Russland-Berichterstattung: Wo bleibt der Zweifel?
Seite 2: Der Umgang mit der Opposition in Venezuela, Syrien und Russland
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Der begleitende Verdacht ist, dass man in entfernteren Ländern, wie Venezuela, Syrien oder Russland eben nicht sonderlich genau hinschauen will, wenn es um die Opposition zu autoritär geführten Ländern geht. Das wird dann von den Medienstrategen der Opposition dieser Länder strategisch klug ausgenutzt wie auch von politischen Interessen hierzulande oder in verbündeten Ländern wie USA, Großbritannien oder Frankreich, die sich von Juan Guaidó, den Rebellen oder Nawalny einiges versprechen.
Es gibt da gewisse Muster des Vorgehens. Dazu gehört etwa die Brutalität und den Machtmissbrauch des repressiven Systems besonders zu gewichten und die nicht so wirklich guten Seiten der Opponenten der autoritären Führungen zu vernachlässigen.
Legitimiert wird dies mit einer grundsätzlichen Haltung: "gegen Repression der Machthaber, für die Freiheit der Kritik am Unterdrückungssystem". Das ist erstmal gut und richtig. Aber als blinder Fleck bleibt das Thematisieren der Vorgehensweise der Opposition, die ja nicht immer harmlos und besser ist, siehe Syrien oder Venezuela, und deren Analyse. Man überlässt dies dann den Quellen der sogenannten Gegenöffentlichkeit.
Im Fall "Putins Palast" kann man etwa beim Blog Moon of Alabama und dort verlinkten Quellen den Spuren folgen, die, unterfüttert mit Bildmaterial, große Zweifel an der Behauptung aufstellen, dass es sich um "Putins Palast" bzw. überhaupt um einen Palast handelt.
Ob nun das Gegen-"Investigativ-Video" zu Nawalnys YouTube-Erfolg, das auf dem Moon of Alabama-Blog verlinkt wird, sorgfältiger und verlässlich recherchiert ist, kann der Autor dieser Zeilen nicht beantworten. Ob diese Quellen ihrerseits zutreffend sind, dies herauszufinden, wäre Aufgabe eines kritischen Journalismus, der die Mittel dazu hat.
Nötig wäre es, denn auch in der sogenannte Gegenöffentlichkeit zeigt sich nach Erfahrungen, die der Autor in Sachen Berichterstattung zu Syrien gesammelt hat, eine Neigung zum Konsens und dessen Bestärkung. Der besteht in der Sichtweise, dass aus den reichweitenstarken Medien fast ausschließlich Propaganda kommt und daher alles Schlagseite hat. Dass kaum mehr Nachrichten oder Berichte aus den großen Medien vertrauenswürdig sind, also ganz das Gegenteil dessen, wovon die großen Medienhäuser überzeugt sind.
Unter den verlinkten Artikeln im genannten Blog findet sich auch einer aus der Lokalpresse im Schwarzwald. Er handelt davon, dass Nawalny und sein Team sich in einem Filmstudio in Kirchzarten viel Zeit und Mühe gaben, um den Film über Putins Palast herzustellen. Das sagt noch nichts über den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe im Film aus.
Aber das sagt einiges darüber aus, wie wichtig dieser Film für die Öffentlichkeitsarbeit der Opposition um Nawalny ist. Es hieß zu den Demonstrationen in Russland am Wochenende 23/24. Januar, dass dieser Film, bzw. der Vorwurf, der mit diesem Film dokumentiert wird, Korruption, Bereicherung, Ausbeutung der Bevölkerung, eine beträchtliche Rolle bei der Empörung gespielt habe.
Parteischer Journalismus
Aus dieser Perspektive gesehen machen die Berichte, die in Deutschland zu "Putins Palast" dominieren und die die Behauptungen der Opposition in der Tendenz grosso modo unterstützen, ohne sich um die Zweifel daran zu kümmern, den Eindruck, dass sie sich politisch ganz auf der Seite Nawalnys positionieren (übrigens trifft das auch auf die Berichterstattung des französischen Leitmediums Le Monde zu oder der des britischen Guardian).
Das ist parteiischer Journalismus, der sich aber als solcher nicht ausweisen will. Weil man auf der guten Seite steht. Wenn man sich die martialischen Auftritte der russischen Ordnungskräfte bei den Demonstrationen am vergangenen Wochenende anschaut, die Knüppelszenen, die Festnahmen und dazu den seltsamen Prozess, dessen obskure Hintergründe und das harte Urteil gegen Nawalny, dann mag man der Haltung Recht geben.
Polizeigewalt, die sich in Bildern ganz ähnlich zeigt wie bei Demonstrationen in Frankreich, ist Zeichen einer Staatsführung, die mit willkürlicher, brutaler Gewalt auf die Ausübung eines Grundrechtes reagiert. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Auch nicht mit dem Dauerhinweis auf westliche Propaganda (die Quellen der oben verlinkten Bilder sind auch keine parteilosen, neutrale Absender).
Doch macht auch ein Artikel des US-Think Tanks Responsible Statecraft, besetzt mit einflussreichen Personen der US-Politiksphäre, der sich für zurückhaltende Außenpolitik ("no intervention") engagiert, darauf aufmerksam, dass sich der Westen die Person Nawalny genauer anschauen sollte wie auch die Konsequenzen einer solchen Unterstützung, bevor er den nächsten Oppositionspolitiker eines autoritär geführten Staates zu einer Sache macht, die über Zweifel erhaben ist.