Pushen - Leben und Sterben in den Netzen
Falle der Aufmerksamkeit oder: die neue "Revolution" in den Computernetzen
Pointcast, ein Push-Nachrichtendienst preist die Neuheit so an: "Schlagzeilen bewegen sich dynamisch über den Bildschirm, die Farben platzen auf, und Sie müssen lediglich Ihre Augen offen halten. Ohne Anstrengung. Surfen ist nicht mehr notwendig."
Push-Medien, die sich dem Benutzer aufdrängen, sollen nun die Computernetze und die Benutzergewohnheiten radikal verändern. Die Browser und Suchmaschinen werden für tot erklärt, denn jetzt kommt der Inhalt selbst zum Benutzer - und die Festplatten werden entprivatisiert. Java-Applets oder Programme wie ActiveX haben die Bahn dafür bereitet. Wird es also bald mit der Gemütlichkeit, der Privatheit und dem Datenschutz Schluß sein? Gehören die Surfer und Netzflaneure der Vergangenheit an?
to push: stoßen, schieben, (be-, auf-)drängen, durchdrücken, Werbung machen ...
Man lädt sich ein Programm auf seinen vernetzten Rechner, stellt sich irgendeine Auswahl aus einem Angebot zusammen und wird dann, wenn es etwas Neues oder vielleicht nur eine Werbung gibt, in seiner Tätigkeit unterbrochen: auf dem Bildschirm öffnet sich, ohne daß man weiteres macht oder wenn man gerade für eine gewisse Zeit nicht am PC gearbeitet hat, ein Fenster. Plötzlich blinkt es oder fordert auf andere Weise die Aufmerksamkeit ein, als wäre ein Unfall geschehen, auch wenn es sich nur um eine Nachricht, den aktuellen Wetterbericht oder Aktienkurs, ein neues Produkt oder das nächste Pornobild handelt. Nicht notwendig muß das ein Computerbildschirm sein, es könnte sich auch um Displays der digitalen Autoradios oder Bordcomputer, von Handies oder Organizern handeln. Auf solchen Wegen kann endlich die Fernsehwerbung auch zu den Arbeitsplätzen der Informationsgesellschaft gelangen, andererseits könnten über die Abschaffung der Browser die surfenden Arbeitnehmer endlich daran gehindert werden, irgendwo herumzuschnuppern, da sie dann nur noch das für sie Vorgesehene sehen. Selbst politisch wäre dies interessant, weil sich so möglicherweise das Störende aus den Netzen besser verbannen ließe.
Pointcast, ein Push-Nachrichtendienst, dessen kostenlose Software bereits weit über eine Million Mal vom Netz heruntergeladen wurde, preist die Neuheit so an: "Schlagzeilen bewegen sich dynamisch über den Bildschirm, die Farben platzen auf, und Sie müssen lediglich Ihre Augen offen halten. Ohne Anstrengung. Surfen ist nicht mehr notwendig."
Das nennt man ein Push-Medium. Und Push-Medien, die sich dem Benutzer aufdrängen, sollen nun die Computernetze und die Benutzergewohnheiten radikal verändern. Die Browser und Suchmaschinen werden für tot erklärt, denn jetzt kommt der Inhalt selbst zum Benutzer - und die Festplatten werden entprivatisiert, d.h. es gibt möglicherweise bald für viele unkontrollierbare Möglichkeiten, wie man besser als durch Viren oder umständliches Hacken von außen direkt auf den Computer Zugriff erlangen kann. Java-Applets oder Programme wie ActiveX haben die Bahn dafür bereitet. Wird es also bald mit der Gemütlichkeit, der Privatheit und dem Datenschutz Schluß sein? Gehören die Surfer und Netzflaneure der Vergangenheit an?
Jedenfalls wird bereits heftig ideologisch aufgerüstet. Pl@net, eine bis vor kurzem wagemutige, weil manchmal kritische, jedenfalls dem Inhalt gewidmete deutsche Internetzeitschrift, hat bereits eine Trendwende verkündet, sein neuer Chefredakteur findet das Netz zu chaotisch, schwört dem Surfen ab und zieht sich vom Inhalt, den Themen der Netzöffentlichkeit und der gelegentlich auch politisch oder kulturell interessierten Netizen, in die Technik und den Kommerz zurück. Das Netzszene-Magazin Wired hingegen verkündet in seinem neuesten Heft natürlich eine nächste Revolution, eine "radikale Medienzukunft", die geradezu in einer Kehrtwendung der bislang auf die Befreiung des Einzelnen und dessen Zugang zu Allem ausgerichteten Netzwelt besteht. Was man einst feierte, wird jetzt zum Anachronismus. Der Benutzer, der Repräsentant der von Wired gepachteten "digitalen Revolution", wird mit der Transformation des Netzes zu einem Push-Medium aus der Position des Souveräns vertrieben und endgültig zum Konsumenten, der nicht einmal mehr sucht, sondern nur noch wartet, daß es kommt. Das einst verspottete WorldWideWait nimmt mithin eine andere Bedeutung an: Man wartet nicht mehr, bis sich eine Seite aufbaut, die man selbst ausgewählt hat, sondern darauf, daß endlich wieder etwas auf dem Bildschirm mit der Garantie des Neuen und Aufmerksamkeitserheischenden erscheint. Jeder soll wieder zum gewohnten Empfänger werden, wobei sich alle eingeübten Methoden der Aufmerksamkeitsbindung bruchlos fortsetzen lassen: die Macht der alten Sender und der traditionellen Werbung scheint wieder, allen Unkenrufen zum Trotz, aufzuleben. Auf einmal wird der passive, ermüdete und gelangweilte Zuschauer, der nur etwas geboten erhalten will, zur neuen revolutionären Figur, zur Avantgarde des Netzes verklärt.
