Prozess gegen IS-Heimkehrerin: Wichtiges Signal über Deutschland hinaus

Strafverfahren gegen Jennifer W., die sich im Irak als IS-Sittenwächterin betätigt und den Tod eines jesidischen Mädchens mit verschuldet haben soll

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Die 27-Jährige muss sich wegen des Vorwurfs der IS-Mitgliedschaft und des Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz und Mordes vor dem Oberlandesgericht (OLG) München verantworten. Es ist nicht so einfach zu rekonstruieren, was genau sie in ihrer Zeit im IS-Kalifat gemacht hat.

Aus Sicht der Generalbundesanwaltschaft soll sie dem Spiegel zufolge "als eine Art Sittenwächterin erst in der irakischen Stadt Mossul, dann in Falludscha mindestens drei Monate lang bewaffnet durch Parks patrouilliert sein, um Frauen zu ermahnen, die Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften der Terrororganisation einzuhalten. Mit einer Sprengstoffweste soll sie die Frauen eingeschüchtert haben."

Außerdem soll sie an dem Mord an einem jesidischen Mädchen beteiligt gewesen sein. Dessen Mutter wurde unterdessen ausfindig gemacht. Sie gab an, ebenfalls von Jennifer W. und ihrem Ehemann versklavt gewesen zu sein. Juristisch vertreten wird die Mutter u.a. von der Londoner Kanzlei der renommierten libanesischen Menschenrechtsanwältin Amal Clooney. Um die Vorwürfe der Frau zu prüfen und die Anklage gegebenenfalls um weitere Punkte zu erweitern, wurde der Prozess für drei Wochen ausgesetzt. Die Verteidigung der Angeklagten zeigte sich not amused.

Ihre Redseligkeit wurde Jennifer W. zum Verhängnis: Im Juni 2018 wollte die junge Mutter ins IS-Kalifat ausreisen - zum zweiten Mal. Bereits 2014 hatte sie den beschwerlichen Weg, vermutlich über die Türkei, auf sich genommen, um ins aus ihrer Sicht gelobte Land namens "Kalifat" zu kommen. 2016 kehrte sie schwanger nach Deutschland zurück, um sich zwei Jahre später erneut aufzumachen.

Dem Fahrer gegenüber, der sie angeblich heim ins Reich der Gotteskrieger bringen wollte, zeigte sie sich ziemlich auskunftsfreudig. Sie erzählte, sie habe mit ihrem Mann in einem Haus in Falludscha gelebt, eine 5-jährige verschleppte Jesidin gekauft und als Sklavin gehalten. Laut dem Hamburger Nachrichtenmagazin kettete ihr Mann das Mädchen, als es krank wurde und sich einnässte, laut Anklage auf dem Hof an. Dort habe es in der Sonne bei Temperaturen von etwa 45 Grad ausharren müssen.

Das Kind überlebte die Quälerei nicht. "Obwohl die Angeklagte erkannte, dass das Mädchen mangels Flüssigkeit versterben würde, blieb sie untätig und versorgte es weder mit Wasser noch löste sie die Handschellen", sagt Oberstaatsanwältin Gorf. "Das Mädchen verdurstete in der Folge."

SpOn

Pech für Jennifer W., dass der vermeintliche Fahrer kein Glaubensbruder, sondern ein verdeckter Ermittler war. In Neu-Ulm endete die Reise mit ihrer Verhaftung. Das hat ihr offenbar die Sprache verschlagen, denn den Medien zufolge schweigt sie seither. Auch vor Gericht zeigte sie sich eher wortkarg. Auch über ihre politischen Ansichten und ihrem Verhältnis zum IS schweigt sie sich aus. Medienberichten zufolge soll sie jedoch immer noch IS-Anhängerin sein.

Für die jesidische Journalistin Düzen Tekkal ist der Prozess wichtig, "weil zum ersten Mal vor einem deutschen Gericht die von dem IS an den Jesiden begangenen Verbrechen verhandelt werden. Das ist eine wichtige Grundlage, vor allem für die internationale Strafverfolgung. Der Bundesanwaltschaft gilt hier unser größter Dank, die Beamten, davon konnten wir uns selber auch in den letzten Monaten stets überzeugen, sind hier wirklich drangeblieben", wie sie auf ihrer Facebookseite schrieb.

Vertreten wird Jennifer W. von der Anwältin Seda Başay-Yıldız, die aus zwei Gründen überregionale Bekanntheit erlangte: Zum einen als Opfer-Anwältin im NSU-Prozess und zum zweiten aufgrund von Morddrohungen gegen sie und ihre Tochter. Zum anderen tauchte ihr Name im salafistischen Netzwerk, konkret in der vom ehemaligen Aktivisten der Antiimperialistischen Zellen (AIZ) und wegen diverser Sprengstoffanschläge und eines Mordversuchs verurteilten Terroristen und Konvertiten, Bernhard Falk, gegründeten Vereinigung Al-Asraa auf.

Dort sind sowohl Seda Başay-Yıldız als auch ihr Kollege Ali Aydın auf der Webseite als anwaltlicher Beistand "einiger Geschwister" gelistet. (Update: Laut Autorin ist Başay-Yıldız seit dem gestrigen Mittwoch nicht mehr auf der Liste zu finden - Wir wurden darauf hingewiesen, dass beide Anwälte als Pflichtverteidiger bestellt wurden.)

Die Organisation hat es sich eigenen Angaben zufolge "zur Aufgabe gemacht, muslimischen Gefangenen und ihren Familien beizustehen, sie zu betreuen und die muslimische Gemeinschaft auf ihre Notlage aufmerksam zu machen". Al-Asraa wähnt sich im "Kampf zwischen Imaan und Kufr" (Gläubigen und Ungläubigen) und bittet darum, die inhaftierten Geschwister in diesem Kampf nicht allein zu lassen.

Seda Başay-Yıldız und ihr Kollege Ali Aydın sind ein eingespieltes Team: Gemeinsam verteidigten sie den Salafisten Bilal Gümüş, der junge Männer für den Dschihad rekrutiert haben soll. Einer der von ihm Angeworbenen soll in Syrien ums Leben gekommen sein.

Dass das salafistische Netzwerk um Bernhard Falk, der auch den Gümüş-Prozess beobachtete, sich "geschwisterlich" der Angeklagten annimmt, sagt mehr über deren Verhältnis zum bewaffneten Kampf im Namen Allahs aus, als sie es könnte. Einer unschuldigen Hausfrau, die im Kalifat nur ihrem Mann den Haushalt führte und ansonsten nicht mitbekam, was um sie herum geschah - als die Jennifer W. gern gelten würde -, hätte Al-Asraa vermutlich nicht das gemischte Doppel Seda Başay-Yıldız und Ali Aydın zur Seite gestellt.

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