RAF - Romantische Armee Fiktion
Die Leeren aus der Geschichte
Am Besten löst die Gegenwart die Probleme von gestern. Wenn die Geschichte eines ihrer blutigen Kapitel zugeklappt hat, wissen alle ohnehin alles besser. "Wer die Lehren der Geschichte ignoriert, ist dazu verdammt, ihre Fehler zu wiederholen" tönte die RAF in einem Positionspapier von 1971 zum bewaffneten Kampf in Westeuropa. Mag schon sein, nur liegt hier das Problem und nicht die Lösung. Zum wenigsten jedenfalls gewährte die hinterlistige Geschichte der RAF einen exklusiven Zugang zu ihren Lehren. Heißt Lernen aus der Geschichte nicht eher: die schlechten Lösungen von damals den neuen Problemen so aufzuzwingen, bis sie zur Wiedererkennbarkeit verunstaltet sind?
Andreas Baader wäre etwa der Usama bin Ladin der bundesrepublikanischen Terror-Frühzeit, wenn man nur historisch so hinreichend abstrakt bleibt, wie die gegenwärtigen Verhältnisse konkret sind. Das macht zwar keinen Sinn, ist aber dialektisch und deshalb einen aufgewärmten 68er-Diskurs im klassischen Sinne des Aneinandervorbei-Schwadronierens wert. Oder eine Ausstellung über den "Mythos RAF" (Wiederauferstehung des RAF-Gespenstes), die zwar nur als Konzept vorliegt, aber sich deshalb gerade eignet, den Streit über die vermeintlichen Gefahren der Legendenbildung zur politischen Glaubensangelegenheit hochzufahren. Hauptsache, die Gesinnung stimmt.
Das galt nicht nur für die verblichene RAF, sondern auch für wehrfähige Demokraten, die sich noch einmal von links bis rechts so richtig profilieren können. Das tut gut in profilschwachen Zeiten, in denen politische Unterschiede längst nicht mehr auf der Straße liegen und wie weiland nur darauf warten, als Pflastersteine in das Gesicht des politischen Gegners gepfeffert zu werden.
Geschichtsschwangere Rhetorik vereint wenigstens, wo doch ohnehin der Verdacht besteht, dass demokratische Pflichtmenschen und autoritäre Revolutionshörige schon damals heimlich verbandelte Seelen waren, zudem sie ohnehin regelmäßig denselben besseren Familien entstammten, die ihre Erziehungsprobleme der Gesellschaft als Hypothek aufzutragen pflegen. Also lasset den Mythos "RAF" auf uns niederprasseln! Der eine goutiert, der andere verabscheut es. Demokraten streiten. So what?
Vom systemimmanenten Faschismus zur systemimmanenten Nostalgie
Weit gefehlt! Wir wehren den Anfängen bzw. genauer: den Fortsetzungen. Das ist eine deutsche Spezialdisziplin auf der nach oben offenen Satireskala. Könnten doch so fundamental(istisch) Verblendete, die nicht aus der Geschichte lernen, demnächst eine Terror-Miszelle bilden. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier: Dann steht der Baader vor der Tür.
Aber ganz so schnell geht es auch wieder nicht. Die Meinhof, die "verehrte Frau Meinhof", wie Gustav Heinemann sie nicht nur zum Entsetzen des Journalisten Hans Habe, sondern zum Graus aller damaligen aufrechten Terrorbekämpfer titulierte, befasste sich vor ihrer geschichtsträchtigen Karriere etwa mit dem "infamsten deutschen Politiker". Erst kommt die Kritik des "Schweinesystems" und dann: das Verbrechen. Das ist auch so eine billige Discount-Lehre der Geschichte zu den frustrierten Früchtchen der Groß- bis Kleinbourgeoisie, die dann auf vielen Polit-Märkten als Früchte eines kollektiven Lernprozesses gehandelt werden durften.
Wer ist eigentlich heute der infamste Politiker? Da gibt es doch eine weitere Leere aus der Geschichte: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" Aha, Schröders Wahlversprechen waren ein Fake! Und schon stiehlt sich so ein politischer Hitzkopf vom Berliner Untergrund zum Guerilla-Training nach Palästina weg, um später der Freiheit eine Gasse ins bundesrepublikanische Rentenloch oder sonst wohin zu schießen. Die Terror-Altprofis haben zwar momentan gerade andere, ganz andere Probleme. Aber wer aus der Geschichte lernen will, muss bereit sein, sie so zu ignorieren, wie die Geschichte hinterher ihn ignoriert. Alles andere wäre bloß vernünftig.
