Russlands Inflation frisst Putins Kriegskasse
Russlands Wirtschaft kämpft mit einer Teuerung. Vor allem ärmere Russen spüren die Preisexplosion. Putin kritisiert erstmals Zentralbank.
Gegen Jahresende 2024 beschleunigte sich die Inflationsrate in Russland und brachte es im Vergleich zum Beginn des Jahres auf offiziell 9,5 Prozent. Dass bei zurückgehender Kriegszustimmung hier unter den Russen keine Unruhe entsteht, die über Besorgnis hinaus geht, liegt an ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage. Bis Oktober stiegen 2024 die Löhne um 18 Prozent, also wesentlich mehr als ein Ausgleich der offiziellen Inflation.
Die Ursache sind der starke Arbeitskräftemangel in der russischen Wirtschaft und der anhaltende Boom der russischen Rüstungsindustrie, die eine Armee im Kriegseinsatz auszustatten hat. Die harte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt trieb die russischen Löhne auch 2024 nach oben, obwohl das Wirtschaftswachstum sich abschwächte.
Viele Konsumgüter verteuern sich schneller
Doch die Inflationsrate ist nur ein offiziell bekannt gegebener Durchschnittswert und es wurden im letzten Jahr gerade Waren teurer, die Durchschnittsrussen besonders wehtun. So hat sich der Kartoffelpreis verdoppelt, der Preis von Weißkohl klettere um das Eineinhalbfache, Butter wurde fast 40 Prozent teurer, Gurken um fast ein Drittel. Der bei den Russen zum Jahreswechsel beliebte rote Kaviar kostet nun ebenfalls 150 Prozent mehr als beim letzten Silvester.
Die Preisspirale dreht sich unvermindert weiter und aktuell mit zunehmendem Tempo. Für Anfang 2025 kündigten die Hersteller von Erfrischungsgetränken eine Preiserhöhung von neun bis 15 Prozent an, Kaffee soll um 11,3 Prozent teurer werden, berichtet die Wirtschaftszeitung Kommersant.
All das sind Ausgaben, die vorwiegend der ärmere Teil der Bevölkerung in seinen Geldbeuteln merkt, unter der Minderheit der reichen Russen fallen sie wenig ins Gewicht – und der Markt für Luxuswohnungen in Moskau boomt weiter mit steigenden Immobilienpreisen.
Zweifel an offiziellen Inflationsraten – plakative Maßnahmen
Bei derart gestiegenen Einzelpreisen kommen auch Zweifel an der offiziellen Berechnung der Gesamtinflation Russlands auf. In einer Studie meinten Wirtschaftsexperten der Stockholm School of Economics im September 2024 über Russland, "wichtige Wirtschaftsindikatoren wie Inflation und reales BIP-Wachstum sollten mit großer Vorsicht behandelt und offiziellen Zahlen nicht ohne ausdrückliche Warnung zitiert werden, da sie Teil der russischen Propaganda sind."
Selbst nach den Daten staatsnaher russischer Institute wie FOM ist die durch die Bevölkerung wahrgenommene Inflationsrate wesentlich höher als die offizielle.
Beim Staat löst die sich verstärkende Preisspirale bereits heftige Betriebsamkeit aus. Der förderale Antimonopoldienst kündigte eine Analyse der Logistik bei Brot, Butter und Kartoffeln in den großen Supermarktketten an, um Manipulationen aufzudecken und den Anteil der Lieferkosten an ständig steigenden Preisen zu ermitteln. Auch Butterproduzenten wolle man einer Sonderinspektion unterziehen.
Diese Einzelmaßnahmen sollen die Bevölkerung beruhigen, denn die große Schraube zur Inflationsbekämpfung, die Anhebung der Leitzinsen der Zentralbank, wurde in Russland bereits bis zum Anschlag auf 21 Prozent gedreht. Kredite wurden dadurch extrem teuer, sodass Unternehmen vor der Aufnahme von Fremdkapital für Investitionen zurückschrecken.
Das bereits eingetretene Nachlassen des Wirtschaftswachstums wird dadurch verstärkt. Betrug dieses im ersten Quartal noch 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, waren es im dritten Quartal nur noch 3,1 Prozent. Der Russische Unternehmerverband ist wegen der überhöhten Zinsen bereits länger auf den Barrikaden.
Putin ist unzufrieden mit seiner Zentralbank
Putin zeigt angesichts der Inflationsrate bei hohen Zinsen bereits Unzufriedenheit mit seiner Zentralbank. Er forderte bei einer Rede auf dem Wirtschaftsforum "Russia calling!" Anfang Dezember nicht nur gemeinsame Maßnahmen von Regierung und der Bank, sondern fügte bestimmend hinzu: "Das ist keine Bitte, kein Wunsch, sondern, wie ich denke, eine direkte Anweisung zum Handeln!"
Bei seiner alljährlichen TV-Fragerunde legte einer noch einmal eine Schippe drauf und bezeichnete den Vorstand seiner Bank abschätzig als "Komsomol-Zelle" unter Anspielung auf den Jugendverband der Sowjetunion.
Diese Bezugnahme Putins kommt nicht von ungefähr. Er weiß, wie sehr den Russen die Bekämpfung der Inflation am Herzen liegt. Die Beliebtheit seiner Vorgänger Gorbatschow und Jelzin ging vor allem dann schlagartig in den Keller, als die Bevölkerung durch Geldentwertungen ihren Konsum erheblich einschränken musste.
So sinkt auch die Zentralbankvorsitzende Elvira Nabiullina in seiner Gunst, obwohl sie 2022 nach dem Kriegsausbruch viele wichtige Maßnahmen gegen einen Währungszusammenbruch federführend initiierte.
Die Äußerungen des Kreml-Chefs sind dennoch ungewöhnlich, da er sonst stets zur Beruhigung der Gemüter die Unabhängigkeit der Staatsbank von der Politik hervorhebt. Auch ansonsten werden die Instrumente der Zentralbank unterlaufen, etwa durch staatliche Sonderkonditionen bei Kreditvergaben in Segmenten, in denen man Wachstum dringend braucht, etwa dem Rüstungsbereich. Dadurch wird jedoch die Geldmenge im Umlauf erhöht, die Inflation verstärkt.
Angst vor der Stagflation
2025 wird von Experten mit einem weiter absinkenden Wirtschaftswachstum in Russland gerechnet. Bekommt man die Inflation nicht in den Griff, droht dem Land eine Stagflation – die Wirtschaft stagniert real bei hoher Inflationsrate.
Das kann die russische Regierung nicht benötigen, die gleichzeitig ein immens hohes Produktionsniveau im Rüstungsbereich aufrechterhalten muss. Zusätzlich droht durch einen 2025 wahrscheinlich sinkenden Ölpreis ein beträchtliches Einnahmeminus im russischen Staatshaushalt, dass die Möglichkeiten der Regierung weiter einschränkt.
Einen positiven Effekt könnten die trüben Aussichten für 2025 unfreiwillig haben, der nicht nur Russland betrifft. "Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios verstärkt das Interesse der russischen Führung an einem Stopp der Militäraktion und einer Lockerung der Sanktionen" stellen die Forscher des Expertenportals Re:Russia in einer Analyse fest.
So wie die recht robuste eigene Kriegswirtschaft 2023 und 2024 es dem Kreml ermöglichte, weiter kompromisslos Krieg zu führen, könnten negative Tendenzen auf dem heimischen Markt den gegenteiligen Effekt haben.