Riskante Restlaufzeiten

Das Golfstromsystem schwächt sich ab. Abbildung: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)/ pik-potsdam.de

Die Energie- und Klimawochenschau: Neues von Golfstrom, Korallenriffen und Seeschifffahrt sowie die Altlast Atomkraft

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Bereits vor zwei Wochen meldete das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dass stärkere Belege für eine Abschwächung des Golfstroms gefunden wurden. "Wir haben ein spezielles Muster entdeckt - eine Abkühlung des Ozeans südlich von Grönland und eine ungewöhnliche Erwärmung vor der US-Küste", sagt die Leit-Autorin Levke Caesar. "Dieses Muster ist sehr charakteristisch für eine Verlangsamung der Umwälzung der Wassermassen im Atlantik."

Die Temperaturdaten deuten darauf hin, dass sich das Golfstromsystem seit Mitte des 20.Jahrhunderts um 15 Prozent verlangsamt hat. Seit Jahren vermuten Wissenschaftler, dass sich das Golfstromsystem durch steigende Wassertemperaturen sowie durch schmelzende Gletscher in Grönland verlangsamen würde. Das Golfstromsystem - eigentlich bezeichnet der Name Golfstrom nur einen Teil des nordatlantischen Strömungssystems - wird durch unterschiedliche Dichte des Meerwassers angetrieben.

Von der Küste Floridas transportiert der Strom warmes und salzhaltiges Wasser Richtung Nordeuropa. Auf dem Weg nach Norden kühlt das Wasser ab, wodurch die Dichte zunimmt. Wird das Oberflächenwasser immer schwerer - was auch dadurch geschieht, dass es teilweise gefriert und die Salzkonzentration zunimmt, sinkt es in die Tiefe ab und fließt zurück nach Süden. So entsteht eine Umwälzbewegung im Atlantik, die das Klima maßgeblich beeinflusst und gleichzeitig dafür sorgt, dass der Ozean mehr CO2 aufnehmen kann. Neben einer allgemeinen Erwärmung beeinflusst das schmelzende Süßwasser von Grönlands Gletschern die Strömung. Sinkt auf diese Weise der Salzgehalt im Nordmeer, ist die Dichte an der Oberfläche geringer und die Umwälzung wird gestört.

Da es keine langfristigen Strömungsmessungen gibt, ließ sich bislang wenig über eine tatsächliche Abschwächung des Strömungssystems sagen. Das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) und das Konsortium Deutsche Meeresforschung (KDM) berichteten im Sommer 2017 noch von einer enormen Schwankungsbreite der Messdaten.

Die Forscher des PIK stützen sich nun auf Temperaturdaten der Meeresoberfläche vom späten 19. Jahrhundert bis heute. Und diese stimmten wiederum mit den Computersimulationen des PIK überein. "Das spezifische Trendmuster, das wir in den Messungen gefunden haben, sieht genauso aus, wie es von Computersimulationen als Folge einer Verlangsamung des Golfstromsystems vorhergesagt wird, und ich sehe keine andere plausible Erklärung dafür", sagt Stefan Rahmstorf, der die Studie des PIK konzipiert hat.

Bild: Caesar/PIK

Eine weitere, in Nature publizierte Studie bestätige die Ergebnisse. Eine Prognose für die Zukunft des Golfstromsystems geben die Wissenschaftler nicht ab. Einige mögliche Auswirkungen einer schwächeren Zirkulation könnten aber sein, dass der Meeresspiegel im Nordatlantik stärker steigt als im Südatlantik. Außerdem könnte sich Hurrikan-Muster verändern sowie der Niederschlag in der Sahelzone oder die Indische Sommermonsun, so die Veröffentlichung von DKK und KDM.

Korallen begrenzt anpassungsfähig

Bleiben wir noch kurz beim Meer: Im Jahr 2016 kam es im Great Barrier Reef vor der Küste Australiens zu einer massiven Korallenbleiche aufgrund von hohen Meerestemperaturen. Besonders der nördliche Teil des Riffs war betroffen. Bei einer erneuten Hitzewelle im Jahr 2017 wurde dann vor allem der mittlere Teil des Riffs geschädigt.

In einer nun in Nature veröffentlichten Studie ziehen Wissenschaftler um Terry Hughes, Direktor des ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies, Bilanz über die Verluste. 29 Prozent der 3,863 Riffe, aus denen sich das Great Barrier Reef zusammensetzt, hätten zwei Drittel oder mehr ihrer Korallen verloren, so dass sie in ihrer ökologischen Funktion nachhaltig beeinflusst seien. Die Zusammensetzung der Arten hätte sich durch das Korallensterben geändert, vor allem die robusteren seien geblieben. Diese gelte es nun durch eine schnelle Reduzierung von CO2-Emissionen zu schützen. Hunderte Millionen Menschen profitieren von Korallenriffen, die für Küstenschutz, Fischerei und Tourismus von wichtiger Bedeutung sind.

In einer weiteren Studie zum Great Barrier Reef, die in PLOS Genetics veröffentlicht wurde, kommen Wissenschaftler der Universität Texas zu dem Schluss, dass die Korallen des Great Barrier Reef noch hundert Jahre überleben können. Die Korallen hätten hierzu genug genetische Variationsbreite und Anpassungsfähigkeit.

"Das bedeutet immer noch, dass diese Korallen aussterben, wenn wir nichts unternehmen", sagt der Studienleiter Mikhail Matz von der University of Texas. "Aber es bedeutet, dass wir noch eine Chance haben, sie zu retten. Es erkauft uns Zeit, etwas gegen die globale Erwärmung zu tun, die das Hauptproblem darstellt."