Nur aus dem kleinen rot-schwarzen Verbrecheralbum, das jener klammheimliche Göttinger Mescalero mit seinen Stadtindianern nach der Revolution herausgeben wollte, um der "meistgesuchten und meistgehassten Vertreter der alten Welt" habhaft zu werden, ist nichts geworden. Steckbriefe gab's zwar zu den Zeiten der RAF zuhauf: Aber sollten es die falschen Köpfe gewesen sein? Schwamm drüber!
Machen wir stattdessen eine Kunstausstellung mit allen Köpfen, weil das Lehrtheater der ausgeträumten Revolution sonst nicht komplett wäre. Vom systemimmanenten Faschismus zur systemimmanenten Nostalgie - eine weitere Perfidie des "Schweinesystems". Die RAF ist also wieder ein Problem in den Köpfen. Das liegt zwar ausnahmsweise diesmal nicht an der RAF, sondern an den Köpfen. Aber der Geschichte dürfte das so egal sein, wie auch die menschliche, allzumenschliche Ignoranz, ob man sie nun links oder rechts liegen lässt.
Macht es wie Horst Mahler, Ex-Burschenschaftler, erst Andreas-Baader- und dann NPD-Anwalt: Zunächst rechts, dann links, dann wieder rechts - der Übelkeit verursachende Schwenkkurs bleibt doch letztlich gleich, solange es nur jenseits des ausgelatschten demokratischen Mainstreams Trampelpfade für politische Extremsportler gibt. Ohne Leute wie Horst Mahler, die ohne schlagende Verbindungen nicht glücklich werden, könnte man historisch optimistisch werden, ja fast die ganze Menschheit mit Harmonieverdacht überziehen. So aber ist Horst Mahler eine weitere Lehre der Geschichte, so sehr sie einem auch auf den politischen Saumagen schlagen mag.
Viva Ulrike!
Wie viel politische Aufklärung verdient eigentlich die RAF? Eine Fachfrage der Bundeszentrale für politische Bildung, mithin von jedem zu beantworten. Ein Streit aus der Kategorie, zu der auch der obertumbe Disput über die posthumen Verführungswirkungen von Nazi-Kunst für die Gegenwärtigen gehört.
Ist das kritisch, aufklärend, wie es die Ausstellungsmacher sehen? Mystifizierend, glorifizierend, wie es die Angehörigen der Opfer befürchten, die deshalb auch wie Hergard Rohwedder, die Witwe des von der RAF ermordeten Treuhand-Chefs Detlef Karsten Rohwedder, nicht "mitmachen" wollen. Oder doch nur schlicht langweilig bis oberlehrertauglich?
Jetzt nur keine Kategorienfehler machen! "Es gibt nichts, was an der RAF positiv war", zitiert Siegmar Schelling von der Welt am Sonntag wohlgefällig den SPD-Abgeordneten Dieter Wiefelspütz. Als ob das ein Hinderungsgrund und nicht vielmehr ein gutes Motiv für einen Mythos wäre, der bekanntlich bereits einer war, bevor die Idee einer Ausstellung überhaupt aufkam und der über die nächste Saison nicht hinauskommt.
Die Revolutionsfetische, patinierten Militaria und Devotionalien werden doch längst im Netz und anderswo konserviert. Wie etwa Baaders Schreibmaschine, auf der er in Politproll-Rhetorik Bekennerschreiben der RAF "schuf" und die heute als Reliquiar im Haus der Geschichte auf ihre sonntägliche Andacht wartet. Und rafinfo.de, die Webressource zur Roten Armee Fraktion, präsentiert gar kistenweise Download-Plakate der Volksbefreier nebst schmucken Grabbildern der Stammheimer. Die nostalgische Logistik für tote Stadtguerilleros ist also längst zur virtuellen Dauerausstellung avanciert. Baader, will sagen "Prada-Meinhof", kam bereits ganz groß in Mode und ist sogar tanzbar: Tanz den Baader-Meinhof bis hin zum Baader-Meinhof-Blues.
Fidele Revolutionäre hatten immer eine Affinität zum anarchischen Wiegeschritt: Von den "Tanzbären des Kapitals" bis eben zu jenen versteinerten Verhältnissen, die man das Tanzen schon lehren wollte. Zumindest ist das längst alles Kult, wenn auch schon ein leicht muffig riechender, also spätromantischer - gleich neben Commandante Che, Angela Davis und dem Rest der coolen Gang gelegen.
