ReBirth 338 von Steinberg/Propellerhead
Die Wiedergeburt des Techno aus dem Geiste der Analog-Maschinen
Die Firma Steinberg, nicht zu verwechseln mit dem amerikanischen Klavierhersteller Steinway oder dem Hersteller elektronischer Bässe Steinberger, begann vor kurzem mit dem Vertrieb der Software ReBirth RB-338 von Propellerhead aus Schweden. Dieses mit 1,2 MB relativ schlanke Stück Software ermöglicht die perfekte grafische, aber vor allem soundmässige Simulation der 808 Drummachine von Roland sowie zweier 303 Roland Bassynthesizer.
ReBirth treibt die Virtualisierung der digitalen Musikproduktion ein kräftiges Stück weiter. Die Soundtechnologie hat hier gegenüber Video immer schon die Masstäbe gesetzt. Audio-Sampling auf der Harddisk von PcŽs war Realität, als man noch keine Ahnung hatte, wie man Live-Stream-Videodaten unterbringen sollte. Aber ReBirth betreibt etwas anderes, nämlich kannibalische Ausbeutung eines analogen Lärmkästchens durch dessen Simulation.
Das charakteristische Knöpfchen- und Tastendesign der 303 und 808 wird am Bildschirm originalgetreu visualisiert. Die verschiedenen Dreh- und Schieberegler sowie Knöpfe können wahlweise mit der Maus oder über Tastenkombinationen bedient werden. Und hat Mensch die über die WebSite von Propellerhead frei erhältliche Demo-Version installiert, gestartet, einen rudimentären Beat eingegeben und ein wenig an den Knöpfchen gedreht, so beginnen die Augen von Mensch zu leuchten und aus dem erwachsenen Menschen wird ein völlig im Spieltrieb versunkenes Kind: Was da aus den Pc-Boxen kommt, klingt wie Techno, ist die Ursubstanz des Techno.
Schwere, vor sich hinknister-knasternde Bassläufe, die sich mittels einiger Manipulationen an Cutoff- und Resolution-Reglern Oktave um Okatave hochschrauben, bis sie zu flirrenden Bleeps werden oder zu trancehaften Variationen im Mitteltonbereich. Dazu die charakteristische satte Bassdrum der 808, die scharfe Snare, die penetrierenden Handclaps: Dieser Stoff hat Musikgeschichte geschrieben.
Kleiner Exkurs in die jüngere Musikgeschichte
Das 'kultige' Element an der 303 und der 808 ist eng mit dem Aufstieg von Techno zur Massenbewegung verknüpft. Vorbereitet durch die ersten Eruptionen der House-Party-Bewegung in den späten achtziger Jahren, kam der House-Techno auf den Kontinent und erlebte seit 1990 eine stetige Popularitätszuname. Techno wurde zu einer europäischen Jugendkulturbewegung, die sich, anders als bei RockŽn Roll, von der amerikanischen Dominanz emanzipieren konnte. Gerade auch in Deutschland wurden eigenständige Akzente gesetzt, ob mit dem frühen Frankfurt/M-Techno oder dem zeitweilig nur als TeKKno buchstabierten "Brettersound" aus den Ostberliner Partykellern. Und immer mit dabei die magischen kleinen Kästchen mit den eingängigen Produktnummern 303 und 808.
Die 303 und die 808 gibt es aber schon länger, sie haben schon zu Hip Hop Zeiten den Beasty Boys gute Dienste geleistet (auf "License to ill") und die Drummachine wurde zum Namensgeber der Gruppe 808 State, die zur Zeit des ersten UK-Dancefloor Booms (zugleich mit u.a. LFO, S-Xpress) bekannt wurden. Und man kann dieses Dreierpack von zwei 303 und einer 808 am Pc auch wirklich wesentlich vielseitiger einsetzen, als eine bestimmte ausgefahrene Schiene zu bedienen. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß Homebastler den Wunderkästchen alle möglichen Musikstile entlocken, ob Disco, Reggea, Funk, Hip Hop, Jungle, drum & bass, etc.
Von den "amtlichen" Technofans
Da wo Kult ist, da ist auch Schatten. Grob gesprochen spaltete sich die Techno-Szene in zwei Entwicklungslinien auf. Während die eine Art von Techno-Protagonisten den Sound beständig weiterentwickelte, z.B. indem vom strikten 4/4 Marschmusik-Takt abgewichen, die synkopierte Rhythmik von Hip Hop und anderen schwarzen Musikstilen ins Repertoire aufgenommen, Einflüsse von Ambient, Jazz, Reggea, Minimal oder sogar Stockhausen und anderen Klassikern der elektronischen E-Musik Avantgarde ins populäre Spielfeld integriert wurden, bis hin zu einer kaum noch zu überschauenden Vielfalt der Crossovers und musikgenetischen Verzweigungslinien, wollte die andere Fraktion immer nur das eine: Beats, Bass und Bleeps. Am besten drückt sich die Haltung dieses Teils der Szene im eigenen Szene-Slang aus. Techno muß "amtlich" sein. Dieses zunächst scherzhaft aufgekommene Wort einer durchaus anti-autoritären, wenn auch entpolitisierten Szene ("Friede, Freude Eierkuchen", das 'amtliches' Motto von DJ Dr. Motte zur Love Parade 95) offenbart in Zeiten der Verfestigung den verbürokratisierten und in Fragen der Geld- und Machtpolitik zunehmend zentralisierten Charakter der Szene (siehe z.B. diverse Techno-Party-Imperien, das Gerangel um britische Dancefloor Acts wie Prodigy oder Underworld, usw.).
