Rechts hat in Österreich viele Farben, angeblich

Notizen zum Ausgang der österreichischen Nationalratswahl

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Die österreichische Nationalratswahl hat zwei Ergebnisse: Einerseits wurde der rot-schwarzen Koalition eine klare Absage erteilt. Die Volkspartei (ÖVP) und die sozialdemokratische Partei (SPÖ) mussten große Verluste hinnehmen. Andererseits gab es einen deutlichen Rechtsruck: Das von Jörg Haider gegründete Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ) und die von Heinz Christian Strache geführte Freiheitliche Partei (FPÖ) zählen zu den klaren Wahlgewinnern und kommen zusammen auf einen Stimmenanteil von fast 29 Prozent.

Der Satz „Es reicht!“ zählt zu den am meist zitierten Phrasen in der Berichterstattung über die österreichische Nationalratswahl. Mit diesem Satz hat Wilhelm Molterer die Koalition mit der SPÖ im Sommer dieses Jahres gekündigt. Mit diesem Satz hat er aber auch das Ende seiner Ära herauf beschworen. Die ÖVP hat bei diesen Wahlen mehr als 8 Prozent der Stimmen verloren und rangiert derzeit bei 26 Prozent, was ein historischer Tiefpunkt ist. Am Montagabend ist Molterer daher zurück getreten und hat die Geschäfte an Josef Pröll übergeben. Pröll wird schon seit längerem als Thronerbe der ÖVP gehandelt und tritt ein schweres Erbe an. Opposition oder Koalition? Koalition – wie? Koalition – mit wem? ÖVP – wie? So lauten nur einige der Fragen, für die nun Lösungen gesucht werden.

Nächste Woche wird Bundespräsident Heinz Fischer die stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragen und das ist wie bei der letzten Nationalratswahl die SPÖ. Sollte es erneut zu einer großen Koalition kommen, was momentan als am wahrscheinlichsten gilt, wird das Verhandlungsergebnis nämlich mit Sicherheit schlechter für die ÖVP ausfallen als 2007. Noch-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat der ÖVP damals Schlüsselministerien wie das Innen-, Außen- und Finanzministerium überlassen, was ihm parteiintern, aber auch von den Wählern angekreidet und als Schwäche ausgelegt worden ist. Diesen Fehler wird sein Nachfolger Werner Faymann daher nicht noch einmal begehen.

Die einzige Alternative zu einer großen Koalition wäre für die SPÖ eine Minderheitsregierung, da Faymann weder mit der FPÖ noch dem BZÖ koalieren wird. Insofern stehen harte Verhandlungen bevor. Oder es kommt zu ganz anderen Alternativen. Koalitionen ließen sich mehrere bilden, doch noch sträuben sich alle, sich mit der FPÖ oder dem BZÖ an den Verhandlungstisch zu setzen. Offiziell zumindest.

Politische Nachdenkphase

Doch nicht nur die ÖVP hat der Ausgang dieser Wahl erschüttert. Auch die SPÖ, die Grünen und all jene, die den Einzug in den Nationalrat nicht schafften, sind enttäuscht. Die SPÖ muss ein Minus von fast sechs Prozent verkraften und ist somit ebenfalls unter die 30-Prozent-Marke gerutscht. Wie bei der ÖVP handelt es sich um das schlechteste Wahlergebnis in der Parteigeschichte. Die Grünen, die in den letzten zehn Jahren langsam, aber kontinuierlich Stimmen gewonnen haben, mussten erstmals Verluste hinnehmen. Sie träumten von 15 Prozent, sind aber auf zehn Prozent abgesunken. Und das Liberale Forum unter der Leitung von Heide Schmidt kam nur auf einen Stimmenanteil von 1,9 Prozent.

