Raumkunst im Freien
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- Halböffentlichkeit in nachrevolutionären Zeiten
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Die Architektur der Moderne revolutionierte das Verhältnis von umbautem und freiem Raum - Teil 2
Ging es im ersten Teil um den Impuls, der von der konstruktivistischen, neoplastizistischen Malerei ausging, um die Grenzen zwischen Innen und Außen in der Architektur aufzulösen, werden im zweiten Teil neben weiteren solitären Ikonen der Moderne einige Siedlungen herausgegriffen, um die Folgen für das Verhältnis von privat und öffentlich zu analysieren. Nun kann die Architektur Impulse geben.
Haus Farnsworth und Villa Savoye, Wasser und Auto
Obwohl Mies van der Rohe bei Haus Farnsworth (Illinois 1950-51) die vorhandene Vegetation nicht verändert hat, mutiert sie allein auf Grund der implantierten Architektur zur panoramahaften Landschaftsinstallation. Er überließ das Bauen mit der Vegetation wie auch der reifere Gropius am liebsten der Natur. Aber sie bekommt eine tiefere Bedeutung, wenn sie als Bild in das Haus projiziert wird. Das Haus ist aufgeständert und rundum verglast. Die Ecken, die gemeinhin die Außenraumgrenzen markieren, sind hier freigestellt, indem die Träger von ihnen zurückgezogen sind. Sie sind "entmaterialisiert", zumal das Dach nicht mehr auf ihnen lastet. Das Haus erscheint in kristalliner Transparenz. Ein ganzes Netz von Sichtachsen lädt auch hier den Bewohner ein, wechselnde Perspektiven auf die Außenwelt einzunehmen.
Eine abgesenkte große Terrasse bildet auf einer eigenen Ebene den physischen Übergang von Haus und Landschaft. Wenn der nahe Fluss über die Ufer tritt, scheint sich Farnsworth in ein Hausboot zu verwandeln. Das Wasser kann aber ebenso gut architektonisch gebannt werden. Mies legte gern orthogonale Wasserbecken vor verglasten oder durchbrochenen Fassaden an, so beim Barcelona Pavillon (1929) und der Neuen Nationalgalerie in Berlin (1965-68). Wasser mit seinen Eigenschaften der Durchlässigkeit und Brechung des Lichtes sowie der Spiegelung ist der willkommene Stoff für eine transluzente Architektur. Es bringt darüber hinaus die scharfen Kanten der festen Baustoffe in Oszillation.
Auf Pfeilern steht auch die Villa Savoye (Poissy 1928-31), diesmal von Le Corbusier. Er hat den Garten ins Haus geholt, auf zwei innere Terrassen. Der Blick nach draußen auf das umgebende Grün wird durch lange Fensterbänder kanalisiert. Das Grün wird zur Fassadenkulisse. Wer sich an diesem "Screen" entlangbewegt, erlebt die Landschaft als kinetischen Effekt, als "moving panorama". Phantastisch ausgeprägt ist dieser Umschlag ins Artifizielle beim "kubistischen Garten", von Gabriel Guevrekian für die Villa Noailles in Hyères entworfen Die Mittelmeerlandschaft erscheint als surrealistische Bilderstrecke in den Ausschnitten der Blendmauern.
Raumkunst im Freien (17 Bilder)
Diesen Effekt projizierte Le Corbusier in der Villa Savoye noch einmal an den Himmel. Die Dachterrasse galt ihm als der kosmologischen Raum des Hauses. Der Himmel bildet die Decke und das begrünte Dach den Boden. Zu so viel Freiheit gehörte für den Meister das Auto. Mit ihm konnte man direkt zwischen den Stützen (Pilotis) ins Parterre einfahren. Das war ein böses Omen für Kommendes. Verheißungsvoll war es mit solch luftigen Pfahlbauten - auch Mehrgeschossern - losgegangen. Sie erwecken den Eindruck, als ziehe die Landschaft unter ihnen durch. Das realisierte Oscar Niemeyer noch 1957 im Berliner Hansaviertel, und auch Le Corbusier verstand sich darauf. In der Nachkriegsmoderne wurden jedoch auf der unteren Ebene zunehmend Betriebsräume und eben doch Autostellpläze untergebracht.
Le Corbusier stellte auch die städtebaulichen Weichen zu nicht mehr steuerbaren Städten. Er war federführend beim Konzept einer in die Funktionen Wohnen, Arbeiten und Erholung geteilten Stadt. Unter Berufung auf Gartenstädte suggerierte er zwischen diesen Großeinheiten durchaus Grünzonen. Schnell wurde aber klar, dass diese arbeitsteilige Stadt eines erhöhten Verkehrsaufkommens bedarf. Der Geist der autogerechten Stadt war aus der Flasche gelassen.