Die wilden Jahre, die kinointensive Romanze der schönen Gudrun Ensslin und des virilen Baader: Bonnie und Clyde zu den urban-kriminellen Bedingungen des real existierenden Spätkapitalismus. Rudi Dutschke konnte sich nicht satt sehen an Louis Malles mexikanischem Revolutionsbauernspaß "Viva Maria" mit Brigitte Bardot und Jeanne Moreau im dekolletierten Sperrfeuer der Freiheit.
Revolutionserotik, hinter der sich jede Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Tristesse auf dem Kürfürstendamm verstecken kann. Berlin sollte dann als neomexikanische Räte-Republik seine Unabhängigkeit von der Bundesrepublik Deutschland ausrufen: "Brecht dem Schütz die Gräten, alle Macht den Räten!" Viel anders klang das jedenfalls damals nicht, als Rudi der schockbereiten Fernseh-Nation im Gaus-Interview oder detaillierter in einem von Hans-Magnus Enzensberger herausgegebenen Kursbuch-Gespräch über die Zukunft mit Bernd Rabehl und Christian Semler die Zukunft deutete:
Die Landwirtschaft können wir ganz abschaffen, auf die halbbäuerlichen Ansätze verzichten, sie beseitigen, um Land, viele Hektar in Lichterfelde, in Marienfelde etc. zu gewinnen für den Aufbau von Lebenszentren für die freie Zeit.
Machen wir, Rudi. Revolution durch Freude oder mit Ernst Bloch, Rudis Freund, (Spuren) zu sprechen: "Schau, sei net blöd, komm doch her, i mach dirs mexikanisch." Noch so ein Engel der Geschichte, der vorgibt, eine Hure zu sein - aber der politisch entflammten Libido ist zu jeder Zeit jeder Ort recht.
Wenn Terror zur Geschichte wird, wird Romantik zur Pflicht
Umtriebig war die Zeit, wenn es auch schließlich nicht mexikanisch rustikal, sondern eben teutonisch überwachungsstaatlich bis bierernst tödlich zuging: Im "heißen Herbst" mutierte die Bundesregierung unter apokalyptischen Wal-Gesängen zum überparteilichen Krisenstab, den die Bush-Regierung ohnehin für die höchste Vollendung politischer Allmacht hält. Noch so ein Crashkurs in der Geschichte einstürzender Altillusionen und imperialer Neubauten. Der Staat kurz vor dem Untergang. Es wurde auf höchster Exekutivebene über die Folter debattiert, die vor allem nach Auffassung von Sympathisanten ohnehin bereits in der Isolationshaft praktiziert wurde.
Heißer Herbst, aber auch für diese Geschichte gilt, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wurde. Auch wenn das damals vielleicht nicht einfach zu erkennen war: Die Geburt der RAF aus dem dunkelsten Teil der APO war eine Totgeburt, ohne dass das die Opfer dieser Irrlehre wieder auferstehen lassen würde. Wer heute die Dokumentationen der RAF-Texte liest, kann nicht umhin, die aggressive Dogmatik, staubtrockene Revolutionstheorie und Menschenverachtung, immer dann, wenn es um konkrete Menschen geht, als den Widerwillen gegen die Wirklichkeit zu interpretieren.
War die APO streckenweise witzig, entwickelte originelle Protest- und Prozessformen und schließlich auch ein Verhältnis zur eigenen Ungeduld, die Verhältnisse zu ändern, markierte die RAF auf dem Höhepunkt ihrer revolutionären Bemühungen um das Wohlergehen der Menschheit das genaue Gegenteil. Warum sollte das verführen? Und wenn es die Jugend verführt, dann eben nicht zur RAF, sondern zu einem Kult mit einem albernen, geschichtsvergessenen Logo.
Wie hieß das damals? RAF! Die tun was! Und wenn sie schon gestorben sind, dann leben sie eben jetzt in Film, Ausstellung oder Mode-Look wieder auf. Für einen Wiederauferstehungs-Mythos zu 10 € pro Eintrittskarte reicht es, für ideologische Spätschäden wohl kaum. Die RAF wäre jedenfalls mit der "präemptiven" Zensur "ihrer" Ausstellung völlig einverstanden gewesen - darin der Lehre Mao Tse Tungs folgend:
Wenn der Feind uns bekämpft, ist das gut und nicht schlecht... schlecht ist, wenn der Feind nicht gegen uns Front macht - denn in diesem Fall würde es doch bedeuten, dass wir mit dem Feind unter einer Decke steckten.
Andreas, der Kampf geht weiter! Auch post mortem entlässt die Revolution ihre Kinder also nicht. Was wiederum belegt, dass die Geschichte eine höhere Lehranstalt ist, wie es in der Bundesrepublik Deutschland keine zweite gibt.