Regierungserklärung der Kanzlerin: Vier Jahre ohne Ziel
Die Sozialdemokraten stören das Bild von der heilen Welt, welches die Kanzlerin gern malt, nicht mehr mit kritischen Anmerkungen, sondern applaudieren eifrig
Es ist eine Premiere: Zum ersten Mal gibt die Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung im Sitzen. Schuld daran ist ihr Skiunfall Ende 2013. Doch das ist auch schon fast die einzige Neuerung. Angela Merkel hält eine Rede zur kommenden Regierungspolitik, die sie so auch schon zu Zeiten von Schwarz-Gelb hätte halten können. Die Ideenlosigkeit der Regierung Merkel wird immer deutlicher. Es fehlen die Ziele, auf die die Kanzlerin hinarbeiten möchte.
Wenn Angela Merkel vor einem Jahr im Bundestag erklärte, wie gut es Deutschland und den Deutschen doch gehe – ihr wäre der Spott der SPD sicher gewesen. Die Sozialdemokraten hätten auf Minilöhne, unsichere Arbeitsplätze und die Ausnutzung von Leih- und Werkverträgen hingewiesen.
Heute, und das ist die zweite Neuerung, ist das anders. Angela Merkel behauptet zwar nach wie vor, Deutschland gehe es so gut wie lange nicht, und die Menschen blickten so zuversichtlich in die Zukunft wie seit dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr. Die Sozialdemokraten stören das Bild von der heilen Welt, welches die Kanzlerin gern malt, nicht mehr mit kritischen Anmerkungen, sondern applaudieren eifrig.
Auch inhaltlich kann die Kanzlerin kaum etwas bieten. Stattdessen liefert sie wohlklingende Phrasen, die über die Ziellosigkeit ihrer Politik hinwegtäuschen sollen. Sätze wie "die soziale Marktwirtschaft ist unser Kompass", "die Bundesregierung will die Quellen guten Lebens allen zugänglich machen" und "im Zweifel handeln wir für die Menschen" schaffen zwar eine behagliche Atmosphäre, sagen aber auch über das kommende Regierungshandeln nichts aus.
An den wenigen Stellen, wo Merkel konkreter wird zeigt sich: einen Politikwechsel wird es auch mit dem neuen Koalitionspartner nicht geben – nicht einmal einen sanften. Merkel setzt auf "solide Finanzen" - die Politik der schwäbischen Hausfrau, bei der die Kürzung der Staatsausgaben ein Schwerpunkt des Regierungshandelns ist, wird fortgesetzt. Schon im kommenden Jahr will die Kanzlerin ohne Neuverschuldung auskommen und damit auch den europäischen Krisenländern ein Vorbild sein, die mit steigender Arbeitslosigkeit unter der von Deutschland durchgesetzten Austeritätspolitik leiden. Europa sei auf dem Weg zu Stabilität und Wachstum ein gutes Stück vorangekommen, meint Merkel.
In der Vergangenheit wurden derartige Äußerungen der Kanzlerin noch von Seiten der SPD kritisiert. Immerhin haben die Kürzungen der staatlichen Ausgaben in den Krisenländern die Arbeitslosigkeit erhöht, die Wirtschaft schrumpfen und die Armut wachsen lassen. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) kritisiert die Sparpolitik in den Krisenstaaten und macht sie für die hohe Arbeitslosigkeit mitverantwortlich, doch die SPD genießt lieber den Platz auf der Regierungsbank und lässt Angela Merkel gewähren.
Höhere Steuern, wie noch im Wahlkampf von der SPD gefordert, um die Lücke zwischen Arm und Reich ein Stück weit zu schließen, lehnte die Kanzlerin deutlich ab. Zugleich lobte sie die Agenda 2010, dank deren es so viele Beschäftigte gebe wie nie zuvor. Jedoch solle der Missbrauch der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes eingedämmt werden. Leiharbeit solle deshalb auf 18 Monate begrenzt werden. Leiharbeiter sollten zudem nach 9 Monaten den gleichen Lohn wie Festangestellte erhalten. Zudem sollten Betriebsräte künftig informiert werden, wenn ihr Unternehmen Werkverträge abschließen will.