Wer also 'amtlichen' Techno machen will, muß einfach die 303 und die 808 haben, denn diese Maschinen garantieren für den unverwechselbaren Sound. So erklärt sich auch die Rarheit und damit die horrende Preissteigerung der Geräte. Der Schachzug von Propellerheads/Steinberg nun genau diese Geräte als Simulation am Pc zu einem viel günstigeren Preis auf den Markt zu bringen, ist kommerziell gesehen sicher vielversprechend. Ein Engpass wurde beseitigt und der mithin endlosen Reproduktion eines Sounds steht nun nichts mehr im Wege.
Musik mit Mouse-feeling
Doch der Software kann die amtliche Verblödung einer Szene nicht in die Schuhe geschoben werden. Allenfalls kann die Art kritisiert werden, wie die Umsetzung am Pc erfolgte. Indem man sich entschloss, nicht nur die tontechnischen Möglichkeiten, sondern auch das Design originalgetreu für den Bildschirm nachzubilden, leistet man dem blindwütigen Reproduktionswahn der Technofans im Schlafzimmerstudio Vorschub. Hier liegen aber auch die (ergonomischen) Schwächen von ReBirth. Ein realer Drehregler ist eben mit den Fingern viel leichter und gefühlvoller zu bedienen, als ein virtueller Drehregler mit der Maus. Zudem ist eine 303 im Live-Betrieb auch beidhändig spielbar, während man diesbezüglich mit der Maus an eine Grenze stößt. Man hätte also auch auf die Designkopie völlig verzichten können, zugunsten einer maustechnisch besseren Bedienbarkeit der grafischen Oberfläche.
ReBirth könnte zum Lieblingsspielzeug einer entstehenden Retro-Techno-Szene werden, ähnlich wie die Fender Stratocaster für die Rock'n Roller. Mit ein wenig auf die Maus übertragenem Fingerspitzengefühl lassen sich die verschiedensten Kompositionsvorstellungen live realisieren, die Mausaktionen werden aufgezeichnet und sind in Songs integrierbar. Damit lassen sich ganze Passagen recht optimal tunen. Zusätzliche Digital-Effekte, wie Delay und Distortion, ebenso wie das Aufzeichnen der Soundreglereinstellungen sind nur Features der digitalen Simulation, nicht des Originals.
Im Reich der integrierten Komplettlösung
Für die Studiotüfftler hat ReBirth überhaupt einige Antworten bereit. Pattern und Songs können nicht nur im ReBirth-eigenen Format, sondern auch als WAV-Files abgespeichert und damit als Samples in andere virtuelle Kompositionsumgebungen übernommen werden. Und auch die Synchronisierung mit anderen Geräten mittels Midi ist möglich. Das Samplen der ReBeirth-Klänge könnte zum großen Hit werden, ein typischer 303 Sound macht sich sicher auch in einem Drum & Bass Stück gut.
Kontrollierte Kompositionsarbeiten mit Sampling, Sample-Verarbeitung, Sequenzing usw. am Pc werden damit möglich. Sicherlich will Steinberg damit auch das bereits als Beta erhältliche und bald offiziell erscheinende Cubase Virtual Sound Studio unterstützen. Mit dieser integrierten Komplettlösung (in der Einstiegskonfiguration für DM 690.-) will man es wohl schaffen, Systemen wie Protools auf dem Mac ernsthafte Pc-Konkurrenz entgegenzusetzen.
Software-Produkte wie ReBirth und Recycling (ebenfalls von Propellerhead, die Zusammenarbeit ist eng) sind dabei wohl vor allem die Anheizer für die Käuferschicht mit größeren Studioplänen, die engagierten Semi-Profis und Möchtegern-Sven Väths.
Auffällig ist auch, wie sehr man Wert auf Information und Support im Internet legt. Die Steinberg Web-Site ist, wenn auch grafisch vielleicht nicht so exzellent, doch übersichtlich navigierbar, bringt vielfache Einsicht in Produkte (darunter einige frei oder zumindest testweise per Download erhältlich) und Support und Update-Möglichkeiten. Und nicht zuletzt verweist sie auf die wesentlich einschlägigere Web-Site der Propellerheads, auf der sich der ReBirth Download befindet. Doch zu dieser Sorgfalt in der Web-Präsenz gibt es guten Grund. User und Stammkunden der beliebten Cubase Software sind recht früh auf Netzwerke eingestiegen und haben sich wohl auch schon Updates aus Mailboxen gesaugt, als es noch keinen Internet-Massenhype gab. Diese gewachsene Web-Community will bedient sein.
ReBirth R-338: ReBirth benötigt einen PC mit Windows 95 und Intel Pentium 100 Mhz Processor und mindestens 16 MB RAM oder einen Power Mac mit mindestens 16 RAM. Die Software ist im Vertrieb von Steinberg weltweit erhältlich, der unverbindlich empfohlene Verkaufspreis in Deutschland beträgt DM 299,- . (im Vergleich dazu sind die Originalgeräte derzeit bei Preisen zwischen ca. 2500.- bis 3000.- DM für in der selben Kombination, 2 Stck 303, eine 808, zu haben).