Reflexionen über den Planeten aus nichtigem Anlass

Berlin, 29. März. End_of_the_FridaysForFuture_demonstration_Berlin_29-03-2019_10.jpg:Bild: Leonhard Lenz/CC0

Zu den "Fridays for Future"

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Dieser Artikel ist weder ein Beitrag zur Klimadebatte noch Berichterstattung über "Fridays for Future". Aber diese Ereignisse können dazu dienen, sowohl über die Zukunft des Planeten als auch über die Psychologie des politischen Handelns nachzudenken.

Die Modellierung des Klimas gehört zu den schwierigsten Aufgaben der angewandten Naturwissenschaft. Es gibt riesige Datenmengen mit großen Unsicherheiten, eine Vielzahl von physikalischen Effekten und Rückkopplungen sowie mathematische Gleichungen, die zu den kompliziertesten der Physik gehören. Es ist für den Normalbürger, aber auch für den Physiker, ja wahrscheinlich auch für die Experten unmöglich, quantitativ genaue Prognosen zu erstellen, wie sich das Klima in diesem Jahrhundert verändern wird.

Dennoch ist es sinnvoll, Experten zuzuhören, die das Thema einer aufgeklärten Öffentlichkeit mit nicht nur oberflächlichen Argumenten nahebringen können. Dass sich Experten nicht einig sind und die Mehrheit nicht automatisch die Wahrheit gepachtet hat, ist eine wissenschaftshistorische Tatsache. Eine kontroverse Diskussion sollte daher von der Öffentlichkeit als normaler Prozess aufgefasst werden, ohne die beteiligten Wissenschaftler abzuwerten. Man sollte sich lediglich bewusst sein, dass Forschergemeinden sich gelegentlich durch Gruppendenken homogenisieren. Umgekehrt gibt es einen offensichtlichen Anreiz, durch industriefinanzierte Forschung die Folgen des Klimawandels zu verharmlosen. Gute Wissenschaftler diskutieren in jedem Fall sachbezogen.

Neu ist, dass wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten in die tagespolitische Diskussion Eingang gefunden haben, was prinzipiell nicht verwerflich ist, aber die Frage nach den Motiven aufwirft. Da Sachverstand hier bei Politikern selten anzutreffen ist, ist das Ausmaß der "Lagerbildung" doch erstaunlich - durchaus auf beiden Seiten.

Was tun?

Auch wenn inhaltlich noch so große Differenzen bestehen mögen: Bei der Frage nach den Konsequenzen ist es für jeden vernunftbegabten Menschen erstrebenswert, Entwicklungen zu verhindern, die unsere Lebensbedingungen auf dem Planeten schwerwiegend beeinträchtigen. Global und auf lange Sicht muss das Ziel daher eine Umstellung auf regenerative Energiequellen sein. Dass dadurch auch viele Verteilungskonflikte entschärft werden, die die Welt in Atem halten, wäre ein nicht unwesentlicher Nebeneffekt, wenn man die Hintergründe aktueller Kriege beleuchtet.

Umgekehrt gibt es auch keine Evidenz dafür, dass das Weltklima genau heute am Scheideweg zwischen Apokalypse und Nicht-Apokalypse steht. Derartige Emotionalisierung behindert vernünftiges Handeln, das dringend nötig wäre. Wie Michael Gorbatschow einst sagte, hat die Welt globale Probleme, aber keine global handlungsfähigen Entscheidungsgremien. Der Übergang vom fossilen Zeitalter zu regenerativen Energiequellen kann daher politisch nur auf dem mühsamen Weg internationaler Vereinbarungen erfolgen, wobei man vielleicht hoffen kann, dass der technische Fortschritt die Einsicht der Entscheidungsträger unterstützt.

Welchen Beitrag ein einzelner Staat in dieser Übergangsphase zur Besserung der globalen Verhältnisse leisten kann, sollte am besten durch nüchterne Überlegungen von Wahrscheinlichkeiten, Kosten und Effizienz entschieden werden, am besten ohne die moralische Aufladungen durch Kategorien von Gut und Böse.

