"Rebellen" in Aleppo sollen Dutzende Menschen hingerichtet haben
Belege für Massaker durch Regierungsanhänger bleiben aus. Stattdessen mehren sich nun die Hinweise auf Verbrechen, die von Rebellen begangen wurden
Viel war in den letzten Wochen vom Leid der Zivilbevölkerung in Aleppo die Rede. Von syrischen Soldaten, die mordend von Haus zu Haus ziehen, berichteten Medien. Von Regierungsmilizen, die Frauen und Kinder erschießen. Gar von einem Völkermord, begangen durch die Truppen der syrischen Armee, konnte man lesen.
Doch auch zwei Wochen nachdem die syrische Armee den zuvor von Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt zurückerobert hat, bleiben Belege für Massaker durch Regierungsanhänger aus. Stattdessen mehren sich nun die Hinweise auf Verbrechen, die von Rebellen begangen wurden. Im zuvor von Rebellen gehaltenen Stadtviertel Al-Sukkari sollen Soldaten in den letzten Tagen dutzende Leichen getöteter Zivilisten gefunden haben.
Dies berichtetet das russische Verteidigungsministerium. Staatsnahe syrische Medien berichten außerdem über den Fund von Leichen von 100 syrischen Soldaten in einer Schule im selben Stadtteil. "Es wurden Massengräber mit Dutzenden Syrern entdeckt, die standrechtlich exekutiert und Opfer schwerer Folter wurden", sagte Igor Konaschenkow, ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Jeder der Leichen hätten Gliedmaßen gefehlt, die meisten trügen Einschusslöcher am Kopf. Die Video-Agentur des russischen Auslandsnachrichtensenders RT zeigte Aufnahmen der Getöteten.
Der Bericht scheint glaubwürdig. Selbst die in London ansässige oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" berichtet vom Fund der Leichen. Angaben zur Anzahl der Getöteten machte die Organisation allerdings nicht. Unsicher ist auch, welche Miliz für die Massaker verantwortlich ist.
Die Täter
Das Rebellenbündnis in Aleppo wurde bis zu seiner Vertreibung vom Al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra und der von Saudi Arabien unterstützten Ahrar al-Sham dominiert. Als Täter infrage kommen aber auch die Kämpfer von Nureddin al-Zenki. Ein online veröffentlichtes Video soll zeigen, wie Kämpfer der Rebellengruppe eine Person in ihrer Gewalt haben, die später unter den Mordopfern wieder auftaucht.
Die Beteiligung von Al-Zenki an den Exekutionen hätte besondere Brisanz, da die Gruppe noch bis 2014 offiziell von den USA mit Waffen beliefert wurde. Al-Zenki hatte allerdings ihr Label als "moderate Rebellengruppe" verloren, nachdem im August dieses Jahres ein Video an die Öffentlichkeit gelangt war, in dem zu sehen war, wie Al-Zenki-Kämpfer einen zwölfjährigen Jungen enthaupten.
Die nun veröffentlichten Berichte sind die konkretesten Belege über Massaker in Ost-Aleppo seit der Rückeroberung der Stadt durch die syrische Armee vor zwei Wochen. Internationale Schlagzeilen hatte vor zwei Wochen eine Meldung gemacht, wonach die UN syrischen Regierungstruppen vorwerfe, Dutzende Zivilisten ermordet zu haben.
Vorwürfe an "Pro-Regierungskräfte"
Die Meldung ging zurück auf eine Pressekonferenz des UN-Menschenrechtsrates in Genf am 13. Dezember. Menschenrechtsrat-Sprecher Rupert Colville sagte dort, seine Behörde habe Informationen aus "mehreren verlässlichen Quellen", wonach "Pro-Regierungskräfte mindestens 82 Zivilisten, darunter 11 Frauen und 13 Kinder, in vier unterschiedlichen Stadtvierteln" getötet hätten.
Selbst bestätigen wollte Colville die Informationen allerdings nicht. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP sagte er später: "Wir hoffen zutiefst, dass die Berichte falsch oder übertrieben sind, da die Situation extrem in Bewegung und es sehr schwer ist, die Berichte zu bestätigen."
Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser und anderer Massaker-Meldungen hatte auch der Netzaktivist, Waffen- und Lokalisierungexperte Eliot Higgins angemeldet. Higgins Recherchenetzwerk Bellingcat hatte durch die Untersuchung des Absturzes der MH-17 in der Ostukraine weltweite Berühmtheit erlangt.
Im Syrienkrieg warf er der syrischen Regierung unter anderem vor, Streubomben eingesetzt zu haben. Bezüglich der Massaker-Anschuldigungen gegenüber der syrischen Armee handle es sich bei allen Fotos, die er zu Gesicht bekommen habe, allerdings um Fälschungen, schrieb Higgins auf Twitter.
Das mediale Narrativ wird infrage gestellt
Die Frage, wer in Aleppo tatsächlich die Zivilbevölkerung terrorisiert, ist nicht die einzige, die das mediale Narrativ von der blutigen Unterjochung der Stadt durch die syrische Armee in Zweifel zieht. Über soziale Medien verbreiteten sich in den letzten Tagen unzählige Videos und Fotos, die zeigen, wie Bewohner Aleppos auf den Straßen der Stadt die als Befreiung empfundene Rückeroberung ihrer Stadt feiern.
Bewohner berichten über Menschen, die vor den Rebellen geflohen waren und nun zu Tausenden in ihre alten Wohnungen zurückkehren. Im Stadtteil Azizya versammelten sich vergangene Woche hunderte Menschen um einen riesigen Weihnachtsbaum, um das Ende der Kämpfe zu feiern. Und im christlichen Stadtteil Jdeydeh begingen Bewohner in der teilweise zerstörten Sankt-Elias-Kathedrale am Sonntag die erste Christmesse seit fünf Jahren.
Unterdessen gehen die Kämpfe zwischen syrischer Armee und Rebellen im Großraum Aleppo weiter. Staatliche Medien und die "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" berichten übereinstimmend über Schusswechsel und Bombardierungen im Süden der Stadt.