Putsch in Niger: Westen verliert Stabilitätsanker in Afrika

Französische und nigerische Soldaten. Archivbild (2014): Thomas Goisque / CC BY-SA 3.0

Sahelzone: Russland gewinnt an Einfluss. Paris weigert sich, den Machtwechsel anzuerkennen. Und Europa drohen ernsthafte Konsequenzen.

Erst war der Putschversuch der Präsidentengarde in Niger nur eine kleine Nachricht unter "Kurz aus Afrika gemeldet".

Jetzt sieht die Lage etwas anders aus. Nachdem Staatsoberhaupt Mohamed Bazoum von seinem Posten entfernt wurde, die Militärs die Macht übernommen haben (Tagesschau, das Kommuniqué des Generalstabs: hier), und der Putsch nach jüngsten Nachrichten, etwa vom französischen France-24-Journalisten Wassim Nasr, bestätigt wird, ahnt man jetzt die geopolitische Dimension.

Europa verliert seinen verbliebenen Stabilitätsanker in der Sahelzone, Russland gewinnt weiter an Einfluss. "Die Junta in Mali und Burkina Faso, die die französische Armee aus ihren Ländern vertrieben haben, haben sich seitdem an Russland gewandt", so das französische Magazin L'Express. Das könnte sich auch in Niger wiederholen, so die Befürchtung.

Auch in der österreichischen Zeitung Standard wird die Sorge geäußert: Es sei "zu befürchten, dass auch der Niger den Weg Malis und Burkina Fasos gehen wird und so schnell wie möglich die Rücken der westlichen und vor allem französischen Soldaten und Zivilisten sehen will. Im schlimmsten Fall werden diese womöglich sogar durch die russische Wagner-Truppe ersetzt".

Nach Mali und Burkina-Faso ist der Militärputsch in Niger die nächste harte Nachricht aus einem strategisch wichtigem Land in der Sahelzone für Europa und den Westen. Niger sollte nach dem Putsch in Mali der neue strategische Knotenpunkt in der Region sein. Daraus wird nun nach dem Putsch nichts. Vielmehr bahnt sich eine Wiederholung an: der Rückzug aus Niger.

Europa, besonders Frankreich, aber auch Deutschland, hat viel Geld und militärischen Aufwand investiert, um Niger als strategisch wichtige Position in der Region auszubauen. Militärbündnisse sollten die Ordnung regeln. Politisch agierte man jedoch kurzsichtig, ohne Plan, ohne Gefühl für die Lage, man hielt lediglich seine Ansprüche hoch.

In einer vorsichtigen Diktion, bemüht, das Scheitern des westlichen Ansatzes nicht in klaren Worten einzugestehen, sieht die Lageeinschätzung so aus:

Die Politikwissenschaftlerin Anja Osei vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin betonte im Interview mit tagesschau24, dass es im Niger eine "hohe Nachfrage nach Demokratie" gebe und Demokratie als Staatsform "gewünscht und hoch angesehen" sei. Dennoch würden die Erwartungen der Bevölkerung "insbesondere in Bezug auf die sozioökonomische Entwicklung, vor allem aber im Moment in Bezug auf die Sicherheit" auch von formal demokratisch gewählten Regierungen nicht erfüllt.

Es gebe ein hohes Maß an Korruption und damit auch ein hohes Maß an Enttäuschung über die "Leistungsfähigkeit der politischen Systeme", so Osei.

Tagesschau

Dem entgegen steht eine andere, klare Bewertung, die ebenfalls in der Tagesschau, wo man sich Gedanken um die Zukunft der Bundeswehr in der Sahelzone macht:

Die hochfliegenden Pläne, nicht zuletzt der Bundesregierung, in einer Art Sahel-Strategie nicht nur die Islamisten in der Region zu bekämpfen, sondern auch Einfluss auf Länder zu bekommen, die wichtige Flüchtlingsrouten kontrollieren, sind erst einmal gescheitert.

Tagesschau

Wie der Westen in Afrika Einfluss verloren hat

Wie sehr man politisch verloren hat, kann man anschaulich an der Region sehen, wo die drei Länder Mali, Burkina-Faso und Niger zusammentreffen.

Schon seit längerer Zeit ist sie zu einem Gebiet geworden, in dem sich Dschihadisten um die Vormacht streiten – ein deutliches Zeichen für das Scheitern der westlichen Missionen, die nichts gegen solche Entwicklungen ausrichten konnten.

Wie sehr der Westen politischen Boden verloren hat, sieht man aber auch den russischen Fahnen, die bei den Staatsstreichen geschwenkt werden, die die vom Westen unterstützten Regierungen entfernen.

Frankreich ist in Mali gescheitert, musste nach dem Putsch seine Armee aus Mali abziehen und konzentrierte sich auf Niger, um vom Nachbarland aus die Vorgänge in Mali aus der Nähe zu beobachten. Nicht zuletzt, um den Zugriff auf Uran zu sichern, von traditionellen, mit viel militärischen Einsatz begleiteten strategischen Ambitionen in der Sahelzone mal abgesehen.

Nun muss man, selbst wenn Paris noch an der alten Regierung festhält und den Machtwechsel zur Stunde nicht anerkennt, aller Wahrscheinlichkeit nach die ungefähr 1.500 Soldaten demnächst auch aus Niger abziehen.

Die Richtung wird auch für die UN-Mission Minusma und die Bundeswehr gelten. Erst der Abzug aus Mali, dann der Rückzug aus dem Stabilitätsanker Niger.

"Die deutschen Soldatinnen und Soldaten in Niger wurden bereits am Mittwoch im gesicherten Bereich des deutschen Stützpunktes auf dem Flughafen zusammengezogen. Neben den rund 100 Soldaten, die den Stützpunkt betreiben, gehören dazu auch die derzeit drei Stabsoffiziere, die Teil der neuen EU-Partnerschaftsmission in Niger sind." Augen geradeaus!

Nicht zuletzt betrifft die veränderte Lage in Niger auch die EU-Flüchtlingspolitik, worauf der erwähnte Artikel des Standard aufmerksam macht. Schließlich habe man mit Präsident Bazoum zusammengearbeitet, "um den über Agadez und durch die Sahara führenden Migrantenstrom zu stoppen".

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