Das Liberale Forum wurde 1993 von Heide Schmidt gegründet und schaffte sowohl bei den Nationalratswahlen 1994 als auch 1995 den Einzug ins Parlament. 1999 scheiterte das Liberale Forum jedoch. Der Einzug in das Parlament wurde verfehlt, wenn auch nur knapp. 2002 schließlich rutschte die Partei mit einem Prozent Wählerstimmenanteil in die Bedeutungslosigkeit ab, weshalb 2006 auf eine Kandidatur bei den Nationalratswahlen verzichtet wurde. Die Rückkehr Heide Schmidts in diesem Jahr hätte eine Wiederauferstehung des Liberalen Forums werden sollen – sie hat sich 1999 von ihrer Partei, aber auch aus der Politik zurückgezogen. Mit 1,91 Prozent ist dieses Ziel jedoch ebenso gescheitert wie das Ziel etlicher anderer Neo-Parteien, wie der Liste Fritz. Wieder auferstanden ist lediglich Jörg Haider.

Totgesagte leben länger

Die politische Bilderbuchkarriere Jörg Haiders hat Mitte der achtziger Jahre begonnen. Er hat es sich damals zur Aufgabe gemacht, als Sprachrohr des „kleinen Manns“ zu fungieren, wetterte gegen die Großparteien, Intellektuelle, Künstler und Migranten, lobte die Beschäftigungspolitik des Dritten Reichs und schaffte es offenbar so, die FPÖ zu einer schlagkräftigen Partei heranzubilden. Bei der Nationalratswahl im Jahr 1999 war sie mit 27 Prozent die zweitstärkste Kraft im Land und an ihrem Zenit. Stärker war nur noch die SPÖ.

Trotzdem stellte 1999 ein Wendejahr für Haider dar. Die Koalitionsregierung mit der ÖVP schadete nicht nur dem Ruf Österreichs, sondern auch der FPÖ. Mit dem Regierungseintritt begann die Wählerschaft zu sinken, das Phänomen Haider zu verblassen. Die Folge war eine parteiinterne Krise, die 2005 zu einem Zerwürfnis und einer Spaltung der Partei führte. Jörg Haider gründete eine neue Partei, das orange Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ), das er von Kärnten aus regierte. Heinz Christian Strache übernahm die blaue FPÖ.

2006 kamen die Nationalratswahlen, bei der sich das BZÖ das erste Mal stellen musste. Das Ergebnis war verheerend. Während Strache und die FPÖ reüssierten und Wähler zurückholen konnten, musste das BZÖ um den Einzug ins Parlament zittern. Mit 4,12 Prozent der Stimmen geschah das nur knapp. Die Folge: Haider zog sich aus der Bundespolitik zurück, trat bis zu diesem Sommer nur noch als Landeshauptmann von Kärnten in Erscheinung, wo seine Beliebtheit ungebrochen war. Dann, im Sommer dieses Jahres, Haiders Comeback auf nationaler Ebene. Als Spitzenkandidat des BZÖ lächelte er wieder von Wahlplakaten herab, duellierte sich im Fernsehen mit den Spitzenkandidaten anderer Parteien, tourte durchs Land. Zehn Prozent der Stimmen zu gewinnen, lautete das Vorhaben, das im Bereich des Möglichen lag, aber auch sehr ehrgeizig war. Dass es übertroffen werden würde und das BZÖ im Parteien-Ranking die Grünen überholen könnte, hat sogar den größten BZÖ-Optimisten überrascht – Jörg Haider selbst. Am Sonntag haben fast elf Prozent für das BZÖ gestimmt.

Wie rechts sind Rechtswähler?

Während die ersten Hochrechnungen am Sonntagabend Heinz Christian Straches FPÖ als Partei mit den meisten Zuwächsen auswiesen, hat sich das nun, vier Tage nach der Wahl, verschoben. Im Moment liegen Jörg Haider und das BZÖ um drei Hundertstel vorne. Das BZÖ verzeichnet ein Stimmenplus von 6,69 Prozent, die FPÖ ein Stimmenplus von 6,66 Prozent. Die Auswertung der Wahlkarten ist aber noch nicht abgeschlossen – das endgültige Wahlergebnis wird erst am Montag, den 6. Oktober, vorliegen. Fest steht jedoch schon jetzt, dass sich lediglich die Rechtsparteien über Zuwächse freuen durften. FPÖ und BZÖ bilden zusammen fast die stimmenstärkste Kraft in Österreich. Die SPÖ liegt bei 29,4 Prozent – FPÖ und BZÖ liegen bei 28,5 Prozent. Angesichts dieses Ergebnisses tauchen natürlich Fragen nach einer Wiedervereinigung von BZÖ und FPÖ auf. Davon will aber vor allem Strache nichts wissen. Der politische Ziehsohn hat ein schwieriges Verhältnis zum Förderer von einst. Von der Rückkehr zum „Du“ hält Strache nichts, wie er in einem Fernsehinterview am Wahlsonntag signalisierte – die beiden siezen sich seit ihrem Zerwürfnis im Jahr 2005 nämlich wieder.