Wenn auch noch lange nicht ausreichend, so gibt es endlich eine Verpflichtung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) die Emissionen der Schifffahrt zu begrenzen. Nach einer harten Verhandlungswoche haben sich die Mitgliedsstaaten der IMO am 12. April geeinigt, die Emissionen aus dem Seeverkehr bis 2050 im Vergleich zum Jahr 2008 zu halbieren. Eine genaue Strategie soll bis zum Jahr 2023 vorgelegt werden. Daher ist nach wie vor unklar, wie das Ziel erreicht werden soll, momentan sind in erster Linie Effizienzsteigerungen im Gespräch. Momentan ist die internationale Seeschifffahrt für mehr als 2 Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen verantwortlich, mit steigender Tendenz.

Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will halbieren - und zwar die Kohleverstromung in Deutschland bis 2030. Das sagte der Minister laut dem Internetportal Klimaretter bei der Internationalen Energiewendekonferenz in Berlin. Wenn von Halbierung die Rede ist, ist natürlich immer das Basisjahr interessant. Die zweite Frage wäre, wie lange die verbleibende Hälfte der Kohlekraftwerke nach Altmaiers Vorstellung noch nach 2030 am Netz bleiben dürfte.

Atomausstieg mit Fragezeichen

Einen Grund dafür, nicht schneller aus der Kohle aussteigen zu wollen, sieht Altmaier in der Doppelbelastung von Atom- und Kohleausstieg. Über den Atomausstieg glauben die meisten Menschen ja, dass er in trockenen Tüchern ist und schrittweise bis zum Jahr 2022 vollzogen wird. Dabei gibt es jedoch gewisse Unwägbarkeiten. Ende 2016 hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Regelungen zum Atomausstieg bemängelt und den Gesetzgeber zu einer Novelle des Atomgesetzes bis Sommer 2018 aufgefordert. Demnach hätte die Bundesregierung drei Möglichkeiten:

  1. eine Entschädigung der Kraftwerksbetreiber verbunden mit einer Stilllegung der entsprechenden Strommenge,
  2. eine Laufzeitverlängerung für einzelne AKW oder
  3. eine gesetzlichen Regelung zur Strommengenübertragung.

Nach Einschätzung des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) würden Entschädigungen gering ausfallen, da mit den AKW derzeit kaum Gewinne erzielt werden. Im Bundeswirtschaftsministerium werden aber scheinbar alle drei Varianten erwogen.

"Die Gefahr der Laufzeitverlängerung für einzelne AKW über 2022 hinaus ist real", meint auch der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Der BUND will aufgrund von akuten Sicherheitsbedenken das genaue Gegenteil erreichen, nämlich eine schnellere, besser noch eine sofortige Stilllegung. Dies ist das Fazit aus der Studie "Atomkraft 2018 - sicher, sauber, alles im Griff?" der Atomsicherheitsexpertin Oda Becker.

"Ein schwerer Unfall ist in jedem AKW möglich und Katastrophenschutzpläne sind nicht umgesetzt", fasst Becker die Risikosituation zusammen. "Aus Fukushima hat man gelernt, dass es wichtiger ist, auf das mögliche Schadensausmaß zu fokussieren als auf die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls." Das heißt, auch unwahrscheinliche, aber katastrophale Ereignisse müssen bedacht werden.

Genau dies ist bei den noch laufenden AKW in Deutschland nicht der Fall. Stattdessen erfolgten viele Nachrüstungen und Neubewertungen nicht, da sie aufgrund der Restlaufzeiten von wenigen Jahren als unwirtschaftlich betrachtet werden. Das betrifft etwa die Erdbebensicherheit oder den Schutz der Reaktoren vor Flugzeugabstürzen. Auch umfangreiche regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen fänden aufgrund der Restlaufzeitenregelung nicht mehr statt. Mängel würden manchmal rein zufällig entdeckt und deuteten, selbst wenn sie kein akutes Sicherheitsrisiko darstellten, darauf hin, dass bisherige Prognosen bezüglich der Alterungsprozesse in den Kraftwerken falsch seien.

Einige Mängel gingen auch auf scheinbar inkompetentes Personal zurück, wie im Fall des Einbaus 61 falscher Dichtungen in einem Kraftwerk.

Solange die AKW betrieben würden, müssten die Bundesländer den Katastrophenschutz ausweiten, was letztendlich wieder Steuergelder kosten würde, Kosten die sich nur durch eine vorzeitige Stilllegung der AKW sparen ließen. Für Schwangere und Kinder würden aber auch die neuen Katastrophenschutzpläne nicht ausreichen, nach denen bei einem Unfall ein Umkreis von 5 Kilometern evakuiert werden muss. Je nach Wind- und Wetterlage könnten sie noch immer schädliche Strahlendosen abbekommen.

Wenn Regierung und Kraftwerksbetreiber nicht genug tun, um die Bevölkerung vor Gefahren zu schützen, hilft nur noch öffentlicher Druck, meint Hubert Weiger. In Belgien wird dieser Druck gerade per massenhafter Strafanzeige ausgeübt. In den Polizeistationen von Eupen, Tongeren und Namur erstatteten am Wochenende Hunderte von Betroffenen Anzeige gegen die Betreiber des Reaktors Tihange 2 und den belgischen Staat wegen unterlassener Hilfeleistung mit den Worten: "Ich habe hiermit die Ehre, eine Beschwerde gegen die o.g. Personen zu erstatten, die wegen unterlassener Hilfeleistung für Personen in Gefahr (Artikel '422bis', '422quater' des belgischen Strafgesetzbuches), wegen der generell mangelnden Anwendung des Vorsorgeprinzips sowie wegen fehlender Maßnahmen, um die Bevölkerung zu schützen, die Sicherheit von Personen verletzen."