonstration am 26. März verweist. Über das danach werden bislang keine Worte verloren.
Unter der Oberfläche wächst jedenfalls das Misstrauen über die Gewerkschaftsführer. So sah sich der Gewerkschaftsbund kürzlich zu Veröffentlichung eines Dementis gezwungen. Hier geht es um Gerüchte, der TUC wolle auf verschiedene Weise missliebige Meinungen von der Demonstration fernhalten.
Ähnlich wie der 15. Februar 2003 dürfte der 26. März 2011 ein Wendepunkt britischer Politik werden. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wird klar werden, dass nicht nur Studierende den Sozialabbau ablehnen, sondern die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Viele Menschen werden zum ersten Mal an einer Demonstration teilnehmen und ein Gefühl kollektiver Stärke erfahren. Dies wird den lokalen Kampagnen weiteren Antrieb geben.
Auch für die Gewerkschaften bedeutet der Tag eine Zäsur. Konnten sie bis dahin auf die Demonstration vertrösten, wird dies ab dem 27. März nicht mehr gehen. Wollen gerade die konservativeren Führer wie Dave Prentis von UNISON nicht so enden wie Aaron Porter, werden sie sich bewegen und ihren Mitgliedern eine Kampfstrategie anbieten müssen.