Die Nationen der Welt ähneln heute einer Gruppe von Bergsteigern, die durch ein Kletterseil miteinander verbunden sind. Entweder steigen sie zusammen weiter bis zum Gipfel, oder sie stürzen zusammen in einen Abgrund.

Michail Gorbatschow

Klug und Unklug statt Gut und Böse

In der öffentlichen Diskussion hat man dagegen manchmal den Eindruck, es gebe die Bösen, die den Klimawandel gut finden und Guten daran hindern, ein Gesetz zu verabschieden, dass die Temperaturerhöhung begrenzt. Leider ist es nicht so einfach, und es besteht weder innerhalb der Gesellschaft noch in der internationalen Staatengemeinschaft Konsens, wie dem Klimawandel zu begegnen ist. Es wäre schon viel erreicht, wenn man sich global auf Lenkungsinstrumente wie Energiesteuern einigen könnte. Oder noch allgemeiner: Wie kann verantwortliches Handeln global implementiert werden? Eine vollkommen ungelöste Frage.

Dass in dieser Hinsicht fast nichts passiert, führt bei vielen zu verständlichen Ohnmachts- und Wutgefühlen, insbesondere, weil es ja durchaus zynische Machtinteressen in der Welt gibt, die sich um den Planeten und sein Klima wenig scheren. Es ist daher vielleicht nachvollziehbar, wenn Menschen in Ermangelung anderer Handlungsmöglichkeiten für ein besseres Klima demonstrieren.

Psychologisch ist es doch aber wenig mehr als eine Übersprungshandlung. Demonstrationen können ein sinnvolles Abwehrinstrument gegen staatliche Übergriffe sein oder im besten Fall marode staatliche Strukturen zum Einsturz bringen - so wie in Leipzig 1989. Für konstruktive, durchdachte Richtungsentscheidungen eignen sich Demonstrationen schlecht. Dazu sind sie zu sehr durch zwei Gegenspieler des Verstandes gefährdet: der Massenpsychologie, die in der Geschichte schon oft absurde Hysterien katalysiert hat (ohne diese im vorliegenden Fall zu unterstellen), und der Fokussierungsillusion auf das Hier und Jetzt, die der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann in seinem Bestseller "Schnelles Denken Langsames Denken" beschrieben hat.

Verbunden werden auch die Schwachen mächtig, der Starke ist am mächtigsten allein.

Friedrich Schiller

Fokussierungsillusion

Durch die evolutionär festgelegte, übermäßige Konzentration auf die Gegenwart verhält sich unser Gehirn nachweislich irrational und unterschätzt andere wichtige Dinge, die dadurch aus dem Blickfeld geraten. Dies kann man durchaus an der aktuellen Debatte beobachten: Ohne Gefahren wie den Meeresspiegelanstieg kleinzureden, drohen der Menschheit durchaus noch andere potentielle Katastrophen wie Meteoriteneinschläge oder Supervulkanausbrüche mit verheerenden Folgen für die Atmosphäre, der Zusammenbruch von Versorgungsnetzen infolge einer Sonneneruption, Bodenerosion und Meeresverschmutzung, globale Virusepidemien, multiresistente Keime, Absterben von Mikroorganismen oder Insekten, die für die Nahrungsproduktion essenziell sind, Machtübernahme durch eine Superintelligenz und nicht zuletzt ein dritter Weltkrieg. Ein nuklearer Winter mit einem Absinken der mittleren Temperatur um 10 bis 20 Grad wäre sicher eine noch ungemütlichere Form von Klimawandel - und leider auch nicht ausgeschlossen.

Die Wahrscheinlichkeiten dafür mögen klein sein, wie der Bestsellerautor Nassim Taleb in seinem Buch "Der schwarze Schwan" jedoch darlegt, tendieren wir jedoch dazu, kleine Wahrscheinlichkeiten zu unterschätzen. Am tückischsten sind dabei die "unbekannten Unbekannten", das heißt solche Gefahren, an die bisher noch niemand gedacht hat.

