Rede zum Israel-Gaza-Krieg: Wird Habeck zum Kanzler hochgeschrieben?
Die Video-Ansprache des Wirtschaftsministers zieht breite Kreise. In Deutschland bringt sie ihm medial und parteiübergreifend Lob ein. Doch es gibt auch kritische Stimmen.
Seit einer Video-Ansprache, die Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch veröffentlicht hat, wird er in Teilen der deutschen Medienlandschaft als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt. Seine Aussagen zum Israel-Gaza-Krieg sowie zu antisemitischen Ausfällen in Deutschland werden sogar von Teilen der Politik- und Medienlandschaft gelobt, die sonst kaum ein gutes Haar an den Grünen lassen.
Sowohl Habecks Parteifreundin Annalena Baerbock als deutsche Außenministerin als auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) müssen dagegen Kritik einstecken, weil sie derart "deutliche Worte" vermissen ließen.
Habeck hat das Video nach eigenen Worten als Beitrag aufgenommen, um die öffentliche Debatte, die seit dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf größtenteils unbewaffnete Israelis aller Altersgruppen am 7. Oktober "aufgeheizt, mitunter verworren" sei, "zu entwirren". Vieles werde dabei vermischt, betonte Habeck zu Beginn der knapp zehnminütigen Rede.
Auf die zivilen Opfer der israelischen Gegenangriffe im Gazastreifen kam er erst in der zweiten Hälfte des Videos zu sprechen, das auch mit Untertiteln in Englisch, Hebräisch und Arabisch verfügbar ist.
"Der Satz 'Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson' war nie eine Leerformel und er darf auch keine werden", erklärte Habeck unter anderem uns versicherte nicht nur Jüdinnen und Juden in Deutschland seine Solidarität, sondern kündigte auch harte Konsequenzen für Straftaten wie das Verbrennen von Israelfahnen an – inklusive Ungleichbehandlung von Delinquenten mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft.
Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte. Die Gründung Israels war danach, nach dem Holocaust, das Schutzversprechen an die Jüdinnen und Juden – und Deutschland ist verpflichtet, zu helfen, dass dieses Versprechen erfüllt werden kann. Das ist ein historisches Fundament dieser Republik.(…)
Das Verbrennen von israelischen Fahnen ist eine Straftat, das Preisen des Terrors der Hamas auch. Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden.
Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
"Deutliche Worte, wie man sie vielleicht auch von der Innenministerin oder vom Bundeskanzler oder von der Außenministerin erwartet hätte", meint etwa der CDU-Außenpolitiker und Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Baerbock dagegen relativiere und versuche, die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung über die UN-Resolution für eine Waffenruhe im Israel-Gaza-Krieg zu rechtfertigen, kritisierte Laschet.
Nach Meinung des israelischen Botschafters in Deutschland, Ron Prosor, hätte die Bundesrepublik dagegen stimmen müssen. Laschet hatte sich dem angeschlossen. Habeck kritisierte die Enthaltung in der nun hochgelobten Rede aber zumindest nicht direkt.
"Das ist eigentlich Aufgabe eines Regierungschefs"
"Es ist schon bezeichnend, dass sich der Wirtschaftsminister derart deutlich zu Israel äußert. Eigentlich wäre das Aufgabe von Außenministerin Annalena Baerbock", hieß es auch in einem Kommentar des ZDF. Dessen Hauptstadt-Redakteur Dominik Rzepka meint darin einen Comeback-Versuch Habecks zu erkennen, der nach der Debatte um das Heizungsgesetz als angeschlagen galt.
"Das ist eigentlich die Aufgabe eines Regierungschefs. Olaf Scholz ist aber niemand, der solche Reden halten kann", so der Kommunikationsexperte Martin Fuchs im Interview mit dem Nachrichtenportal t-online.
Auch Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt war zunächst von Habecks Worten begeistert: "Was Robert Habeck hier sagt, ist an moralischer Klarheit, rhetorischer Brillanz und vor allem tief berührender, aufrichtiger Empathie kaum zu überbieten", schrieb Reichelt auf X, ehemals Twitter. "Es sind die Worte, die von dieser Bundesregierung dringend notwendig waren."
Was der Ex-Bild-Chef Habeck trotz Lob ankreidet
Allerdings stellte der heutige Betreiber des Youtube-Kanals "Achtung, Reichelt", dessen Zielgruppe zu großen Teilen der AfD nahesteht, wenig später klar, dass er sich doch nicht bei denjenigen einreihen will, die Habeck fast schon zum Kanzler der Herzen erklären.
"Ja, das war eine gute Rede. Aber es ist vollkommen absurd, dass die Zwangsgebühren-Medien jetzt von Robert Habeck als Kanzler träumen, nachdem er unsere Wirtschaft zerstört und die verheerende Migrationspolitik jahrelang mitgetragen und befeuert hat", befand Reichelt.
Im Gegensatz zu Teilen der grünen Basis fanden AfD und Unionsparteien mehr Abschiebungen als faktische Zusatzstrafen – nicht nur bei antiisraelischen oder antisemitischen Straftaten – schon längst überfällig. An der Grünen-Basis, wo sich viele als Teil der antirassitischen Bewegung verstehen und für Gleichbehandlung auch bei Fehlverhalten einsetzen, war dies bisher schlechter vermittelbar.
Habeck selbst hatte in seiner Rede erwähnt, dass sich klassische Rechtsextreme in Deutschland mit antisemitischen Äußerungen "gerade aus rein taktischen Gründen zurückhalten, um gegen Muslime hetzen zu können". Die Relativierung des Zweiten Weltkriegs und des Naziregimes als "Fliegenschiss" sei aber ein Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden, so sein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung AfD.
Jüdische Autorin nennt "einzige legitime Lehre aus dem Holocaust"
Dem Politikwissenschaftler Jonathan Hopkin von der London School of Economics fiel aber etwas anderes auf: Er habe die knapp zehnminütige Rede des deutschen Vizekanzlers nun zweimal angehört; und es dauere "buchstäblich sieben Minuten" bis dieser sich zu der Tötung von Zivilisten in Gaza äußere – und selbst dann "kaum mehr als widerwillig", befand Hopkin am Donnerstag auf X.
Nach Angaben der Gesundheitsbehörde im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen wurden dort durch israelische Luft- und Bodenangriffe seit dem 7. Oktober mindestens 9.061 Menschen getötet. Unabhängig überprüfen lässt sich das zwar nicht – die zahlreichen Bilder zerstörter Hochhäuser und ziviler Opfer aller Altersgruppen lassen es aber nicht unplausibel erscheinen.
Die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldman, eine Deutsch-Amerikanerin, sagte am Mittwochabend im ZDF-Talk mit Habeck bei Markus Lanz: "Ich bin der festen Überzeugung, dass es nur eine einzige legitime Lehre aus dem Holocaust gibt, und das ist die absolute, bedingungslose Verteidigung der Menschenrechte für alle. Punkt."
Vor einer Woche hatten in der New Yorker Central Station Hunderte jüdische US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner mit dem Slogan "Jews say Ceasefire now" für einen Waffenstillstand im Israel-Gaza-Krieg demonstriert. Nach Angaben der Organisation Democracy Now kam es dabei zu 400 Festnahmen.