Rechtsgutachten: Sind die LNG-Pläne der Bundesregierung verfassungswidrig?
Scholz und Habeck verteidigen Pläne für LNG-Terminal vor Rügen. Kritiker sehen bereits Überkapazitäten. Ein Gutachten schürt Zweifel am Vorgehen der Bundesregierung.
Nur wenige Kilometer vor der Küste Rügens soll ein Terminal für Flüssiggas errichtet werden. Seit Monaten formiert sich auf der Insel Widerstand gegen das Projekt der Bundesregierung. Am Donnerstag reisten eigens Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an, um vor Ort die Wogen zu glätten.
Ob es den beiden Politikern gelungen ist, die Ängste von Kommunen, regionaler Wirtschaft und Verbänden zu lindern, wird die Zeit zeigen. Die Region lebt vom Tourismus und ist auf eine intakte Umwelt angewiesen. Doch, so die Befürchtung, die wirtschaftliche Grundlage der Region könnte durch das LNG-Terminal beeinträchtigt werden.
Unmittelbar vor dem geplanten Gespräch mit Scholz und Habeck warnten Vertreter des Bäderverbandes vor möglichen Negativfolgen. "Den Ostseebädern droht mit den Terminals die Aberkennung ihres Status", heißt es in einer am Mittwoch verbreiteten Erklärung, aus der die Deutsche Presse-Agentur (dpa) zitierte. Dabei geht es um die zahlreichen Kurorte und -kliniken auf Rügen, die von den Terminals beeinträchtigt werden könnten.
Der Energiekonzern RWE plant den Bau von zwei schwimmenden Plattformen vor Rügens Küste. Vom ursprünglichen Standort rund fünf Kilometer vor dem beliebten Urlaubsort Sellin rückte die Bundesregierung nach vehementem Widerstand ab.
Das Wirtschaftsministerium will nun aber so schnell wie möglich über den Standort entscheiden, berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Donnerstag. In der Diskussion sind noch der Hafen von Mukran und ein Standort weiter draußen auf der Ostsee.
Das Projekt ist ehrgeizig und größer dimensioniert als alle bisherigen LNG-Terminals in Deutschland. Wenn es einmal errichtet sein sollte, könnten mit ihm rund 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr importiert werden. Zum Vergleich: Das im Dezember in Betrieb genommene LNG-Terminal in Wilhelmshaven hat eine Kapazität von bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter.
Kritiker werfen der Bundesregierung vor, mit den zahlreichen LNG-Terminals massive Überkapazitäten aufzubauen. Das Bundeswirtschaftsministerium möchte mit ihnen aber auch die notwendige Infrastruktur aufbauen, um mittel- und osteuropäische Staaten mit Erdgas versorgen zu können, wenn sie nicht mehr über Leitungen aus Russland beliefert werden sollten.
Der Frage der vermeintlichen Überkapazitäten ist bis heute nicht abschließend geklärt. Im Dezember hatte sie das in Köln ansässige New-Climate-Institute aufgeworfen. Wenn in vier Jahren alle elf geplanten Anlagen in Betrieb seien, hieß es in einer Studie, dann könnte die anderthalbfache Menge des Erdgases importiert werden, die vor dem Krieg in der Ukraine pro Jahr aus Russland geliefert worden sei.
Nun greifen mehrere Umweltorganisationen erneut die LNG-Pläne der Bundesregierung an. Green Legal Impact (GLI), Client Earth und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) legten am Donnerstag ein Rechtsgutachten vor, das daran zweifelt, dass das sogenannte LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Behörden und Gerichte würden durch das Gesetz gedrängt, die LNG-Projekte möglichst problemlos durchzuwinken.
Dabei sei der veranschlagte Bedarf "unvollständig bzw. unzutreffend ermittelt worden", erklärte Marie Bohlmann, GLI-Rechtsexpertin. Auch die "verfassungsrechtlich gebotene umfassende und nachvollziehbare Abwägung mit Klimaschutzbelangen" sei nicht vorgenommen worden.
"Es ist zu befürchten, dass der Klimaschutz bei Entscheidungen von Behörden und Gerichten gerade aufgrund des LNGG zu kurz kommt und dadurch Überkapazitäten aufgebaut werden", so Bohlmann. Damit würden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ignoriert, nach denen Freiheitsrechte künftiger Generationen beachtet werden müssen.
Ähnlich argumentierte auch Paula Ciré, Umweltjuristin bei Client Earth. "Mit dem LNGG verstößt der deutsche Gesetzgeber gegen seine verfassungsrechtlichen Pflichten, die Klimakrise zum Schutz von Leben und Gesundheit effektiv zu bekämpfen", sagte sie. Mit diesem Gesetz mache der deutsche Staat auch seine internationalen Klimaschutzbestrebungen zunichte.
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