Rotlichtbezirk unter Wasser
Meeresbiologen haben in der Tiefsee eine Quallenart entdeckt, die mit ihrem roten Leuchten Beute ködert
In der Tiefe des Meeres ist es stockfinster, doch zu sehen gibt es einiges – auch ohne Licht, denn viele Tiefseetiere verfügen über ein optisches Hilfsmittel: Sie leuchten. 90 Prozent aller Meeresorganismen besitzen die Fähigkeit, Licht auszusenden. Da gibt es Wesen, wie den Laternenfisch, bei dem die Lichtzellen zu besonderen Strukturen in der Haut angeordnet sind. Andere tragen ihre Leuchtorgane auf einem Stiel vor sich her, wie der Tiefsee-Anglerfisch.
Das Licht wird meist von körpereigenen Zellen produziert. Nicht selten verfügen Tiefseeorganismen aber auch über Leuchtbakterien in ihren Zellen, die diese Arbeit übernehmen. Biolumineszenz nennt man diese Fähigkeit, selbst oder mit Hilfe von Symbionten Licht zu erzeugen. Das Licht, das dabei ausgesandt wird, leuchtet überwiegend blau. Jetzt haben Tiefseeforscher im Pazifischen Ozean vor der Küste von Kalifornien eine neue Verwandte der Staatsquallen gefunden, die in Rot erstrahlt. Im aktuellen Science stellen sie ihren Fang vor.
Das Leuchten im Meer
Biolumineszenz (engl. Infos mit interessanten Bildern: http://www.lifesci.ucsb.edu/~biolum/ und http://www.herper.com/Bioluminescence.html) ist von fast allen Organismengruppen bekannt. Trotzdem ist es ein Phänomen des Meeres: Gerade dort, wo das Licht immer spärlicher wird, bevölkern Wesen das Wasser, die selber Licht produzieren. Warum das so ist, bleibt eine ungeklärte Frage; wozu es dient, dazu gibt es verschiedene Erklärungen.
Leuchtorgane erfüllen je nach Art völlig unterschiedliche Aufgaben: Sie können der Beleuchtung der Umgebung dienen, der Partnersuche, der Verteidigung, der Schwarmbildung oder der Kommunikation. Das Licht, das produziert wird, ist meist blau. Blaugrünes Licht reicht im Wasser am weitesten, und viele Organismen können nur blaues Licht erkennen.
Biolumineszenz ist ein enzymgesteuerter Prozess. Die chemische Basis stellen Luciferine dar, die über Luciferasen verändert werden, dabei entsteht Energie, die als Licht abgegeben wird. Die Bezeichnungen Luciferin und Luciferase sind eine Art Sammelbegriff, ihre chemische Struktur ist je nach Organismengruppe unterschiedlich. Manchmal sind Luciferin und Luciferase zusammen mit Sauerstoff in einem Molekül zusammengefasst, einem Photoprotein. Dann wird die Aussendung von Licht durch bestimmte Ionen (häufig Calcium) ausgelöst.
Merkwürdiges rotes Gewebe
Im Rahmen einer umfangreichen Studie zur Erforschung der Staatsquallen (Siphonophora), die zum Stamm der Nesseltiere zählen und die mit bis zu 40 Metern Länge zu den größten Tieren der Erde gehören, ging dem Meeresbiologen Steven H. D. Haddock und seinen Kollegen vom Monterey Bay Aquarium Research Institute in Moss Landing/Kalifornien ein besonderer Fang ins Netz: Bei einem Tauchgang in einer Tiefe zwischen 1.600 und 2.300 Metern barg „Tiburon“, das ROV (remotely operated vehicle) des Forschungsschiffes „Western Flyer“, drei Exemplare einer neuen Quallen-Spezies. Die Meeresbiologen ordneten sie der Art Erenna zu. Was die Neugier der Forscher besonders auf sich zog, war ein rötliches Schimmern an den Tentakeln.
Rhythmisches Flackern
Erenna verfügt über Tentakeln, die mit langen Querfäden, den Tentillen, besetzt sind. Die Tentillen wiederum bestehen aus mehreren tausend Nesselzellen die auf einem Stiel sitzen. Der durchsichtige Stiel selbst endet in einer Verdickung, die weiße Flecken enthält, so genannte Augenflecken (ocelli), die Licht produzieren. Haddock und sein Team brachten diese bei einer Laboruntersuchung mit Calciumchlorid (CaCl2) zum Leuchten. Ein Indiz für die Forscher, dass es sich dabei um Photophoren, d. h. Leuchtorgane, handelt, die mit Photoproteinen gefüllt sind. Und sie fanden noch eine weitere Besonderheit: Die Photophoren junger Tentillen enthielten nur biolumineszentes Gewebe und leuchteten blaugrün. Die ausgewachsenen Tentillen waren in ein rot fluoreszierendes Material gehüllt, das unter rhythmischem Flackern Licht im Farbspektrum von gelb bis rot aussandte.
Rot ist eine seltene Farbe im Meer. Laut Haddock ist bislang nur ein Meeresorganismus bekannt, der rot luminesziert: der sehr seltene schuppenlose Drachenfisch. Rot fluoreszierende Substanzen wurden mehrfach beobachtet.
Rotlichtköder
Über die Funktion des roten Leuchtens können Haddock und Kollegen nur Spekulieren. Weil das Licht rhythmisch flackert, gehen sie davon aus, dass es dem Anlocken von Fischen als Beute dient. Die Forscher unterstreichen diese These mit dem Hinweis, dass sie fluoreszierende Strukturen als Köder bereits bei anderen Nessel- und Krustentieren beobachten konnten. Immerhin wurden im Magenraum von zwei der drei eingefangenen Erenna-Exemplare Überreste von Fischen gefunden. Was die Biologen doch einigermaßen erstaunt hat, da Wirbeltiere ab einer gewissen Meerestiefe nicht mehr so häufig anzutreffen sind.
Die Interpretation der Meeresbiologen läuft allerdings der vorherrschenden Annahme zuwider, dass in der Tiefsee lebende Wesen lange Wellenlängen nicht wahrnehmen können. Doch, so schreibt Haddock, das Wissen um die Sehfähigkeit der meisten Meeresbewohner sei bislang noch sehr begrenzt. Selbst die Augen der häufig vorkommenden Tiefsee-Elritze seien noch nicht analysiert. Erst weitere Forschungen werden also mehr Licht in die Farbwelt der Ozeane bringen.