Zukunft heißt Bildung

Am besten beugt daher die Menschheit ihrem Untergang vor, indem sie der nächsten Generation breite Bildung vermittelt und kreative Talente fördert, welche die unbekannten Probleme der Zukunft einmal angehen können.

Es hat schon eine ironische Komponente, dass ausgerechnet die Abstinenz von Bildung in Form von Schulstreiks zur Rettung des Planeten beitragen soll. Ebenso irrational ist das Installieren einer 16-jährigen als Identifikationsfigur, die als moralischer Imperativ missbraucht wird, diese Rolle aber intellektuell nicht ausfüllen kann.

Überhaupt ist die Verbindung von Demonstration und Schulstreik ohne jegliche sachliche Grundlage. Es ist eine bittere Wahrheit, dass in der Freizeit die Weltretter nicht genug Zulauf bekommen hätten, und das Argument, ohne Streik hätten die Schüler nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, ist ebenso zirkulär wie entlarvend. Denn es zeigt, dass es sich um ein Produkt der Medien handelt, die gerne auf emotionalisierte Skandale aufspringen, während wichtige Sachfragen, die sich nicht für Geschrei eignen, für sie uninteressant sind. Wenn der Hype vorbei ist (wohl spätestens nach den Sommerferien), wird sich die Freude der Beteiligten über die heutige Medienaufmerksamkeit wahrscheinlich ins Gegenteil verkehren.

Medienpolitiker vs. kreative Individuen

Generell muss die Symbiose von skandalverliebten Medien und ungebildeten, aber lauten Menschen, die deren Bedürfnisse bedienen, zu denken geben. So mancher telegene Organisator glaubt vielleicht, sich seine ersten Verdienste als Jungpolitiker erworben zu haben, die er später mit einer Qualifikation als Schul- oder Studienabbrecher weiterentwickelt. Solche Repräsentanten brauchen wir gerade nicht.

Gesegnet sind jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.

Oscar Wilde

Die Geringschätzung von Bildung in einem Land, das immerhin kostenlose Schulen und Hochschulen zur Verfügung stellt, könnte man durchaus mehr thematisieren. Warum sollten Eltern nicht für die Kosten aufkommen, wenn sie eine Gratisleistung des Staates, für die Ausgaben angefallen sind, mutwillig ablehnen? Effektiver ist es aber wahrscheinlich, die Vernunft der Jugendlichen anzusprechen: Wirklich weh tut der Gesellschaft ein Streik von Krankenpflegern, Busfahrern und Müllabfuhr. Die Vorstellung, dass zynische globale Machtpolitiker und Umweltverschmutzer vor der Aussicht erschrecken, der nächsten Generation könne es an Bildung fehlen, ist doch reichlich komisch.

Dennoch plädiere ich für einen in jeder Hinsicht entspannten Umgang mit dem Thema. Die jungen Jahre sind nicht zuletzt auch dazu da, aus nicht folgenschweren kleinen Dummheiten zu lernen - so viel Toleranz sollte man allen, auch der keineswegs beneidenswerten Greta, entgegenbringen. Tröstlich ist zudem, dass besonders begabte und kreative Jugendliche einem Theater der Massen in der Regel ein gesundes Desinteresse entgegenbringen. Vielleicht gibt es ja unter ihnen einen Computerfreak - das halte ich für gar nicht so unwahrscheinlich -, der in zehn Jahren einmal die Klimamodellierung durch die Anwendung von neuronalen Netzen revolutioniert. Vielleicht hatte alles sein Gutes.

An drei Dingen erkennt man den Weisen: schweigen, wenn Narren reden; denken, wenn andere glauben, und handeln, wenn Faule träumen.

Richard von Weizsäcker

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur - Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten" erschien im März 2019 im Westend-Verlag.

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