Rassismus und Polizeigewalt: Deutschlands dunkle Seite

Harald Neuber
BRD-Flagge mit Amnesty International-Logo, Schlagstock und Ausländer

Deutschland hat ein Rassismus-Problem. Der neue Amnesty-Bericht zeigt eine Zunahme von Hassverbrechen gegen Minderheiten. Auch die Behörden stehen im Visier.

Der neue Amnesty-Jahresbericht zur weltweiten Lage der Menschenrechte zeichnet ein düsteres Bild, auch für Deutschland. Der 408-seitige Bericht, für den 150 Länder untersucht wurden, dokumentiert eine globale Menschenrechtskrise mit eskalierenden Konflikten, Missachtung des Völkerrechts und Beschneidung der Rechte von Schutzsuchenden und Minderheiten.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Kritik an der Lage in Deutschland Konsequenzen hat. Denn die für den Berichtszeitraum verantwortliche Regierung befindet sich auf dem Absprung, die neue lässt zumindest keine Verbesserung erwarten.

Und: In der Vergangenheit haben Bundesregierungen kritische Anmerkungen von Menschenrechtsorganisationen und Vertretern der Vereinten Nationen trotz ihres wertegeleiteten Vertretungsanspruchs mit Blick auf den eigenen Rechtsraum teils aggressiv zurückgewiesen.

In Deutschland hat Amnesty International laut dem Bericht im vergangenen Jahr gravierende Mängel festgestellt. Rassistische Diskriminierung und Hassverbrechen gegen Minderheiten haben stark zugenommen, ohne dass die Behörden ausreichend dagegen vorgehen. Insbesondere mangelt es an unabhängigen Beschwerdestellen bei Vorwürfen von Polizeigewalt und Racial Profiling, so die Menschenrechtler.

Rolle der deutschen Polizei kritisch

Auch bei der Aufklärung von Menschenrechtsverstößen durch Polizeibeamte gibt es dem Bericht zufolge noch viel Verbesserungsbedarf. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat Deutschland durch unzureichende Ermittlungen bei Racial-Profiling-Vorwürfen gegen die Polizei sogar gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen.

Kritik übt Amnesty auch am Umgang mit friedlichen Protesten in Deutschland. Diese würden teilweise unverhältnismäßig eingeschränkt, wie ein Fall zeigt, bei dem nur 50 Demonstranten auf das Gelände des G-7-Gipfels gelassen wurden. Allerdings urteilte das Bundesverwaltungsgericht auch, dass Protestcamps umfassend durch die Versammlungsfreiheit geschützt sind.

Lob für Genderpolitik

Fortschritte gab es laut Amnesty bei den Rechten von LGBTI. Die geplante Ablösung des Transsexuellengesetzes durch ein Selbstbestimmungsgesetz wertet die Organisation als Schritt in die richtige Richtung. Selbstbestimmungsrecht ist in der Umsetzung allerdings Gegenstand politischer Debatten und wird von politischen Gegnern missbraucht und das Lächerliche erzogen.

Auch die Aufhebung des umstrittenen Werbeverbots für Abtreibungen nach Paragraf 219a StGB wird begrüßt. Allerdings kritisiert Amnesty, dass Schwangerschaftsabbrüche weiterhin im Strafrecht geregelt bleiben.

Klimaschutz? Durchmischt …

Beim Klimaschutz attestiert der Bericht Deutschland Versäumnisse. Laut Umweltbundesamt wird Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele deutlich verfehlen. Zwar habe die Regierung den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt, gleichzeitig aber klimaschädliche Investitionen wie in LNG-Terminals genehmigt. Positiv bewertet Amnesty die deutsche Unterstützung für einen Fonds zur Bewältigung klimabedingter Schäden auf der COP27.

"Die künftige Bundesregierung ist gefordert, ihre Politik klar nach ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen auszurichten", sagt Amnesty-Generalsekretärin Julia Duchrow mit Blick auf Deutschland. Doch danach sehe es im Koalitionsvertrag von Union und SPD leider nicht aus. Stattdessen würden rassistische Feindbilder bedient, Überwachung aufgebläht und die Zivilgesellschaft angegriffen.

Global spricht Amnesty von einem "epochalen Bruch". Rechtsstaat, Völkerrecht und Menschenrechtsschutz würden von vielen Staaten missachtet und angegriffen. "Menschenrechtsverletzungen werden nicht mehr geleugnet oder vertuscht, sondern ausdrücklich gerechtfertigt", so Duchrow.

Der Bericht dokumentiere brutale Taktiken zur Unterdrückung Andersdenkender, fatale Folgen für Zivilisten in Konflikten, unzureichende Klimaschutzmaßnahmen sowie globale Rückschritte beim Schutz von Migranten, Geflüchteten, Frauen, Mädchen und LGBTI.

Amnesty sieht epochalen Rückschritt

Amnesty wirft der Staatengemeinschaft Untätigkeit und Doppelstandards im Umgang mit Menschenrechtskrisen vor. Während der Genozid Israels an Palästinensern und russische Kriegsverbrechen in der Ukraine weitergehen, blockieren die USA im UN-Sicherheitsrat Forderungen nach Waffenstillständen und sanktionieren sogar den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte angekündigt, den international gesuchten israelische Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Deutschland zu empfangen und vor dem Zugriff des Internationalen Strafgerichtshof zu beschützen; der Christdemokrat hat mithin einen Bruch des internationalen Rechtes und der Verpflichtung Deutschlands in Aussicht gestellt.

Viele Regierungen schränkten 2024 die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ein, so Amnesty. Kritiker wurden wegen haltloser Extremismus- oder Terrorismusvorwürfe inhaftiert, Medien verboten, NGOs aufgelöst. In Russland verhängten Militärgerichte lange Haftstrafen wegen Online-Kommentaren oder Spenden an Oppositionelle. Der Kremlkritiker Alexej Nawalny starb in Haft.

Trotz massiver Repression setzten sich laut Amnesty auch 2024 unzählige Menschen weltweit gegen Unrecht zur Wehr. Hunderttausende protestierten gegen den Genozid in Gaza. In Georgien demonstrierten Zehntausende gegen ein repressives NGO-Gesetz, in Südkorea gegen das Kriegsrecht. Positive Entwicklungen gab es auch bei Einzelfällen: WikiLeaks-Gründer Julian Assange kam frei, auch wenn Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dazu – entgegen Ankündigungen vor der Wahl – nichts ersichtlich beigetragen hat.

"Die Menschenrechte haben weiterhin große Strahlkraft – die Mehrheit der Menschen will keine Welt, in der Regierungen unkontrollierte Macht haben und allein das Recht des Stärkeren zählt", betont Julia Duchrow. "Amnesty steht an der Seite derer, die für die Würde und Menschenrechte aller einstehen. Und wir werden die kommende Bundesregierung dafür in die Pflicht nehmen."