Reden für den Standort Deutschland
Der Bundespräsident gibt den Ton für den Jobgipfel am Donnerstag vor
"Niedrigere Arbeitskosten, ein flexibler Arbeitsmarkt, ein vernünftiges Steuersystem und deutlich weniger Bürokratie: All das wird uns helfen, unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern." Das ist das Credo jedes Kommentars in der FAZ, im Spiegel und im Handelsblatt. Diese Sätze hört man auch bei den Politikern aller führenden Parteien, zumindest wenn sie noch Karriereabsichten haben und nicht wie Oscar Lafontaine enden wollen. Trotzdem reagieren heute fast alle so, als wären diese Sätze lange unterdrückte Wahrheit, die zu sagen Mut kosten würde.
Der Tabubrecher heißt Horst Köhler, ist deutscher Bundespräsident und hat die Sätze dort gesagt, wo er sich mit Recht wie zu Hause fühlt: beim Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin. Die Zuhörer haben denn auch den Redner nicht etwa böse angesehen oder gar als persona non grata behandelt. Sie haben ihm ungewöhnlich lange applaudiert. Schließlich haben sie von ihm gehört, was sie erwartet haben. Die Rede passt ihnen um so besser in ihre politische Agenda, weil sie kürzlich ebenfalls wieder einmal ein Programm gefordert haben, wie es sich Köhler auch wünscht: niedrigere Löhne, Mehrarbeit und Steuererleichterungen für die Reichen.
Ein Ergebnis in dieser Richtung wünschen sich auch die Arbeitgeber beim Spitzentreffen von SPD und CDU/CSU am kommenden Donnerstag, für das Köhler mit seiner Rede den Ton vorgegeben hat.
Ich begrüße, dass sich Regierung und Opposition in dieser Woche zusammensetzen. Aktionismus hilft nicht. Gefragt sind weitere nachhaltige Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit. Ich wünsche mir, dass auch die Grundlinien einer umfassenden Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft besprochen werden. Regierung und Opposition stehen in patriotischer Verantwortung.
Dieser Ton der Volksgemeinschaft, wo jeder an seinem Platz seinen Anteil für das große Ganze leistet, durchzieht Köhlers gesamte Rede.
Vertrauen wir also auf unser Land und arbeiten wir alle an dem großen Reformwerk mit. Wir haben das Zeug dazu, die Ordnung der Freiheit gemeinsam wieder aufzubauen. Wir schaffen es, wenn jeder mitmacht. Ich spüre überall: Die Menschen sind bereit mitzuziehen.
Da wird die Agenda 2010 als mutiger Anfang gelobt, die aber nur eine Übung für das sein soll, was noch kommen muss. Genau davor haben im Spätsommer 2004 die Hartz-IV-Kritiker auf der Straße gewarnt. Die aber erwähnt Köhler mit keinem Wort.
Politischer Streit verpönt
Wer nicht mittun will bei der Sicherung des Standorts Deutschland, gilt folgerichtig schnell als Saboteur des deutschen Wohlergehens. Das sagt Köhler an keiner Stelle, ergibt sich aber folgerichtig aus seiner Rede. Schon die Reaktionen auf Köhlers Rede zeigen das. Überwiegend positive Reaktionen auf die Rede des Bundespräsidenten konstatierte der Deutschlandfunk in seinen stündlichen Nachrichten. Danach wurden kurz diejenigen erwähnt, die die Rede des Bundespräsidenten kritisieren. Dazu zählt neben dem Chef der Jungsozialisten auch der Vorsitzende der IG-Metall Peters und deutlich vorsichtiger auch der DGB-Sommer.
Schließlich hat Köhler in seiner ganzen Rede die Gewerkschaften nur einmal erwähnt, als er sie dafür lobte, dass sie zu Lohnverzicht bereit sind. Auch manche Unternehmer werden in der Rede kritisiert, nämlich diejenigen, die ihre stattlichen Gewinne nicht in Deutschland investieren.
Denen sage ich: Ihr solltet die Stärken dieses Standorts nicht gering schätzen.
Beim Köhlerschen Projekt des Patriotismus müssen eben alle mitmachen. Politischer Streit ist dabei verpönt. Dass es in der Wirtschaftswissenschaft eine durchaus relevante Denkschule gibt, die gerade in auch von Köhler favorisierten neoliberalen Wirtschaftskonzepten keine Lösung der Wirtschafskrise, sondern ein Teil des Problems sehen, wird erst gar nicht erwähnt. Dass eine Senkung der Arbeitszeit und eine Erhöhung der Kaufkraft vielleicht eher die Konjunktur ankurbeln könnten, wie es zumindest die keysianistischen Wirtschaftstheoretiker annehmen, wird überhaupt nicht mehr diskutiert.
Köhler hat solche Denkansätze nicht einmal einer Erwähnung für würdig befunden. Sie werden folglich auch bei dem euphemistisch Jobgipfel genannten Treffen von Bundeskanzler und CDU/CSU-Führung keine Rolle spielten. Schließlich haben nicht nur CDU/CSU, sondern auch die SPD-Führung erklärt, dass sie sich durch Köhlers Rede bestätigt fühlen. Auch für den FDP-Chef war Köhlers Rede "Musik in meinen Ohren". Da kann sich Westerwelle darüber hinwegtrösten, dass die FDP beim Jobgipfel nicht vertreten sein wird. Wozu auch? Schließlich wird ihr neoliberales Credo von allen Gipfelteilnehmern unterschiedlich akzentuiert vorgebracht. Es bleibt dann nur die Frage, in welcher Dosierung die neoliberale Medizin nach dem Jobgipfel verabreicht wird.