Russland-Belarus: Die ewig unfertige Union
Eine Union zwischen Belarus und Russland ist formell keine Zukunftsmusik, sondern Realität. Ob ihre Umsetzung je einen gemeinsamen Staat bedeuten wird, ist offen
Im Westen wenig bekannt, ist die Russisch-Weißrussische Union auf dem Papier schon lange Realität. Das entsprechende Abkommen wurde vor so langer Zeit geschlossen, dass damals der russische Präsident noch Boris Jelzin hieß. Das Problem der Union ist nur, dass zahlreiche integrierende Maßnahmen, die aus solch einem formalen Zusammenschluss einen echten Bundesstaat machen, über Jahrzehnte nicht oder nur sehr zögerlich in die Gänge kamen.
Das bedeutet aber nicht, dass es nicht rudimentäre Merkmale eines Staates bereits gibt. Die Union besitzt einen gemeinsamen Ministerrat, Bildungsabschlüsse werden gegenseitig anerkannt und die Bürger des jeweils anderen Landes gelten nicht als Ausländer. Lange bezogen die Weißrussen Öl und Gas zu russischen Inlandspreisen, die wirtschaftliche Kooperation ist eng, der Warenaustausch grenzübergreifend umfassend und zollfrei - die Grenze zwischen den Staaten ist offen.
Anders als etwa die Europäische Union besitzt die zwischen Belarus und Russland jedoch bis heute weder eine gemeinsame Währung, noch ein gemeinsames Parlament oder Staatsoberhaupt. Auch gelten beide Staaten als souverän, die westliche Angewohnheit, Lukaschenko als eine Art abhängigen Vasall Russlands zu beschreiben, ist falsch. "Niemand kann Alexander Lukaschenko befehlen, sich so und nicht anders zu benehmen" stellt der bekannte kritische weißrussische Politologe Artjom Schrajbman 2019 im Interview mit Julia Dudnik von russland.TV fest.
Die Ära "Gas gegen Küsse"
Russland erkaufte sich von Belarus ein gewisses Maß an Loyalität mit wirtschaftlichen Vergünstigungen. "Gas gegen Küsse" ist eine in beiden Staaten bekannte Formel, die hier zugrunde lag. Lange lief das einigermaßen gut. 2020 kam es trotzdem zu einer tiefen Krise in den Beziehungen, da Lukaschenko in den Jahren davor eine tiefere Integration des Unionsstaates absichtlich verhinderte und in seiner eigenen Art zunehmend gegen Moskau wie gegen den Westen wetterte.
Weitere Vergünstigungen könne er nur bei einem Fortschritt im Zusammenschluss der Union bekommen, war zu dieser Zeit aus Russland zu hören. Russische Subventionen für Minsk wurden abgebaut. Der bekannte russische Belarusexperte Andrej Susdalzew stellte in dieser Zeit Lukaschenkos Zuverlässigkeit, sogar die Eigenschaft der Weißrussen als Bündnispartner Russlands in Frage.
Lukaschenkos Entgegenkommen seit 2020
Dass sich diese Krise nicht auswuchs, lag an den umfangreichen Protesten anlässlich Lukaschenkos umstrittener Wiederwahl 2020, die ihn dazu animierten, wieder ein besseres Verhältnis in Richtung Moskau zu suchen. Plötzlich kam es nach langer Pause im September 2020 wieder zu Schritten hin zu einer stärkeren Zusammenarbeit in Vorbereitung einer vollständigen Russisch-Weißrussischen Union.
Diese Schritte umfassen eine gemeinsame Steuerpolitik, Koordinierungsnahmen im Finanz- und Bankenbereich, dem Rohstoffmarkt und der Energiepolitik. Festgehalten wurde das alles in einem gemeinsamen Dokument der Präsidenten Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, doch entscheidende Schritte wie eine verbindliche Einführung einer gemeinsamen Währung enthielt es nicht.
Diese gibt es bis auf weiteres nur als Klausel im Unionsvertrag, dafür arbeitet man an einem gemeinsamen Unionssymbol und verstärkte im November auch die militärische Zusammenarbeit. Verbunden war der kleine Schritt zu einer weiteren Integration mit preislichen Zugeständnissen Russlands beim Erdgas - Belarus darf es 2022 weiter zum Preis von 2021 beziehen, für 2023 ist ein gemeinsamer Gasmarkt geplant.
Dennoch halten russische Experten die Dokumente aus dem Herbst letzten Jahres für wichtig. Ein russische Diplomat sieht sie als Abkehr von der Ebene der "Erklärung der ewigen Freundschaft" auf eine hin zu konkreten Maßnahmen zur Annäherung der Volkswirtschaften. Ist diese Einschätzung richtig, wäre die Ära "Gas gegen Küsse" vorbei und die echte Union würde im Laufe der Zeit Gestalt annehmen, da die neue Formel "Gas gegen Integrationsschritte" heißt.
Skepsis in Bezug auf echten, gemeinsamen Bundesstaat
Wie weit die Integration fortschreiten wird, ist völlig offen, denn das Geflecht der Meinungen und Interessen ist sehr vielfältig. Das zeigt aktuell auch Lukaschenkos Reaktion auf angekündigte EU-Sanktionen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Seine Drohung, die durch Belarus laufende Jamal-Pipeline zu sperren und damit der EU das Gas abzudrehen, wäre nicht im russischen Interesse.
Lukaschenko würde in einer fortschreitenden Integration in den wesentlich größeren Partner voraussichtlich an Macht verlieren. Den Wunsch nach einem Rückzug von der Macht strahlt er aktuell aber keinesfalls aus.
Auch oppositionell gesinnte Weißrussen haben eher Angst vor einer kompletten Vereinigung, obwohl beide Völker sich freundschaftlich verbunden fühlen. Kritische Medien sind ebenfalls skeptisch. So stellt die Onlinezeitung Meduza fest, dass die viele politische Vereinbarungen etwa zu gemeinsamen Gerichten oder Parlamenten weiter nicht umgesetzt werden und die seit Lukaschenkos Kurswechsel neu vereinbarten Programme rein wirtschaftlicher Natur seien.
Die russische Bevölkerung ist eher pessimistisch, ob es im Endeffekt zu einem gemeinsamen Bundesstaat kommt. 56 Prozent glaubten bei einer Umfrage des kremlnahen Instituts FOM im Oktober diesen Jahres nicht daran. Die Befragung wird regelmäßig durchgeführt und schon seit kurz nach dem Millennium sind die Skeptiker hier in der Mehrheit und haben sich dort gehalten.
Die Entwicklung der beiden Staaten lief trotz der Union seit dem Ende der Sowjetunion nicht parallel und es ist viel Zeit vergangen. Die Entstehung einer supranationalen Einheit wie der EU zwischen beiden Ländern ist jedoch nicht komplett auszuschließen. Insbesondere, wenn der Westen durch Druck von außen die beiden Partner in ihrer Gegnerschaft zu diesem weiter vereint.
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