Reichtum schützt vor Hunger nicht: Die Schande der Industrieländer

Obdachloser in London. Die Armut nimmt im UK zu. Bild: ako photography, Shutterstock.com

Lebensmittel sind im Überfluss vorhanden. Doch Millionen können sich kein gesundes Essen leisten. Ist das staatliches oder gesellschaftliches Versagen?

Hunger gilt als Problem von Entwicklungs- und Schwellenländern. Hunger, Mangelernährung und Nahrungsmittelunsicherheit im eigenen Land kommen in den politischen Debatten und den Medien der sogenannten Industrieländer bestenfalls sporadisch vor.

Armut und Hunger: Globales Problem oder Staatsversagen?

Dabei stehen auch die reichen Länder von jeher vor der Aufgabe, sicherzustellen, dass sich die Menschen, die in ihnen leben, mit ausreichender, angemessener und auch gesunder Nahrung versorgen können. Das ist Menschenrecht. Deshalb gelten die hierzulande üblichen "Tafeln" auch ganz zu Recht als Staatsversagen.

Hunger, Mangelernährung und Nahrungsmittelunsicherheit treffen Menschen in praktisch allen wohlhabenden Ländern. Und es gibt erstaunlich viele Betroffene. Eine Untersuchung von 2019 beziffert den Anteil der Betroffenen auf 8 bis 20 Prozent aller Einwohner.

Lebensmittelspenden: Zeichen der Solidarität oder der Krise?

60 Millionen Menschen in entwickelten Ländern seien schon 2013 von Lebensmittelspenden (food banks) abhängig gewesen. 2022 lebten laut Welternährungsorganisation 16,5 Millionen Menschen, deren Ernährungssicherheit ernsthaft gefährdet ist, in den Industrieländern. Das ist ein Anstieg um 1,5 Millionen seit 2015.

Die Betroffenen bekommen zwar etwas zu essen, dennoch wird ihr Menschenrecht auf Nahrung verletzt, weil sie nicht in der Lage sind, sich aus eigenen Kräften zu versorgen. Dass dies keine juristischen Spielereien sind, zeigt sich immer dann, wenn die Versorgung knapp wird. Brav wurde kolportiert, dass die Tafeln in Deutschland auch Menschen abweisen (müssen). Doch darüber, was diejenigen tun, die leer ausgehen, wird nicht berichtet.

Human Rights Watch warnt denn auch zu Recht, dass wir uns wir niemals an den Gedanken gewöhnen sollten, dass übrig gebliebene Lebensmittel für abgehängte Menschen bestimmt sind

Ernährungssicherheit als globale Herausforderung verstehen

Covid-19, Inflation, Kriege und Klimawandel und politische Versäumnisse sorgen dafür, dass der Nahrungsmittelmangel in wohlhabenden Ländern stetig an Schärfe zunimmt. Selbst das erzkonservative Wall Street Journal, das seine Zielgruppe programmatisch schon im Produktnamen anspricht, stellt fest: "Lebensmittelpreise belasten die Ärmsten in den reichen Ländern".

Die versteckte Armut in wohlhabenden Ländern zeigen

Die unzureichende Versorgung mit Lebensmittel im vermögenden Norden wird meist mit dem Gesundheitsbereich, genauer gesagt mit öffentlicher Gesundheit (public health) verknüpft. Das mag sachlich zunächst richtig erscheinen, verstärkt aber die Vorstellung, dass das Problem bei ausreichender Alimentierung verschwindet.

So macht es etwa The Hill. Demnach gaben 2022 volle 25 Millionen Haushalte in den USA an, dass sie manchmal oder oft nicht genug zu essen haben. In zwölf Millionen Haushalten lebten Kinder unter 18 Jahren. Übrigens: 2022 betrug die durchschnittliche Haushaltsgröße in den USA 2,5 Menschen.

Schulspeisung statt Lohnerhöhungen?

The Hill fordert denn auch, dass der Gesetzgeber ein starkes Sicherheitsnetz aufbauen solle, das die Bedürfnisse aller Menschen durch verbesserte (staatliche) Lebensmittelprogramme und Instrumente wie eine allgemeine Schulspeisung erfüllt. Auf die Idee, dass auch Lohnerhöhungen die Lage verbessern könnten, kommt man nicht.

Umgekehrt wird allerdings ein Schuh daraus. So schreibt etwa der Stern über die Situation in Großbritannien: "Die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt kann ihre Kinder nicht vernünftig ernähren. (…) Das belastet das marode Gesundheitssystem."

Öffentliche Gesundheit und Hunger: Eine unterschätzte Verbindung

Das Magazin zitiert eine Untersuchung der Food Foundation, wonach 15 Prozent aller Haushalte in Großbritannien – mit acht Millionen Erwachsenen und drei Millionen Kindern – manchmal oder oft auf Mahlzeiten verzichten und sich zudem deutlich ungesünder ernähren.

In Frankreich gaben Ende 2023 sogar 37 Prozent der Befragten an, dass sie nicht genug zu essen haben. Noch vor acht Jahren hatten dies nur 11 Prozent von sich behauptet. Außerdem leben 26 Prozent der Franzosen in einer Situation, die als Ernährungsunsicherheit angesehen werden muss. Immerhin 20 Prozent bestätigen, dass sie sich schon mindestens einmal nicht satt essen konnten.

Ernährungsarmut im Fokus: Wie ernst ist die Lage wirklich?

In Deutschland trifft es am ehesten Geflüchtete, Haushalte mit geringem Einkommen und Menschen, die staatliche Leistungen wie Bürgergeld beziehen. Aber auch Rentnerinnen und Rentner sowie Alleinerziehende und natürlich Wohnungs- und Obdachlose kennen Ernährungsarmut und Hunger.

Doch anders als in den angelsächsischen Ländern gibt es in Deutschland keine standardisierte Berichterstattung, beanstandet der Kritische Agrarbericht 2023. Daher wisse man nicht, wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich von Ernährungsarmut betroffen sind. Entsprechende Zahlen "3,5 Prozent der Bevölkerung" sind also mit Vorsicht zu genießen, auch wenn sie von Fachleuten kommen. Immerhin galten 2022 schon 17,3 Millionen Deutsche als armutsbetroffen. Tendenz weiter steigend.

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