Rolls Royce ohne Räder

Ingo Günthers Refugee Republic

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Refugee Republic - die Republik der Flüchtlinge - lautet der vielversprechende Name einer Website in Österreich. Doch Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen tun besser daran, nicht darauf zuzugreifen.

Die Refugee Republic beansprucht experimentellen Vorreitercharakter für die ganze Welt. Es handelt sich um eine Website, die der deutsche Wahl-US-Bürger Ingo Günther ins Internet gelegt hat. Refugee Republic. Was Günther vorschwebt, ist eine Struktur, die die weltweit immer zahlreicher werdenden Flüchtlinge miteinander verbindet.

InteR/R(efugee)net soll ein Netz heißen, das die Kommunikation zwischen Flüchlingslagern - deren Insassen heutzutage meist nicht einmal Post empfangen können- ermöglichen soll. Zunächst auf englisch, später, wenn automatische Übersetzungssoftware entwickelt sein wird, in mehreren Sprachen. Die Idee klingt gut, wenn auch nicht unbedingt praktikabel - die große Masse der Flüchtlinge kommt aus Armutsregionen, viele sind Analphabeten und würden mit einem Computerterminal nicht viel anzufangen wissen. Dennoch besticht der Gedanke, das Internet in den Dienst derjenigen Menschen zu stellen, die durch Flucht und Exil voneinander abgeschnitten sind. Die tamilische Diaspora beispielsweise tauscht bereits jetzt übers Internet vom Kochrezept bis zu Argumenten über die Zukunft Sri Lankas alles aus. URL1 und URL2

Auch eine Art Dienstleistungs- und Informations-Website für Flüchtlinge und FlüchtlingsberaterInnen, die in allen möglichen Sprachen erklärt, welche Schritte notwendig sind, um den UNO-Flüchtlingspaß zu bekommen, oder in welchem Land die Bedingungen für politisches Asyl gerade am günstigsten sind, könnte von großem Nutzen sein.
Doch mit solch einfachen Hilfen für die Praxis, die dringend benötigt werden, hat Ingo Günthers Refugee Republic leider nichts zu tun. Günther hat gedanklich zum ganz großen Sprung angesetzt - gelandet ist er im Pfuhl der Geschmacklosigkeiten. Seine Website bietet zwar einen "passport" an, doch es handelt sich dabei nur um einen symbolisches Spielzeugdokument, das ein dem Rolls Royce-Logo nachempfundenes Doppel-R ziert. Warum bloß ausgerechnet Rolls Royce? "Das hat damit zu tun, daß ich Rolls Royce gerne als Investor für die Refugee Republic hätte", erklärt Günther im Interview.

Außerdem muß man sehen, daß Flüchtlinge eine Art Rolls Royce ohne Räder sind, die als trans-globales Netz verstanden und mit einer eigenen Staatsform ausgestattet, die besten Kandidaten sind, eine sozio-ökonomische und politisch-ideologische Avantgarde fürs nächste Jahrtausend zu werden.

Ingo Guenther

Damit wären wir bereits mitten im Güntherschen Irrsinn. Die Refugee Republic ist ein als Aktiengesellschaft organisierter Staat, in den Privatfirmen investieren sollen. "RR geht davon aus, daß Flüchtlinge im Wesentlichen unverwertetes Kapital sind, und daß ihr unfreiwilliges Schicksal einer internationalen Avantgarde in produktive Vermögenswerte umgewandelt werden kann". Einen Investor, den US-Konzern NTT, will Ingo Günther bereits gefunden haben. Den Glauben in diese "Rentabilität" von Flüchtlingen begründet er mit der Einschätzung, daß "die historischen Flüchtlingsrepubliken der modernen Geschichte, USA voran, zeigen, daß ein ständiger Zufluß Fremder (sic) ein essentieller Teil des Erfolges des reichsten Landes der Welt ist". Kein Wort von den Bedingungen, unter denen diese "Fremden" dort arbeiten mußten und müssen, von der Sklaverei bis zum NAFTA-Freihandelsabkommen, das Billigproduktion zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Mexiko festschreibt. Andererseits will Günther mit seiner Flüchtlingsrepublik aber gerade eine "kontemporäre (zeitgemäße) und praktische Neuinterpretation der Menschenrechte" anregen.

Das Schlimmste ist: Es gibt Anzeichen dafür, daß der Mann es ernst meint. Die Aktiengesellschaft ist bereits gegründet, die entsprechende Aktie im World Wide Web abgebildet. Doch Ingo Günther jongliert virtuos mit Realität und Fiktion. Mal kommt sein Projekt als seriöser Vorschlag für die Praxis daher (wie im Fall des InteR/Rnet), mal - sobald auf Widersprüche hingewiesen wird, - ist es rein experimentelle Kunst.

An anderer Stelle klickt man sich zu einen Globus, auf dem nur die Staatsgrenzen sichtbar sind - nationale Politikstrukturen hält Günther angesichts globaler Wirtschaftsstrukturen für obsolet, an sich kein unsympathischer Gedanke. Die Refugee Republic mit ihrer extrem heterogenen BürgerInnenschaft (für Günther sind es alle Flüchtlinge der Welt, die er auf 50 Millionen beziffert) soll ein erster, experimenteller Schritt zur Überwindung des auf Homogenität und Ausschluß basierenden Nationalstaats sein. So weit, so zeitgemäß. Doch andererseits gibt Günther seiner virtuellen Republik ein eingegrenztes Territorium, das er als fiktive Insel in den Pazifik zeichnet, und den oben erwähnten Paß - zwei Attribute, die den Nationalstaat gerade charakterisieren.

Wie wenig Ahnung Ingo Günther von Flüchtlingen hat, bescheinigt er sich selbst.

Die Grenzen zwischen Jet-Set, internationalen Handelsreisenden, Wirtschaftsflüchtlingen und Migranten, Kulturflüchtlingen etc. sind fließend. Ein temporärer Meltingpot entsteht im Flugzeug, wo die Refugee Republic sich nach den Regeln der Luftfahrtgesellschaften realisiert.

Ingo Guenther

Wieviele Flüchtlinge aus Ruanda, Kaschmir oder Guatemala werden es wohl sein, die ihren Zufluchtsort in der Business-Class eines Flugzeugs erreichen, wo sie mit dem Jet-Set Champagner süffeln und dabei ein wenig Republik spielen dürfen?

Für Ingo Günther sind Flüchtlinge keine realen Personen mit realen Nöten und Bedürfnissen, sondern reine Projektionsfläche. Sie müssen nicht nur herhalten für seine Avantgarde- und Elite-Phantasien - "das ist eine ganz wichtige Bevölkerungsgruppe, die ganz vielen Ländern zu großem wirtschaftlichem Wachstum verhelfen kann. Schon allein dadurch, daß sie die Kraft gehabt haben zu überleben, und aus ihrer Situation rauszukommen, ist das eine ganz besondere Gruppe" - sondern auch für sein Amalgam aus postmodernen Politexperimenten und dem Wunsch nach dem schnellen Profit. Mit den Interessen der Flüchtlinge hat die Refugee Republic jedenfalls nichts zu tun - im Gegenteil. So, wie die Dinge stehen, bleibt zu hoffen, daß Günthers Projekt das bleibt, was es ist: Eine "tele-adventure".

Miriam Lang