Regierung in Polen will in Atomkraft einsteigen – und setzt auf Krisenkonzern

Energie und Klima – kompakt: Regierung strebt neue AKW an. Doch deren Sinn wird in ganz Europa hinterfragt. Bereuen dürfte Warschau die Pläne aber aus einem anderen Grund.

Polen steige in die Atomkraft ein, berichtete tagesschau.de am Dienstag. Der ehemalige US-Konzern Westinghouse solle sechs Druckwasserreaktoren bauen, die jeweils eine Leistung von gut 1.000 Megawatt haben und bis 2046 fertiggestellt sein sollen. Als Baubeginn für den ersten Reaktor wird 2026 genannt.

Das Vorhaben war, wie auch Telepolis damals berichtete, bereits im November letzten Jahres angekündigt worden, doch nun wurden erste Vorverträge unterschrieben. Das Timing mag zufällig sein, doch der hiesigen schwindenden Gemeinde der Atomenergiefans dürfte es gerade recht kommen, um einmal mehr das Narrativ zu bedienen, Deutschland stünde mit dem Atomausstieg am Samstag dieser Woche allein da.

Doch das ist falsch. In Dänemark, Österreich, Italien und Litauen gab es seit den 1970er-Jahren Volksabstimmungen, die den Einstieg beziehungsweise Wiedereinstieg in die Nutzung der Atomkraft verhindert haben. Das letzte fand 2016 in Litauen statt.

In der Schweiz gilt derweil der explizite Beschluss, keine AKW mehr zu bauen, während die bestehenden Reaktoren schon über 50 Jahre laufen und daher längst überfällig für eine Stilllegung sind.

Auch in Schweden, Belgien und Spanien gibt es Ausstiegsbeschlüsse. In den Niederlanden, die bisher lediglich drei Prozent ihres Strombedarfs mit Atomkraft aus einem bereits altersschwachen Reaktor decken, bestand ebenfalls ein solcher Entscheid, der nach Angaben des Redaktionsnetzwerks Deutschland jedoch kürzlich gekippt wurde. Zurzeit werde über den Bau zweier neuer Reaktoren nachgedacht, ohne dass es bisher genauere Pläne gebe.

In Südosteuropa gibt es verschiedene, mehr oder weniger konkrete Bauvorhaben. Ungarn baut einen Reaktor mit dem russischen Unternehmen Rosatom, Bulgarien hat den russischen Staatskonzern jedoch vor die Tür gesetzt. Finnland hat im vergangenen Jahr das Gleiche gemacht, wird dafür aber nun eventuell Vertragsstrafe zahlen müssen und hat auf jeden Fall 600 bis 700 Millionen Euro in den Sand gesetzt.

Das Problem ist unter anderem, dass nicht nur das Brennstoffangebot, sondern auch die Zahl der ökonomisch soliden AKW-Bauer inzwischen recht begrenzt ist, insbesondere außerhalb Russlands und Chinas.

Siemens hat seine Atomsparte zum Beispiel längst aufgegeben, nicht ohne sich zuvor heftig mit seinem französischen Partner Areva zu streiten, wer die explodierenden Baukosten im finnischen AKW Olkiluoto (14 Jahre Verzögerung, rund acht Milliarden Euro Mehrkosten) übernehmen soll.

Bauherr Westinghouse hat lange Krisengeschichte

Areva hat im französischen Flamanville noch eine weitere Baustelle mit epischer Bauzeit-Überziehung sowie gigantischer Kostenexplosion. Zwischenzeitlich wurde das Unternehmen in Framatome umbenannt und vom hoch verschuldeten französischen Staatskonzern EDF übernommen, der im britischen Hinkley Point eine weitere AKW-Baustelle mit gleichwertigen Problemen betreibt.

Und in Polen soll nun also Westinghouse neue Meiler errichten. Westinghouse? War da nicht was? Genau. Auch Westinghouse gehört eher zu den Fällen, über denen die Pleitegeier kreisen. Bereits 2006 war der einst führende US-AKW-Bauer vom japanischen Hersteller Toshiba übernommen worden, doch dem brach spätestens nach der mehrfachen Reaktorhavarie im japanischen Fukushima 2011 das Geschäft weg.

Entsprechend musste seine US-Sparte Westinghouse 2016, wie Telepolis seinerzeit berichtete, Konkurs anmelden und den Bau zweier Reaktoren einstellen. Danach hat 2018 der kanadische Vermögensverwalter Brookfield Asset Manager den bankrotten Konzern samt seiner Schulden übernommen und den Bau zweier weitere Reaktoren fortgesetzt.

Daher laufen bisher nur vier Reaktoren des neuen Westinghouse-Typs AP1000, der nun auch in Polen gebaut werden soll, und zwar alle in China. In den USA wird in Georgia demnächst ein neuer Westinghouse-Reaktor nach Jahren von Pleiten, Verzögerungen und Kostenexplosionen in den Regelbetrieb gehen, was – von einer Ausnahme abgesehen – der erste neue US-Reaktor seit 33 Jahren wäre.

Ein weiterer Reaktor soll im nächsten Jahr am gleichen Ort folgen. Die Kosten für die beiden Neuanlagen werden dann von den ursprünglich geplanten 11,5 Milliarden US-Dollar auf über 34 Milliarden US-Dollar gestiegen sein.

Diese jahrelangen Verzögerungen und Kostenexplosionen sind, ob in Frankreich, in Großbritannien, Finnland oder den USA, offensichtlich die Regel, und zwar ohne Ausnahme. Insofern ist es schon erstaunlich, dass die polnische Staatssekretärin im Ministerium für Entwicklung und Technologie Olga Semeniuk den Bau von neuen AKW mit Versorgungssicherheit begründet und tagesschau.de dies ohne kritische Anmerkung zitiert.

"Wir müssen so schnell wie möglich unabhängig werden von Russland", so Semeniuk laut tagesschau.de. Und deshalb Atomkraftwerke mit höchst unsicherer Kostenprognose bauen, die in vielleicht 15 Jahren fertig sind, um teuren Atomstrom zu liefern und um die schwindenden Uranvorkommen zu konkurrieren?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.