Russland-Berichterstattung: Wo bleibt der Zweifel?
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Die großen Medien und das Pfund der Glaubwürdigkeit. Kommentar zu Medienberichten über Nawalnys Video "Putins Palast"
Was ist wichtiger für guten Journalismus, Genauigkeit oder Haltung? Kürzlich gab es im Bayerischen Rundfunk viel Lob darüber zu hören, wie gut es um die Qualität der eigenen Arbeit bestellt ist, wie groß der Anteil derjenigen in der Zuhörerschaft ist, die dem Journalismus aus dem Hause trauen und gute Noten, wenn nicht gar Bestnoten, geben. Man habe an Glaubwürdigkeit noch einmal zugelegt.
Die große Mehrheit erkenne die Qualität an, die Kritiker seien in der Minderheit und dadurch auch nicht wirklich relevant. So lautete das Credo. Genauer müsste es heißen, dass eine bestimmte Kritik an den Medien in der Minderheit ist. Unterschieden wird zwischen guter und böser Kritik.
Wegmarken
Die Wasserscheide dafür verläuft entlang der Anerkennung oder Unterstützung der Demokratie, ist also hoch angesetzt. Operiert wird in dieser Höhe mit zum Teil sehr einfachen Wegmarken: Wer nicht für uns ist, steht schon auf der anderen Seite, auf dem Abhang der Desinformation.
Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die mit dieser Einteilung zu tun haben: Ist Kritik an den Corona-Maßnahmen im Grunde schon Unterstützung für die Verharmlosung der Gefahr durch das Virus? Steht ein Begriff wie "Panikmache", der im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus geäußert wird, schon für ein ganzes Lager, das auf der falschen Seite campt (nahe bei den VTlern), dessen Kritik nicht mehr mit Argumenten bekämpft werden soll, sondern am besten vom Diskurs ausgeschlossen?
Die Wasserscheide zwischen guter und böser Kritik betrifft nicht nur den Umgang und die Diskussion zu Corona und der Maßnahmen-Politik. Ein anderes großes Thema ist Russland und dessen Präsident Wladimir Putin.
Putins Palast
Just in den Tagen, als man sich im Bayerischen Rundfunk sehr überzeugt von den eigenen journalistischen Standards zeigte und sich über die hohe Glaubwürdigkeit freute, kursierten im Bayerischen Rundfunk wie auch in anderen öffentlich-rechtlichen Medienhäusern Nachrichten über den Palast Putins, der mit dem Fürstentum Monaco verglichen wurde.
Putins Palast sei 39 Mal so groß wie Monaco, wird Alexei Nawalny in einem BR-Bericht vom 31. Januar 2021 wiedergegeben. Der Titel des Beitrags lautet: "Russland: Putins Protzpalast". Das Zitat Nawalnys stammt aus dessen Palace-Video, das auf YouTube mittlerweile über 100 Millionen Aufrufe hat. Der oppositionelle russische Politiker wird in dem BR-Beitrag als furchtloser Mann eingeführt, dessen Mission darin besteht, "das korrupte System Putin zu entlarven". Der BR-Bericht über das Video, seine Hintergründe und Auswirkungen auf die Proteste in Russland dauert etwa 7 Minuten.
In diesem Zeitraum wird die Recherche zum Palast-Video dargelegt; die großen Schwierigkeiten, die sich in den Weg stellten, die Gefahr der Enthüllungen, erklärt der Umweltschützer Dmitri Schewtschenko. Zitiert werden Bildmaterial, Anschuldigungen und empörte Bürger, gezeigt werden Bilder von den Protesten in Russland. Ein einziges Mal und dies nur ein paar Sekunden lang kommt mit dem Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Sergejewitsch Peskow, jemand zu Wort, der den Wahrheitsgehalt des Videos und damit verbundene Vorwürfe verneint oder abstreitet.
Jede(r), die oder der sich den Beitrag anschaut, kommt nicht am Eindruck vorbei, dass Peskow hier nur den Rücken seines Präsidenten stärkt, dass er aus politischen Gründen diese Aussage trifft. Dass er lügt, um es klarer zu formulieren. Bei Nawalnys Mission wird dies gar nicht erst zum wichtigen Thema gemacht, inwiefern das Video auf unstrittigen Annahmen basiert. Im Mittelpunkt steht der furchtlose, leidenschaftliche Einsatz.
