Provokation als Corporate Identity

Die Bewegung Palikot

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Sind sie nur eine bunte Truppe um den charismatischen Unternehmer und Provokateur Janusz Palikot oder hat die Partei das Potential, die polnische Politik nachhaltig zu verändern und die polnische Gesellschaft zu modernisieren?

Premier Donald Tusk ahnte damals im Herbst 2011 den möglichen Stimmenerfolg der Partei "Bewegung Palikot" (RP) voraus. Immer wieder warnte er, dass allein seine Regierungspartei, die liberal-konservative Bürgerplattform (PO) in der allgemeinen Wirtschaftskrise zu einer verantwortungsvollen Politik befähigt sei. "Janusz Palikot kenne ich sehr gut und eins kann ich euch sagen - stabil ist er nicht", meinte er auf der Wahlkampftour über den politischen Gegner, der 1964 geborene war bis zum Herbst 2010 noch Parlamentarier der PO war.

"Eigentlich würde ich ihn gern wählen, wären da nicht soviele Schwulis mit dabei", so eine Supermarktverkäuferin in der erzkonservativen Region Podkarpacie, befragt nach Janusz Palikot, kurz vor der Wahl.

Instabil, zuviele Homosexuelle, dazu Herumfuchteln mit einem Plastikpenis, antikirchliche Provokationen sowie eine widersprüchliche Autobiographie - alles Anzeichen für Spaßpolitik und einen verlorenen Posten in Polens Gesellschaft. Doch unerwartet wählten im Oktober 10,02 Prozent der Wahlwilligen Janusz Palikot und seine auf ihn abonnierte Partei. Die Bewegung Palikot wurde zur drittstärksten Kraft im Sejm, nach der PO (39,18 Prozent) und der nationalkonservativen Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) (29,89 Prozent).

Das Wahlprogramm mit dem Ziel "Modernisierung der polnischen Gesellschaft" erscheint widersprüchlich, Ideen verschiedener politischer Strömung wurden vermengt. Ein Zurückdrängen der Kirche aus der polnischen Gesellschaft wurde gefordert, eine gesellschaftliche Liberalisierung (Legalisierung weicher Drogen, Partnerschaftsvertrag für Homosexuelle), Kampf der übermächtigen Bürokratie, Kampf der politischen Klasse (Auflösung des Senats, Kadenzzeit wie bei den Grünen, dazu Wirtschafltiberales: Flat Tax, Sparpolitik durch Auflösung des Kirchenfonds und Reduzierung der Militärausgaben - sowie die Umnennung und Umwandlung des Wirtschaftsministerium in ein "Business-Ministerium". Dies kommt nicht von ungefähr - 25 der 41 Abgeordnete sind oder waren Unternehmer.

Zum Auftakt als "neue Linke" und Oppositionspartei im polnischen Parlament wählte Palikot gleich den Holzhammer - das Kreuz im Sejm solle abgehängt werden, so der erste Antrag seiner Partei.

Dieser Vorstoß zielte auf zwei Gruppen - zum einen auf die katholische Kirche, deren Vorsitzender Erzbischof Jozef Michalik erwartungsgemäß erregt reagierte und vor einer "Ideologie des Hasses" warnte.

Die zweite Gruppe waren die Nachkommen der PZPR, der "Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei", die Demokratische Linkspartei (SLD) unter dem ergrauten Leszek Miller (Jahrgang 1946). Die SLD hatte zwar 1997 gegen das Kruzifix protestiert, das konservative Abgeordnete der "Wahlaktion Solidarnosc" nächtens aufgehängt hatten. Aber - und dies galt auch bei anderen Themen, bei denen die Kirche empfindlich reagierte - nicht mit der entsprechenden Verve, die Palikot zu eigen ist, nicht mit dem Selbstbewusstsein, das der ehemalige Vodka-Fabrikant und auch ein Teil seiner Parteimitglieder ausstrahlen.

Den allzu pragmatischen Linken, die in ihrer Regierungszeit (2001 bis 2005) Freunde eines intransparenten Staates wie von großkapitalen Unternehmungen waren, setzt die neue Partei einen Politikstil entgegen, der sich auf den ersten Blick nicht nach den Umfragen richtet. Neben der Kirche als Antipode richtet sich die "Bewegung Palikot" im politischen Alltag gegen die liberal-konservative Regierungspartei "Bürgerplattform", der Palikot selbst fünf Jahre lang angehörte. Auch die Bürgerplattform (gemeint ist "Staatsbürger") startete damals im Jahre 2001 mit einem Versprechen nach mehr Transparenz.

