Russische Teilrepublik Burjatien: Marschbefehle aus Moskau
Burjatische Militäreinheiten erleiden in der Ukraine bislang überdurchschnittlich große Verluste. Die Opfer sind vielfach erst Anfang zwanzig. U.S. Helsinki Commission will Russland dekolonisieren
Kaum jemand in Deutschland kennt das Land zwischen der Mongolei und dem Baikalsee mit seiner Hauptstadt Ulan Ude und noch weniger kennen das Staatsvolk der Burjaten, die mit den benachbarten Mongolen verwandt sind, aber auch mit den Indianern Nordamerikas.
Die Teilrepublik hat sich zum buddhistischen Zentrum Russlands entwickelt und auch die orthodoxe russische Bevölkerung, die inzwischen mit einem Anteil von 60 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, schätzt die Feste und Traditionen der Buddhisten. Bekannt ist gerade mal der US-Schauspieler Yul Brynner, der burjatischer Abstammung ist.
Die Burjaten gehörten zum Reich Dschingis Khans, den sie noch heute als Held verehren. Das Land ist fast so groß wie Deutschland, mit knapp einer Million Einwohnern, aber viel dünner besiedelt. Mit dem Zerfall der Sowjetunion sind die vorher bestehenden industriellen Einheiten weitgehend zerfallen, und die Menschen lebten hauptsächlich von dem, was der eigene Garten hergab.
Das Land ist zwar reich an Bodenschätzen, hat jedoch praktisch keinen Nutzen von ihrem Abbau und steht bis heute unter der strikten Kontrolle Moskaus. In den 1990er-Jahren, als Russland für westliche Ideen offen war, haben sich so manche Consultants dabei mehr oder weniger erfolglos versucht, in dieser für sie fremden Welt ihr Glück zu finden.
Die Mentalität der Burjaten blieb ein verschlossenes Buch. Immer wieder wurden getroffene Abmachungen schon am nächsten Tag nicht mehr eingehalten, weil sich die Situation kurzfristig geändert hatte und andere Angebote lukrativer erschienen. Es gibt in diesem Umfeld den Satz "heute ist heute und morgen ist morgen". Burjatien wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von den Russen erobert und dem Russischen Reich eingegliedert.
Bujatien und die Mongolei
Vor etwa 100 Jahren gab es die Überlegung, Burjatien und die Mongolei zu einem Land zusammenzuführen. Diese Idee wurde dann nicht weiter verfolgt und der Kontakt zwischen den beiden Bevölkerungen weitgehend verhindert.
Ein Grenzübertritt mit der Transmongolischen Eisenbahn bei Nauschki war noch lange Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges mit sieben Stunden Dauer ein Abenteuer für sich und die Grenze zwischen den ehemaligen Verbündeten erinnerte stark an die innerdeutsche Grenze. Der einzige Wagon der Transmongolischen, der seinen Weg über die Grenze fand, wurde dort nach Strich und Faden gefilzt.
Während Burjatien in den vergangenen Jahren sich kaum weiterentwickelte, hat die Mongolei eine deutlich stärkere Entwicklung erlebt. Das Land verfügt über große Rohstoffvorkommen, die zu großen Teilen noch nicht erschlossen sind. Der Abbau erfolgt in der Hauptsache auf Initiative ausländischer Investoren und die Mannschaften, die für den Bergbau benötigt werden, werden beispielsweise aus den Philippinen eingeflogen.
Für Mongolen gibt es im Bergbau kaum Arbeitsplätze. Auch der Bauboom im Wohnungs- und Bürobereich in der Hauptstadt Ulaanbaatar erinnert an südostasiatische Städte, wobei sich die Frage stellt, wer all diese Wohnungen und Büros künftig nutzen soll, denn nur wenige Mongolen werden sich diesen Standard leisten können und die Zahl der Ausländer wird sich kaum noch deutlich weiter erhöhen. Das tägliche Leben in Ulaanbaatar wird durch allfällige Sandstürme stark beeinträchtigt.
Ein Vorteil für deutsche Investoren ist die große Zahl deutsch sprechender Mongolen, was auf die zahlreichen mongolischen Studenten in der DDR und deren Kinder zurückgeführt werden kann. Auch Englisch ist stärker verbreitet, als man hier erwarten würde, was nicht zuletzt an den englischsprachigen TV-Programmen liegt. Im Gefolge von Corona ist die Wirtschaft deutlich eingebrochen, soll sich aber inzwischen wieder erholen.