Doch soll kein vorschnelles Pauschalurteil pars pro tot abgegeben werden. Es gab Ende Januar Berichte von öffentlich-rechtlichen Medien, die davon Meldung machten, dass sich der "Milliardär und Putin-Freund", der Oligarch Arkadi Rotenberg, als Besitzer des Luxuspalastes bezeichnete und somit der Darstellung Nawalny widersprach.
Zum Beispiel der Tagesschau-Bericht "Russischer Oligarch will Eigentümer sein" vom 30.01.2021. Schon ein paar Tage zuvor hatte die Tagesschau auch darüber berichtet, dass der russische Präsident Putin die Recherchen zurückgewiesen hat: "Nichts von dem, was hier als mein Besitz aufgeführt wird, gehört mir oder meinen engen Verwandten, und das hat es auch niemals."
Das "Investigativ-Video"
Im Deutschlandfunk reagierte man sehr schnell mit einem "Glaubwürdigkeitsattest" auf das Video Nawalnys, schon am 20. Januar 2021:
Die Politologin Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations hält das für "absolut" glaubwürdig. "Das ganze System, das Putin aufgebaut hat, lebt ja von der Korruption und davon, dass nicht nur er, sondern auch die Leute in seinem engsten Umfeld von dieser Macht ganz stark profitieren", sagt sie. Korruption und die Tatsache, dass für Oligarchen besondere Regeln gelten, seien "nichts Neues und quasi "systemimmanent".
Deutschlandfunk, Nawalny zeigt die Korruption des Systems Putin
Am selben Tag hatte die Tagesschau vom "Investigativ-Video" über den russischen Präsidenten Putin berichtet und immerhin in der Überschrift dem "Kremlkritiker Nawalny" den Kreml gegenübergestellt, "der widerspricht". Im Beitrag selbst liegt das Schwergewicht auf den Vorwürfen, die das "Investigativ-Video" macht.
Zweifel an der Qualität der investigativen Arbeit wurden nicht geäußert. Es blieb erstmal bei der Gegenüberstellung von Behauptungen, die Vorwürfe des Films und die Position des Kreml. Wie dargelegt wurde das Video von Nawalnys Team erst später, als es zu Protesten in Russland gekommen war, deutlich in einem politischen Rahmen präsentiert - als nächste Etappe der Mission Nawalnys. Wie dies auch aus einem ARD-Weltspiegel-Beitrag vom 24.01.2021 hervorgeht, der von den Protesten am Vortag berichtet.
Ungleich verteilte Gewichte
Die Gewichte waren ungleich verteilt. Die Vorwürfe gegen den russischen Präsidenten, die auf Machtmissbrauch hinauslaufen, waren in den Berichten über den Skandal präsenter als die Skepsis an der Information, die von einem politischen Gegner kommen.
Man könnte an diesem Punkt ganz trivial einen Spiegel aufstellen und fragen, wäre das denn als journalistische Vorgehensweise ok, wenn man in Russland so in Bezug auf deutsche Verhältnisse vorgeht?
Darauf gibt es eine Antwort, die auch öfter erwähnt wird: Natürlich nicht. Dann geht es nämlich um Propaganda, wie es die von russischen Staatsgeldern finanzierten Medien Russia Today und Sputnik (jetzt mit einem neuen Namen) praktizieren. Sie geben der Kritik, wie sie aus dem rechten deutschen Spektrum kommt, viel Raum. Sie sind zu einer Art Exil-Medienstation der extremeren deutschen Kritik geworden (wie auch der französischen und spanischen).
Das ist allerdings schon Tausend Mal erwähnt worden. Der neuralgische Punkt ist, was in der Berichterstattung der meist gelesenen, meist gesehenen und meist gehörten deutschen Medien ausgeklammert wird und wie dies mit dem Pfund der Glaubwürdigkeit, das sie haben, und ihrem Anspruch auf qualitativ hochstehenden Journalismus zu vereinbaren ist.