Antipartei, die von ihrem solventen Vorsitzenden finanziert wird

Schließlich verkauft sich jede neue Parteigründung in Polen vorerst als "Antipartei", als Gegenmodell zu den Etablierten, als eine Gruppe aus der Bevölkerung, die sich endlich anschickt, das umzusetzen, was das Establishment versäumte. So auch die "Bewegung Palikot".

Als eine "gesellschaftliche Bewegung von unten" sieht sich die RP, als die erste dieser Art, die nach 1989, nach der Glanzzeit der freien Gewerkschaft und Oppositionsbewegung "Solidarnosc", eine Partei gründete. Dies ist wohl ein wenig geflunkert. Denn die Bewegung wird vor allem durch ihrem solventen Boss definiert.

Ein Blick auf seinen Werdegang: Die Kindheit im ostpolnischen Städtchen Biłgoraju war ärmlich. Dem Pumpsklo im Garten und dem trinkenden Vater im Haus entflüchtete Janusz Palikot noch als Minderjähriger. Er machte das Abitur in Warschau und erlebte dort Kriegsrecht und die Miliz in der Untersuchungshaft, die ihn zur Kooperation mit Schlägen zwingen wollten. Sein Philosophiestudium an der privaten katholischen Universität Lublin und an der Warschauer Universität schloss er mit einer Arbeit über Kant ab.

Zur Wende forderte er, dass die vier Rs: religia, rodzina, rynek, rosądek. (Religion, Familie, Markt, Vernunft) das politische und gesellschaftliche Leben Polens bestimmen sollen. Palikot entschied sich vor allem für den Markt. Er verkaufte Holzpaletten, stieg in den lukrativen Handel mit Schampus und Vodka ein. Es war die Zeit des frühkapitalistischen Polens, das unter den eisernen Reformen von Finanzminister Leszek Balcerowicz ächzte. Wer damals in der Alkoholbranche Millionen verdiente, war kein Schöngeist, sondern musste Ellenbogenmensch sein.

Der wirtschaftliche Erfolg begann ihn zu langweilen, die Bürgerplattform nahm den redegewandten Millionär 2005 mit Handkuss in ihren Reihen auf. Dabei übernahm er keinen wirklich wichtigen Posten oder einen Ministeramt wahr, eine Zeitlang leitete er einen Ausschuss zum Bürokratie-Abbau.

Palikots eigentliche Aufgabe lag jedoch darin, den Gegner zu provozieren. Nachdem der Parteichef der "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), Jaroslaw Kaczynksi, in den Neuwahlen 2007 von Tusk als Premier beerbt wurde, konzentrierte er sich auf den Zwillingsbruder Lech Kaczynski, den Staatspräsidenten, dem er unter anderem Alkoholabhängigkeit vorwarf.

Doch vielen Parteikollegen gingen die Volten zu weit, besonders nach dem Unglück von Smolensk. Am 10. April 2010 stürzte Lech Kaczynski mit weiteren 95 Personen auf der Reise zur Gedenkstäte Katyn tödlich ab. Palikot gab dem Verstorbenen, der einen Piloten unter Druck gesetzt hatte, eine Mitschuld an der Katastrophe.

Diese Offenheit fand schnell viele Anhänger, die sich mittels Social Media schnell vermehrten, über das Land verteilt entstanden Palikot-Fanclubs. So "gründete" sich die enthusiastische Basis seiner künftigen Partei samt engagierter Wahlhelfer innerhalb kurzer Zeit von selbst.

Denn ein Teil der Bevölkerung wurde bald vom Kult um die Toten und den Verschwörungstheorien abgestoßen. Für besonderer Erregung sorgten das illegale Holzkreuz vor dem Präsidentenpalast und seine nationalkonservativen Verteidiger, dazu die Ängstlichkeit der Regierungspartei gegenüber dem nationalkatholischen Milieu.

Angetrieben wurde der Protest auch durch die in Medien verbreitete "Alternativlosigkeit" zur "Bürgerplattform", die als erste Partei nach der Wende zum zweiten Mal eine Parlamentswahl gewinnen würde. Jaroslaw Kaczynskis PiS hatte in der Regierungszeit 2005 bis 2007 mit einem autoritären Stil das Gros der Polen verschreckt, die SLD erschien ideenlos.

"Ein Philosoph, der mit Politik experimentiert"

Kurz nach seinem Austritt im Herbst 2010 aus der PO gründete Palikot darum seine Parteien-Alternative, die zuerst "Bewegung zur Unterstützung Palikots" hieß. Dem Neoliberalismus, der ihn in den 90er Jahren faszinierte und reich machte, schwor er nun endgültig ab.