Zahlreiche Burjaten sterben in der Ukraine
Es sterben zumeist junge Militärangehörige aus Regionen, in denen das Militär der einzige Arbeitgeber ist, der auskömmliche Löhne bezahlt.
Für Burjaten, die im zivilen Leben auf einen Monatslohn von gerade mal umgerechnet 200 Euro kommen, bieten die zahlreichen Garnisonen entlang der Grenze zur Mongolei eine deutlich besser bezahlte Beschäftigungsmöglichkeit und bislang auch eine gute Möglichkeit, aus der doch eher ärmlichen Umgebung herauszukommen.
Mit dem Einsatz in der Ukraine, wo die burjatischen Kräfte von den tschetschenischen, kampferprobteren Einheiten nach vorne getrieben wurden, ist diese Hoffnung für viele zerplatzt. Der NZZ-Korrespondent Markus Ackeret zählt zu den wenigen westlichen Journalisten, die aus Ulan Ude berichten.
In seinem Essay Sein Leben war wie ein Komet: kurz, aber strahlend erzählt er die Geschichte von der Beerdigung des gerade 20-jährigen Igor Gennadjewitsch Sitnikow. Dessen Bruder hat auf VK einen kurzen Nachruf mit zahlreichen Bildern aus dem Familienalbum erstellt.
"Igor Gennadievich Sitnikov geboren am 4. Dezember 2001 im Dorf Nikolaevsky im Bezirk Tarbagatai in der Republik Burjatien starb in Ausübung seines Militärdienstes als Unteroffizier während einer speziellen Militäroperation auf dem Territorium der Ukraine am 16. Mai 2022 heldenhaft. Von 2008 bis 2017 studierte er an der Werksoberschule. Im Jahr 2020 erhielt er eine weiterführende Berufsausbildung an der Staatlichen Autonomen Bildungseinrichtung für Fachausbildung der Republik Belarus 'Technische Schule für Bauwesen und Stadtwirtschaft'. Nach dem Abitur an einer Fachschule wurde er zum Wehrdienst in die Militäreinheit Nr. 62048 Ulan-Ude einberufen. 2021 unterschrieb er einen Militärdienstvertrag. Igor war ein kluger Mensch, ein Optimist im Leben, er war eine Stütze für seine Familie, seine Freundin und alle Verwandten und Freunde."
US-Kommission fordert "Dekolonialisierung" Russlands
Die Commission on Security and Cooperation in Europe (CSCE) in Washington DC, besser bekannt als U.S. Helsinki Commission, lanciert aktuell eine Kampagne zur Dekolonialisierung Russlands als moralischen und strategischen Imperativ.
Mit Verweis auf die russischen Militäreinsätze in anderen Ländern nicht und der Dominanz Moskaus über indigene, nicht-russische Bevölkerungen will die Kommission, der Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses sowie des US-amerikanischen Außenministeriums angehören, den Blick auf "Russia’s fundamental imperialism" fokussieren.
Russlands barbarischer Krieg gegen die Ukraine - und davor gegen Syrien, Libyen, Georgien und Tschetschenien - hat der ganzen Welt den bösartigen imperialen Charakter der Russischen Föderation vor Augen geführt.
Die Aggression der Russischen Föderation ist auch der Auslöser für eine längst überfällige Diskussion über Russlands Imperium im Innern, angesichts der Herrschaft Moskaus über viele einheimische, nicht-russische Nationen und des brutalen Ausmaßes, mit dem der Kreml deren nationale Selbstdarstellung und Selbstbestimmung unterdrückt hat.
CSCE
Die U.S. Helsinki Commission will daher nach Lösungen suchen, wie man den russischen Imperialismus bekämpfen und das Land "dekolonialisieren" könne.
Was den Umgang mit indigenen Bevölkerungen angeht, scheinen die USA sich bislang nach eigenem Selbstverständnis durchgängig tadellos verhalten haben. Dies ist eine spannende Betrachtungsweise, die sich in der Vergangenheit nicht zuletzt an dem Umgang mit den nordamerikanischen Indianern zeigt, die mit den sibirischen Burjaten verwandt sind.