Rechte Agendasetzung bei der Debatte um Kindergeld-Betrug durch Nichtdeutsche
Seite 2: Der EFA-Vorbehalt oder die deutsche Verarmungspolitik
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Deswegen leistet auch die EU-Kommission anders als beim EfA-Vorbehalt nachhaltigen Widerstand gegen diese Pläne. Der EfA-Vorbehalt sieht vor, dass EU-Bürger, die zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sind, kein Arbeitslosengeld II beziehen dürfen.
Weil es sich hier um eine Sozialleistung handelte, konnten diese Pläne, anders als es einige Juristen erhofften, nicht durch EU-Recht gestoppt werden. Da das Kindergeld nun eben keine Sozialleistung ist, stehen in diesem Fall die Chancen besser. Gegen die besondere Form der europäischen Entsolidarisierung der deutschen Politik wandte sich eine Initiative gegen den EFA-Vorbehalt, in der migrantische Gruppen, Erwerbsloseninis und Basisgewerkschaften zusammen arbeiteten.
Eine solche Kooperation bräuchte es auch in der aktuellen Debatte um das EU-Kindergeld. Da müsste darüber geredet werden, dass immer wieder Arbeiter aus Osteuropa in Deutschland um ihren Lohn betrogen werden. Der Kampf der acht Bauarbeiter der Mall of Berlin war nur in dem Sinne einmalig, dass sich die Betroffenen in diesem Fall wehrten und ihren Lohn einforderten.
So müsste auch darüber geredet werden, wie geschäftstüchtige Hauseigentümer an Arbeitsmigranten aus Osteuropa für viel Geld enge Zimmer in baufälligen Bruchbuden vermieten und die Menschen auf die Straße setzen, wenn es öffentliche Kritik gibt. Es ist der Grundfehler dieser EU, dass sie Verhältnisse schafft oder zulässt, die solche Praktiken zulassen.
Dass aber nun nicht über Lohnbetrug und Mietabzocke, sondern über Kindergeldbetrug gesprochen wird, ist Ausdruck einer rechten Hegemonie, wo nicht die Herstellung sozialer Gleichheit zumindest in der EU das Thema ist, sondern die weitere Verarmung und Entsolidarisierung.
Dass auch die migrationsfreundliche Bewegung solche Themen nicht mehr thematisiert, könnte auch darin liegen, dass sie selbst meist von einem liberalen Mittelstand getragen wird. Das betrifft nicht nur die "biodeutschen Akteure" der Antirassismusbewegung, sondern auch oft die Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in Deutschland über ihre Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung artikulieren.
Der Taz-Journalist Jörg Wimalasena hat kürzlich die Kritik prägnant auf dem Punkt gebracht, als er begründete, warum er sich als Deutscher mit Migrationshintergrund nicht an der Me Two-Debatte beteiligte:
Womöglich würden sie von ärmeren Menschen mit Migrationshintergrund auch ganz andere Klagen zu hören bekommen als die über peinliche "Komplimente". Etwa über die Aussicht auf schmale Rente (über 40 Prozent der Migranten waren 2013 von Altersarmut bedroht), niedrige Löhne (35 Prozent arbeiten im Niedriglohnsektor) und Hartz IV (die Hälfte der ALG-II-Empfänger hat einen Migrationshintergrund).
Doch für solche Verteilungsfragen interessiert sich die Twitter-Elite kaum - etwa weil sie selbst nicht betroffen ist? Ist das der Grund dafür, warum sich Linke für Menschen mit Migrationshintergrund stets nur als Opfer von Rassismus interessieren und nur selten als Opfer der herrschenden Wirtschaftsverhältnisse? Womöglich auch deshalb, weil sie selbst Nutznießer dieser Verhältnisse sind?
Die Überhöhung des Opferstatus bestimmter Minderheiten sorgt jedenfalls nicht dafür, dass antirassistische Forderungen gesellschaftlich anschlussfähig werden - höchstens bei einer vermeintlich progressiven wohlsituierten Mittelschicht, die sich längst von Verteilungsfragen abgewendet hat und ihren Wohlstandsscham affirmativ auf Minderheiten projiziert, anstatt gegen Hartz IV und für gerechtere Löhne ins Feld zu ziehen.
Die Leiharbeiter jeglicher Hautfarbe fragen sich vielleicht, warum man in den Altbauvierteln deutscher Großstädte über die Ausbeutung Afrikas durch Westeuropa diskutiert, dabei aber die Verteilungsfragen weitgehend ignoriert, die Schwarze und Menschen ohne sichtbaren Migrationshintergrund vor der eigenen Tür gleichermaßen betreffen. Nicht weiße Männer, die migrantische Perspektiven nicht verstehen, sind das hervorstechendste Problem dieser Gesellschaft, sondern dass viele wenig und wenige viel besitzen.
Die gemeinsame Erfahrung, sich die Miete nicht mehr leisten zu können und keine Rente, von der man leben könnte, erwarten zu dürfen, verbindet Millionen Menschen - Schwarze und Weiße, Homos und Heteros, Männer und Frauen. Es ist Zeit, wieder stärker Verteilungsfragen in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt lediglich die identitätspolitische Anerkennung des eigenen Leids einzufordern.
Jörg Wimalasena, Taz
Vielleicht könnte eine EU-weite basisgewerkschaftliche Organisierung für gleiche Löhne, gleiches Kinder- und Arbeitslosengeld, für gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen ein solches sozialpolitisches Projekt sein.