Gregor Gysi, der Fraktionschef der Linken, kritisierte die Regierungspläne als zu schwach. Leiharbeiter würden von den neuen Regeln nicht profitieren, da sie im Zweifel schon vor der Frist entlassen und ersetzt würden. Zudem reiche eine Information des Betriebsrates über Werkverträge nicht aus, dieser müsse vielmehr mitbestimmen können.
Nachrichtendienste sind in Zeiten der asymmetrischen Bedrohungen bedeutender als sonst
Merkel verteidigte auch die Regelung zum Mindestlohn, auf die sich Union und SPD geeinigt haben. Ab 2015 soll er flächendeckend 8,50 Euro pro Stunde betragen – aber mit deutlichen Einschränkungen. Tarifverträge, die einen niedrigeren Lohn vorsehen, gelten nämlich weiter bis zum Jahr 2017. Erst dann gilt der Mindestlohn uneingeschränkt. Frühestens 2018 darf der allgemeine Mindestlohn dann erhöht werden. Damit steht der Mindestlohn zwar auf dem Papier, seine schnelle und konsequente Einführung hat die Union jedoch verhindert. Auch in ihrer Regierungserklärung wies Merkel noch einmal deutlich darauf hin, dass Unternehmen noch das ganze Jahr 2014 über Zeit haben, mittels eines Tarifvertrages den Mindestlohn zu umgehen.
Im Bereich der Netzpolitik sprach sich Merkel noch einmal eindringlich für einen Ausbau der Datennetze aus. Bis 2018 solle jeder Bundesbürger einen schnellen Zugang zum Internet haben. Zudem wolle sie, dass das "Internet eine Verheißung bleibt", weshalb sie es schützen wolle. Geschützt werden muss es ihrer Meinung nach vor Zerstörung von innen durch kriminellen Missbrauch ebenso wie vor allumfassender Kontrolle von außen. Der bisherige Rahmen für die Balance von Freiheit und Sicherheit reiche nicht aus. Da es dafür noch keinen internationalen Rahmen gebe, betrete man Neuland. Durch die Enthüllungen von Edward Snowden seien dabei auch Fragen zur Datensicherheit aufgekommen.
Doch zugleich lobte Merkel die Arbeit der Nachrichtendienste. Sie sei in Zeiten der asymmetrischen Bedrohungen bedeutender als sonst. Gerade den amerikanischen Partnern verdanke man wertvolle Informationen. Allerdings stelle sich die Frage, ob die Arbeit der amerikanischen Dienste verhältnismäßig sei. Es sei nicht richtig, dass sich engste Partner der Bundesrepublik Zugang zu allen nur erdenklichen Daten verschaffen. Merkel, deren Mobiltelefon ebenfalls von der NSA abgehört wurde, nannte die Vorteile, die die USA dadurch in internationalen Verhandlungen hätten zugleich vernachlässigbar.
Konsequenzen müssen die USA aus der Spähaffäre von Merkel nicht befürchten. Einen Abbruch der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA schloss sie kategorisch aus. Trotzhaltung hätte noch nie zum Erfolg geführt, so die Kanzlerin.
Wie sie ihr Ziel erreichen will, die Spionagepraxis einzudämmen, verriet Merkel jedoch nicht. Auch sprach sie die Frage, ob aus ihrer Kritik gegen die "digitale Rundumerfassung" der Bürger auch Konsequenzen für die Vorratsdatenspeicherung zu ziehen seien konsequent aus.
Aber auch das ist Teil der Politik der Kanzlerin: Probleme in Wohlfühlfloskeln zu verpacken, so dass dem Wähler nicht auffällt, dass ein schlüssiger Lösungsweg fehlt.