Psychogramm der Corona-Gesellschaft

Seite 3: Übergriffige Haltung gegenüber Kritikern der Impfung

Allen Impfzögerern oder auch Menschen, die sich dagegen entschieden haben, pauschal unehrenhafte Motive und grundlose "Verweigerung" zu unterstellen, betrachte ich als übergriffig.

Psychotherapeutisch gesehen sind hier "Projektionen" am Werke: "Die erlauben sich, was ich mir nicht zugestehe. Ich folge Empfehlungen und Anweisungen, die von Wissenschaft und Politik gegeben werden, schränke mich ein, bin 'vernünftig' und die schlagen alles in den Wind."

Das ist eine klassische "Sündenbock-Projektion". Dass solche Projektionen nicht toleranz- und gesprächsfördernd sind, ist klar. Sie bewirken im Gegenteil Gegenprojektionen.

Bei Maßnahmen-Befolgern beobachte ich auch Widersprüchlichkeiten. Wenn man davon ausgeht, dass AHA-Regeln und zweifache Impfung vollständig schützen und auch die Ansteckung anderer verhindern, täuscht man sich. Das ist bekannt und braucht nicht weiter erläutert werden.

Um vollständig geschützt zu sein, müsste man sich zu Hause einschließen und dürfte gar nicht mehr unter Menschen gehen.

Ich erlebe aber, dass Geimpfte, die sich ausreichend geschützt glauben, Restaurants, Konzerte, Weihnachtsmärkte usw. besuchen, da ohne Masken und Abstände beieinander stehen und sich unterhalten.

Das ist verständlich, denn irgendwann hat auch der Überzeugte all die Restriktionen satt und möchte seinen Bedürfnissen nachgehen. Ich gestehe, dass auch ich nicht immer und überall sämtliche Regeln befolgt habe, obwohl ich sie grundsätzlich für sinnvoll halte.

Also ganz so folgsam und vernünftig sind die Befolger doch nicht immer. Auch sie tragen durch ihre Inkonsequenz zum Infektionsgeschehen bei. Da ist ein Stück weit Realitätsblindheit am Werke. Selbstbeobachtung und -erkenntnis wären hier nützlich und würden zu mehr Vorsicht oder bewusster Risikoannahme verhelfen.

Jedenfalls sei allzu Überzeugten geraten zu überprüfen, ob sie von Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit bestimmt werden. Eine Haltung dieser Art - genauso wie ihre eventuelle Wut über "Uneinsichtige" - überzeugt niemanden und führt zu Verhärtungen auf der anderen Seite.

Auch das derzeitige "Regierungsbashing" ansonsten eher regierungstreuer Bürger und Medien gehört in diesen Bereich. Man schiebt den Regierenden alle Schuld an den Miseren zu, momentan vor allem das außer Kontrolle geratene Corona-Geschehen.

Dabei wird aber die Beteiligung der Bürger ausgeblendet. Politik hat viel versäumt, widersprüchlich und nicht entschlossen gehandelt, auch nicht immer überzeugend kommuniziert. Das hat Opfer gekostet. Dafür kann der Bürger von den beteiligten Politikern Rechenschaft verlangen.

Wir sollten aber nicht vergessen: Politiker sind keine anderen Menschen als wir: Sie sind nicht perfekt und mit denselben Schwächen behaftet wie wir. Politik spiegelt das wider, was in der Bevölkerung vor sich geht: Handeln wider bessere Erkenntnis, die eigenen oder gruppenbezogenen Vorteile suchen, Inkonsequenz, Unentschlossenheit, Uneinigkeit …

Eine heterogene Minderheit – in Widersprüchen verstrickt

Die bisherigen Feststellungen sind nicht einseitig gemeint, zulasten der sich regierungskonform verstehenden Bürger.

Ich nehme jetzt die "andere Seite" in den Blick, diejenigen, die von Medien und Andersorientierten unter der Bezeichnung "Querdenken" subsumiert werden. Diese ziemlich konstant bleibende Gruppe von zehn bis 14 Prozent der Bevölkerung ist ja sehr unterschiedlich zusammengesetzt und deshalb sind pauschale Beurteilungen nicht angebracht.

Zunächst einmal ist da die "offizielle" Organisation "Querdenken 711" mit ihren Ortsgruppen, die von Michael Ballweg in Stuttgart gegründet wurde. Es sind hauptsächlich diese Gruppen, die Demos organisieren. Dann gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Zusammenschlüssen, etwa Ärzte, Wissenschaftler, Rechtsanwälte, bis hin zu Kleinstparteien, die sich der Bewegung anschließen.

Bei den Demos lassen sich neben den Hauptakteuren und ihren ideologischen Unterstützern Teilnehmer unterschiedlichster politischer, geistiger und soziologischer Verortung mit dementsprechend unterschiedlichen Parolen und Symbolen ausmachen: "Normalos" mit Familie, Anhänger esoterischer Kreise wie Steinerianer, Befürworter homöopathischer Heilmethoden, evangelikale Christen, ehemalige Hippies, Maßnahmen-Geschädigte, Künstler, linksorientierte ehemalige 68er, Liberale, Konservative, AfD-Anhänger …

Bei der Bewegung handelt es sich "im Kern nicht um 'soziale Außenseiter', sondern um eine Mittelschichtbewegung mit 'bildungsbürgerlichen' Einschlag" (Telepolis: "'Querdenken' als Ausdruck der Polarisierung?").

Am Rande marschieren auch "Reichsbürger" und extreme Rechte mit. Letztere sorgen für Unruhe und scheuen vor Angriffen auf Journalisten und Polizisten nicht zurück (was die Demos sehr in Verruf gebracht hat). Es beteiligen sich auch "Wutbürger", die einfach ihren Frust über "die da oben" ausdrücken wollen.

"Offiziell" versteht sich die Bewegung als basisdemokratisch, friedlich, nicht extremistisch, dialogbereit und beruft sich auf das Grundgesetz, vorwiegend die ersten 20 Grundrechte. Man wendet sich gegen deren Einschränkung durch Corona-Verordnungen und fordert kompromisslos ihre Aufhebung. (So in einem "Manifest").

Die Berufung auf das Grundgesetz wäre eine Brücke zur übrigen sich demokratisch verstehenden Bevölkerung und den Regierungseinrichtungen.

Leider wird diese Berufung durch Kontakte von Führungspersonen zu grundgesetzfeindlichen Vertretern der "Reichsbürger" und die Duldung rechtsextremer Gruppierungen bei den Demonstrationen unglaubwürdig gemacht. Nach wie vor gilt, "dass es sich um eine Bewegung handelt, die eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht." (a.a.O.)

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