Die Kehrtwendung hat natürlich seinen Grund. Es geht um Milliarden auf dem neuen Markt der Netze. Probleme hatten bislang vor allem all jene, die im Internet mit Inhalt zu Geld kommen wollten und die offensichtlich darunter leiden, daß es eine ziemlich chaotische und labyrinthische Struktur ist, in dem alles schön demokratisch und gleich nebeneinander steht - und auf den Benutzer warten muß. Das setzen mit allen Einschränkungen auch noch die Suchmaschinen fort, die bislang am ehesten über Werbung Einnahmen erzielt haben. Wie immer gibt es natürlich auch Vorläufer. Mailing-Lists beispielsweise waren solche noch relativ unaufdringliche, manchmal aber auch schon nervende Push-Mitteilungen. Kritik an der ungestalteten, unzuverlässigen und unübersichtlichen Informationsflut gibt es ja schon länger, wenn aber jetzt das amerikanische Zentralorgan der digitalen Revolution meint verkünden zu müssen, daß nun endlich Ordnung im Internet einkehren und das einst vielgeschmähte Fernsehen zum neuen Vorbild werden soll, dann mag das zwar auch von einer wirtschaftlichen Krise bei Wired zeugen, inszeniert aber zugleich die Umgestaltung des Netzes zu einem Massenmedium, bei dem die kommunikativen und interaktiven Möglichkeiten an den Rand gedrängt werden. Erschreckend allerdings ist, wie der neue technische Trend mit einem Rückruf zur Ordnung und Übersichtlichkeit, zu zentralen Sendern und vielen Empfängern, also zu einem kontrollierten und hierarchischen System einhergeht.
Natürlich steht es jedem auch in der sich möglicherweise anbahnenden schönen, neuen Welt der Push-Medien frei, sich nicht den aufdringlichen Angeboten auszusetzen und sie wieder von seinem Rechner zu verbannen, obgleich die Entwicklung mit abgespeckten Netzcomputern insgesamt dahin zu laufen scheint, den Benutzer immer mehr einzubinden und seiner Freiheit zu berauben, auch wenn er die sich - wie sonst ja auch - mit manchen Anstrengungen erkaufen muß. Es wird schon richtig sein, daß Computernetze mitsamt ihren Inhalten erst dann für die Massen - und deren kommerzielle Nutzung - interessant werden, wenn die Menschen sich nur noch ein Gerät kaufen und es wie einen Fernseher anschalten müssen. Gleichwohl kann sich der Konsument bei den herkömmlichen Massenmedien immerhin noch der Aufrindglichkeit erwehren, weil sie einen festen Programmablauf besitzen oder er sich - ganz noch dem Pull ergeben - das gewünschte wie beim Video-on-demand dann holt, wann wer will. Push-Medien mögen für die Erfüllung bestimmter Aufgaben ganz nützlich sein, ansonsten aber werden sie vermutlich eine kurze Halbwertszeit besitzen, weil sie nur nerven - zumindest dann, wenn der Benutzer nicht steuern kann, wann ihm Neues zu gespielt werden soll. Vorausgesetzt ist natürlich selbstverständlich, daß der Computer des Benutzers möglichst ununterbrechungslos am Netz hängt. Dagegen sprechen aber hierzulande schon die Telefongebühren.
Auch das große Versprechen für die Anbieter und Werbenden, nun besser einen Zugang zu ihren Kunden zu gewinnen, den man durch jede seiner Entscheidungen besser kennen lernt, könnte sehr schnell umschlagen. Wenn es nur ein paar große Anbieter gibt, die sich auf die Bildschirme pushen, mögen sie noch einen Vorteil haben, aber wenn es hunderte, tausende und abertausende Anbieter gibt, die sich um den Zutritt zum Bildschirm, zur Festplatte und zur knappen Aufmerksamkeit drängeln, wird sich eben jener Zustand der Unübersichtlichkeit wieder herstellen, den man gerade vermeiden wollte.
PointCast, neben CNet und ESPNET SportService Vorreiter, wobei Microsoft natürlich bald mit seinem Active Desktop nachrücken will, preist seinen Service als die "spannendste Weise an, Nachrichten zu erhalten." Das Surfen, einst zur souveränen Bewegung des Users durch das Netz verklärt, wird als eine anstrengende, sinnlose und ineffektive Tätigkeit für die Ewig-Gestrigen beschrieben, als das Straucheln in einer unfertigen, ruinösen oder gefährlichen Welt, während die saubere, schöne, neue Welt der gepushten Medien mit all dem Schluß macht, in der Firmen und Sender die Kunden mit "seriösen" und gut gestylten Inhalten erreichen und sich, einmal eingeladen, in deren Festplatte eingraben. Das wird desto besser funktionieren, je mehr die Kunden ihre Wünsche der Auswahl konkretisieren, je mehr die auf die Bildschirme gestoßenen Angebote personalisiert sind, weil dies aus den anonymen Surfern taxierbare Kunden macht.
"Wir denken nur", verkündet Wired, "daß wir im Web surfen, aber was wirklich machen, ist ein Springen über wackelige Trittsteine von Texten oder, noch schlimmer, ein Umherirren in einer riesigen, nicht auf einer Karte verzeichneten Höhle aus Dokumenten. Erst wenn Medienwellen - riesige Wogen von Inhalten, die man nicht mehr durchbrowsen kann - hinter unseren Bildschirmen heranzurollen beginnen, werden wir wahrhaftig surfen." Dann sind wir endlich von einer Strömung erfaßt, die uns den Weg ins Paradies einer Montage der Attraktionen weist, in der wir nur noch reagieren, in der vermutlich die Filter jeder Art zur mächtigsten Waffe im Kampf um die Aufmerksamkeit werden.