Neben den Selbstständigen, die das Geld mitbrachten und den jungen urbanen Unzufriedenen, die sich durch Arbeitslosigkeit und Zeitverträge an den Rand gedrängt fühlen, konnten sich wirkliche "Randgruppen" der polnischen Gesellschaft wie Schwulen- und Lesben-Aktivisten sowie eine Transsexuelle, Antiklerale und Cannabisfans in der neuen "Bewegung" kompromisslos zu ihrem Anderssein bekennen.

Palikot erschien als eine Art Sprachrohr derer, die an den gesellschaftlichen Aufbruch der PO geglaubt haben und nun Reformunfähigkeit feststellten: in seinem Bestseller und furiosen Abrechnungswerk "Kulissen der Plattform" beschreibt er eine "Obsession" der PO-Politiker, die Öffentlichkeit von den eigentlichen Problemen des Landes abzulenken und den Medien Ersatzthemen anzubieten.

"Ich muss ein Schweinekerl sein - würde ich nur kluge Dinge reden, käme ich allein auf vier Prozent und wir wären verdammt, bei Tusk und Kaczynski zu verharren" erklärte Palikot in einem Interview Ende des Jahres. "Klugen Dinge" widme er sich auch in der Freizeit, in der er derzeit die Vorsokratiker ins Deutsche und Polnische übersetzt.

Für keinen Politiker im strengen Sinnen, sondern für "einen Philosophen, der mit Politik experimentiert", sieht ihn Filip Memches, von der konservativen Zeitung Rzeczpospolita. Während Palikot den Konservativen vorwirft, "das Kreuz" politisch zu instrumentalisieren, glaubt Memches, der Parteiführer würde gesellschaftliche Ideen wie den "Feminismus" lediglich für kurzfristige Ziele instrumentalisieren.

So war es ein geplanter Clou von Palikot, die transsexuelle Abgeordnete Anna Grodzka, die schon für manche Schlagzeile sorgte, für den Posten der stellvertretenden Parlamentspräsidentin vorzuschlagen. Die Inhaberin des Postens, die RP-Abgeordnete und renommierte Frauenrechtlerin Wanda Nowicka, sollte wegen einer Unregelmäßigkeit zurück treten. Diese weigerte sich jedoch. Palikot fragte darauf an, ob sie vielleicht vergewaltigt werden wolle und schmiss sie aus der Partei, ganz im Stil des knallharten Managers der Schaumwein-Manufaktur, der er mal war. Dies wird ihn bei den Frauen Stimmen kosten, in den Umfragen wird die Partei derzeit unter zehn Prozent notiert.

Unsicher ist es auch, wie es mit dem Projekt Europa Plus weiter geht, einem geplanten Parteienbündnis für die kommende Europawahl, das unter dem Patronat des ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwasniewski steht. Der Ex-SLD-Politker und umgängliche Pragmatiker verfügt immer noch über viel Popularität.

Wir haben eine "extrem-fundamentalisch-europäischen Ausrichtung", so Palikot gewohnt provokativ. Der Euro müsse bald eingeführt und das Europabewusstsein vergrößert werden, Eruropa dient auch als Gegenwehr zu einem aufkommenden Nationalismus in Polen, so das Programm. Später könnte aus dem Projekt eine progressive Wahlalternative zu Kaczynski und Tusk entstehen.

Der "Bewegung" gehören die RP und kleinere linke Splitter-Parteien an, jedoch nicht die SLD ; dabei wäre sie und ihr Elektorat für einen Wahlsieg notwendig. Zwar hatten beide Parteien noch Ende 2012 ein lockeres Bündnis bis zur nächsten Parlamentswahl 2015 beschlossen, doch der knorrige Ex-Premier Leszek Miller kam mit Janusz Palikot nicht zurecht. Auch Aleksander Kwasniewski ist sich noch nicht schlüssig, ob er mittels "Europa Plus" für das EU-Parlament kandidieren soll. Die Spitzenpolitiker werden wahrscheinlich von der Egozentrik Palikots abgeschreckt, dessen Provokationen die Corporate Identity seiner Partei ausmachen.

Auch den Auftakt zu den Kommunalwahlen 2014 begann Palikot mit Radau: Seine Demonstration vor dem Lubliner Rathaus war nicht angemeldet, was zu Gerangel mit der Gemeindepolizei und einem entsprechenden Medienecho führte.

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