Angesichts dieses Wahlergebnisses tauchen aber auch Fragen nach der politischen Gesinnung in Österreich auf. Während die einen von einem Drittel Rechtsradikaler sprechen, warnen die anderen davor, alle FPÖ- und BZÖ-Wähler in die rechtsradikale Schublade zu stecken. Wie rechts die Rechte in Österreich ist, diese Frage beschäftigt Politologen, Meinungsforscher, Journalisten und Tausende andere Menschen im Land.

Wahlmotiv Regierungsauftrag contra Wahlmotiv Protest?

Auf der Hand zu liegen scheint ein klares Wahlmotiv derjenigen, die am Stimmzettel SPÖ oder ÖVP ankreuzten. Sie wollten, dass ihre Partei in die Regierung tritt. Was die Wähler der anderen Parteien angeht, sind die Motive unterschiedlich. Sie reichen von Protest bis hin zu rechtsradikaler Gesinnung, wofür die FPÖ das größte Auffangbecken ist. 70 Prozent ihrer Wählerschaft entschied sich „wegen des Ausländerthemas“ für Blau und kann sich da auch auf Strache verlassen. Diesbezüglich fährt er seit 2005 einen klaren Kurs. Kampagnen wie „Wien darf nicht Istanbul werden“ oder „Daham statt Islam“ sprechen eine deutliche Sprache. In diesem Wahlkampf dazu kamen Slogans wie „Heimatflug statt Asylbetrug“.

Obwohl ÖVP und SPÖ diesen Stil verurteilten, Strache als Hetzer an den Pranger stellten und eine Koalition mit seiner Partei ausschlossen, haben sie sich inhaltlich jedoch nie klar zu diesem Thema abgegrenzt. Im Gegenteil. Bei manchen Fernsehduellen oder Kundgebungen hatte man das Gefühl, auch sie buhlen um die fremdenfeindliche Klientel, in feineren Worten freilich. Das größte Thema dieses Wahlkampfs war aber ohnedies ein anderes: die Teuerungswelle. Als erstes darauf gesetzt haben Werner Faymann und die SPÖ. Doch die anderen zogen schnell nach, sind ebenfalls auf dieses Thema aufgesprungen, auch die FPÖ und das BZÖ. So wurden auf das Drängen Faymanns hin wenige Tage vor der Wahl die Aufhebung der Studiengebühren und eine Anhebung der Pensionen parlamentarisch beschlossen. Das erste Mal seit langem hatte man das Gefühl, dass die Regierung und der Nationalrat arbeiten.

Seit Vorliegen der ersten Hochrechnungen gibt es jedenfalls wieder ein neues altes Thema. Migration, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsruck. Die Worte des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl vom vergangenen Wahlsonntag klingen daher nicht nur zynisch und arrogant. Sie entsprechen auch nicht unbedingt den Tatsachen. Er wurde zum Wiener Wahlergebnis befragt, wo das BZÖ nur auf 4,73 Prozent kam. Häupl meinte süffisant: „Das BZÖ ist vielleicht in Österreich relevant, aber nicht in Wien.“ Dass die FPÖ in der Bundeshauptstadt fast 21 Prozent erreichte und in Wien am besten abgeschnitten hat, dazu äußerte er sich mit keinem Wort. Und ganz richtig war seine Behauptung außerdem nicht: Mit 5,3 Prozent ist das BZÖ auch im Burgenland nicht sonderlich relevant. Im östlichsten Bundesland Österreichs haben am wenigsten Menschen rechts gewählt – FPÖ und BZÖ kommen hier zusammen „nur“ auf 21,47 Prozent.