Außenwohnraum
Schon in den Zwanziger Jahren war die Stadt zur "Asphaltwüste" verkommen, bemerkte der reformerische Architekt Bruno Taut. Für den Gartenarchitekten Leberecht Migge, der etliche der Wohnungsbauvorhaben Tauts begleitete, war sie ein "schlecht verwalteter Steinhaufen". "Licht, Luft und Sonne" lautete die Parole des Neuen Bauens, um das Wohnungselend, überbelegte Wohnungen in engen Hinterhöfen, per Sozialem Wohnungsbau zu überwinden.
Durch Kompression zu Zeilenbau und durch Rationalisierung sowie Typisierung sollte Platz für Gärten bei den Häusern und wohnungsnahe Volksparks geschaffen werden. Das "sanitäre Grün" hatte sozialhygienische Funktion für die Stadt. Die Siedlungen der Weimarer Zeit knüpften an die Gartenstädte an und überboten sie durch Massenwohnungsbau "am laufenden Band". Das Postulat der Neuen Sachlichkeit war, aus der Funktionalität aus Kleinem und Gleichem eine eigene Ästhetik zu entwickeln.
Sehr eigen war diese Ästhetik bei Bruno Taut, der seine Häuser durch Farbe "elementarisierte", als würde er das Programm von "De Stijl" unmittelbar einlösen. Vorne und hinten, Fassade und Grundriss waren ihm zumindest theoretisch einerlei. Der Raum wird allein durch die Unterscheidbarkeit der Farben gewirkt. Van Doesburgs "axonometrische Projektionen" hatten vorgeführt, wie die farbigen Flächen Waben oder Module bilden, die gleichsam nach dem Baukastenprinzip versetzt werden können, nach vorne oder hinten, oben oder unten.
Entsprechend werden Inneres und Äußeres verschränkt. Die Außenwelt wird der Innenwelt eingelagert, Umgekehrt tritt der Innenraum nach außen: Raumkunst im Freien. Diese Austauschbarkeit ist bei Taut nicht egalitär. Wenn bei Mondrian eine grundlegende Zweiheit die von Individuellem und Sozialem ist, wird in der Architektur Tauts daraus die rhythmische Folge gleicher Glieder. Der Rhythmus steht für die Individualität.
Das kann beim Gang durch die Straßen der Siedlungen der Modern abgelesen werden, aber nicht minder an den Hausgärten und den Freiräumen insgesamt, die Leberecht Migge nicht nur in Berlin, sondern z.B. auch in Frankfurt a.M. und Celle gestaltete. Aus den "Salons im Freien" wurde bei Bruno Taut der "Außenwohnraum". Da Migge bei der Gestaltung von Siedlungsgärten auf "Funktionsorientierung und Nutzbarkeit bei rhythmischer Gestaltung" Wert legte, fiel es ihm leicht, sich an die Architektursprache Tauts anzupassen. Auch die dem Bauhaus angehängte Formel "Form follows function" bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Dass die Form aus der Funktion folge, ist ein Naturgesetz. Dem habe sich wiederum der Mensch anzupassen. Das würde heute "Bionik" genannt.
Auch in der "Hufeisensiedlung" (1925-33) in Berlin-Britz blieb die Zuordnung der rückseitig gelegenen Küche zum Kräutergarten die Grundregel, wenn es auch für Taut wegen der Weitläufigkeit der Anlage und verschiedener Bauabschnitte kein Dogma war. Der Hauptgarten war - und ist - so breit wie die Reihenhäuser. Bei den Geschossbauten haben nur die Parterrewohnungen direkten Zugang zum Garten.
Neben Beeten für Nutzpflanzen hat der Hauptgarten, der meist an eine Terrasse anschließt, Erholungsfunktion. Zur von Migge vorgesehenen Grundausstattung gehörten an den Außengrenzen der Gärten entlanglaufende lineare Reihen von Obstbäumen wie Apfel und Sauerkirsche. Die Grundelemente konnten von den Mietern variiert werden. Migge legte Mustergärten an. Ein Mieter-Magazin gab Pflanz- und Pflegeempfehlungen.
Sofern die Hauptgärten rückseitig hinausgingen, lagen sie zwischen zwei Häuserzeilen spiegelbildlich zueinander. Dazwischen ein schmaler Wirtschaftsweg, der öffentlichen Zutritt nicht ausschloss. An diesen Grenzen wurden Ligusterhecken als Abgrenzung gepflanzt, die kaum hüfthoch waren. Diese Halböffentlichkeit, für sich sein zu können und doch zu sehen und gesehen zu werden, ist der Clou der Gartenräume, seit es Gartenstädte gibt.