Reprogrammierte Totipotenz könnte Erzeugen von genetischen Klonen ermöglichen
Eine einfache Manipulation scheint auszureichen, um totipotente Stammzellen mit weitgehend unbegrenzter Entwicklungsfähigkeit zu erzeugen
Vier genetische Faktoren verwandeln gewöhnliche Körperzellen in pluripotente Stammzellen. Forschern gelang nun in Mäusen der nächste Schritt: Das Ausschalten eines einzelnen Faktors erzeugt Stammzellen, die einer befruchteten Eizelle ähneln. Sollte dies auch beim Menschen möglich sein, stände das Tor für die Erzeugung von genetischen Klonen weit offen.
Einfach ist oftmals besser - das gilt auch in der Wissenschaft. Wenn Methoden so kompliziert und zeitraubend sind, dass nur wenige Spezialisten sie beherrschen, kommt die Forschung nur schleppend voran. Werden die Methoden vereinfacht, kann die Entwicklung regelrecht explodieren, wie jüngst die Genschere CRISPR und davor die iPS-Zellen demonstriert haben. Nun gelang Forschern womöglich ein weiterer Durchbruch: Eine einfache Manipulation scheint den Zugriff auf totipotente Zellen zu ermöglichen - und damit auf das unbeschränkte Entwicklungspotenzial der befruchteten Eizelle.
Eizellen weisen eine Fähigkeit auf, die selbst embryonale Stammzellen verloren haben. Letztere sind zwar pluripotent und verwandeln sich in fast alle menschlichen Gewebe, jedoch nicht in die Plazenta: Damit fehlt den embryonalen Zellen die Möglichkeit, sich eigenständig im Mutterleib zu einem vollständigen Menschen zu entwickeln.
Einfache und effiziente Reprogrammierung
Totipotente Stammzellen können seit den 1990er Jahren im Labor erzeugt werden - das Klonschaf Dolly war der sichtbare Beweis. Erzeugt wurde es über einen somatischen Kerntransfer, bei dem der Kern einer gewöhnlichen Zelle in eine Eizelle transferiert wird. Dolly weckte die Befürchtung, dass die Klonierung des Menschen nur eine Frage der Zeit sei - und offenkundig wurde dies auch ernsthaft versucht. Doch alle Anläufe sind bislang gescheitert, vermutlich an den hohen technischen Hürden, die weltweit nur wenige Experten meistern können.
Diese Hürden könnten bald fallen. Forscher um Lin He aus dem kalifornischen Berkeley haben im Journal Science Methode vorgestellt , welche die Reprogrammierung zur Totipotenz radikal vereinfacht. Anscheinend genügt es, einen einzelnen Faktor im Erbgut auszuschalten: Ein regulatorisches RNA-Molekül namens miRNA34a, das die Aktivität von diversen Genen beeinflusst. Die Abwesenheit dieses Faktors löst eine Kaskade von Signalprozessen aus, die letztlich das Potenzial der Zellen erweitert: Pluripotente Stammzellen von Mäusen können dann auch Gewebezellen der Plazenta hervorbringen. Die Methode ist nicht nur einfach, sondern auch von bislang unerreichter Effizienz - immerhin 20 Prozent der behandelten Stammzellen wurden erfolgreich reprogrammiert.
Der endgültige Nachweis der Totipotenz - die Entwicklung eines lebensfähigen Tieres aus einer einzelnen Zelle - steht allerdings noch aus. Die Forscher begnügten sich damit, reprogrammierte Zellen in normale Embryonen zu injizieren und dort deren Entwicklung zu verfolgen. Dementsprechend zurückhaltend bleibt auch die Wortwahl der Forscher: Sie vermeiden den Begriff Totipotenz und sprechen lieber von "totipotent-ähnlichen" Zellen.
Viele offene Fragen
Noch sind diese Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten, unabhängige Forscher müssen sie erst noch bestätigen. Und selbst dann werden viele Fragen offen bleiben: Ist ein Tier, das sich aus reprogrammierten Zellen entwickelt, gesund und lebensfähig? Lässt sich der Faktor miRNA34a ausschalten, ohne gleich das ganze Erbgut zu verändern? Und letztlich die zentrale Frage: Ist dies auch beim Menschen möglich?
Eine Klärung dieser Fragen wird vor allem die Grundlagenforschung voranbringen. Ob auch die Medizin profitiert, ist weniger klar: Bereits heute können pluripotente Stammzellen alle therapeutisch relevanten Gewebe erzeugen, die zusätzliche Option der Plazenta scheint da wenig Mehrwert bieten.
Neue Instrumente und Möglichkeiten
Und was sicher nicht die Absicht der Forscher war - die Klonierung des Menschen könnte bald wieder auf der Tagesordnung landen. Schon das Klonschaf Dolly hat bei gewissen Gruppierungen großen Enthusiasmus ausgelöst: Im Jahr 2002 behauptete etwa der italienische Arzt Severino Antinori, dass in seiner Fortpflanzungsklinik bald drei Klonbabys zur Welt kämen. Fast gleichzeitig kündigte auch die Rael-Sekte die Geburt eines menschlichen Klons an, sie hatte zu diesem Zweck sogar eine eigene Firma namens Clonaid gegründet (deren Homepage noch bis mindestens 2009 aktualisiert wurde). Bewahrheitet haben sich diese Ankündigungen aber offenkundig nicht.
Sollte demnächst ein neuer Anlauf gestartet werden, ständen wesentlich ausgefeiltere Instrumente zur Verfügung: So bieten iPS-Zellen die Möglichkeit, pluripotente Stammzellen aus kleinsten Gewebeproben zu erzeugen. Und mit der Genschere CRISPR kann das Erbgut der iPS-Zellen fast nach Belieben manipuliert werden. Wird dann auch noch die Erzeugung von totipotenten Zellen zur Routine, sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Man darf gespannt sein, ob dubiose Ärzte, obskure Sekten und andere Geistesverwandte dieser Versuchung widerstehen könnten.