Rechte Diskurse
Neonazis in der Talkshow?
Soll man mit Neonazis in der Öffentlichkeit diskutieren, wie es die FDP-Europa-Abgeordnete Koch-Mehrin in der taz fordert? Soll man Rechte in Talkshows einladen, was bislang die nicht allzu fesselnden Talk-Meisterinnen der Republik - Sabine Christiansen und Maybrit Illner - noch ablehnen? Ist das wirklich unsouverän, wie Koch-Mehrin meint: "Sie sind gewählt, deshalb muss man sie hören und sich mit ihnen argumentativ auseinander setzen." Wer Rechte nicht einlade, verleihe ihnen zudem einen "Märtyrerstatus", meint die diskussionsfreudige FDP-Frau.
Koch-Mehrin hat auch schon ein raffiniertes Rezept, die Rechten aus dem Feld zu schlagen:
Man muss sich besonders vorbereiten. Und weil die platt argumentieren, muss man immer wieder nachbohren, dann kommt die fehlende inhaltliche Substanz zum Vorschein.
So einfach ist das. Dein Wort in Wählers Ohr. Zwar konnte der Wähler die intrikate Wahlwerbung und fehlende inhaltliche Substanz der Rechten bislang nicht durchschauen, aber wenn es so richtig live und authentisch wird, dann wird bestimmt alles sofort anders.
Die Mechanismen der Mediendemokratie gehorchen nicht den Prinzipien einer diskursiven Argumentation
Die freidemokratische Diskurstheorie mag vordergründig einleuchten. Die wehrhafte Demokratie muss keine Angst haben, sich mit Argumenten gegen antidemokratische Widersacher, wenn sie denn allen Zeichen nach solche sind, zu wehren. Ist alles andere nicht vielleicht nur Feigheit vor dem Feind, Schwäche der eigenen Position?
Indes könnten Frau Koch-Mehrins Empfehlungen die typischen Mechanismen einer "Mediendemokratie" etwas blauäugig ignorieren. Denn machen wir uns nichts vor: Wer in den Medien erscheint, produziert Aufmerksamkeit für sich. Mediendemokratien funktionieren nicht, wie es ihr schön färbendes Selbstbild will, diskursiv, sondern vermitteln nach oft höchst fragwürdigen Kriterien Sympathien und vor allem hinreichend diffuse Stimmungen.
Nicht die Rationalität des Arguments zählt primär, sondern die Erscheinung. Sympathien verteilen sich nicht nach der Qualität der Rede und der Kraft der Argumente, wie es Diskurstheoretiker seit Jürgen Habermas uns glauben machen wollen. Davon profitieren bekanntlich zahlreiche Politiker, denen der Gott der Medien die Gabe der Rede nicht mit der Wahrheitsliebe zugleich verliehen hat. Oder sollen wir ab jetzt glauben, dass das Fernsehen diskursiven Hunger über die Fünf-Minuten-Terrine hinaus befriedigt? Ohnehin sind mediale Identifikationsangebote oft davon abhängig, dass sich Wähler gerade in der Wort gewordenen Ohnmacht mittelmäßiger Propagandisten wiedererkennen und die Kurzschlüssigkeit von Politikern erst gar nicht wahrhaben wollen.
Der Preis für das Experiment könnte hoch sein
Und wo bleibt da die Mündigkeit der selbstbestimmten Demokraten? Um die Mündigkeit war es noch nie zum Besten bestellt. Noch weniger gilt das in Zeiten, in denen die Nerven blank sitzen, die Kassen knapp sind und der Wähler zum Fähnchen im politischen Wirbelwind wird. Denn wenn offensichtlich Protestwähler keine andere Lösung finden als die, politische Chaoten an die Front zu schicken, ist das Beleg genug, dass die Mündigkeit eine höchst fiktive Selbstbeschreibung der Demokratie ist.
Gerade indirekte Demokratien leben bekanntlich nicht zum wenigsten davon, Volkes Stimme so weit abzufedern, dass das Ärgste verhindert wird. Wer die politischen "Wechselkurse" der letzten Monate erlebt, kann jenseits der Verunsicherung des Wählers das Vertrauen in die politische Kultur "ein Stück weit" oder auch mehr verlieren. Und ist nicht eine Demokratietheorie höchst bescheiden geworden, die das Wesen dieser Herrschaftsform darin verortet, dass es eine gespaltene Spitze zwischen Regierung und Opposition gibt und sonst nicht viel mehr zu sagen ist?
Doch vielleicht hat Frau Koch-Mehrin gerade deshalb Recht. Denn wenn die politischen Inszenierungen auch der aufrechten Demokraten so tönern sind, mag das die volle Wahrheit sein, die dieser Demokratie noch fehlte, um sich selbst in ihren Verzerrungen zu erkennen. Wenn sich herausstellt, dass Geschwätz Geschwätz bleibt, so korrekt auch die Gesinnung ist, könnte das langfristig therapeutische Wirkungen für eine zu Panikzuständen tendierende Stimmungsdemokratie haben.
Nur: Will man dieses Experiment riskieren, wenn der Diskurs, der ohnehin keiner ist, schließlich gewaltig nach hinten los bzw. nach rechts geht? Zwar hätte die medial verabreichte Demokratie sich dann selbst reflektiert. Allein der Preis könnte recht hoch sein.